Seit dieser Woche ist TV total mit Stefan Raab wieder früher auf Sendung, um 22.15 Uhr, so wie früher. Aber nur montags und dienstags. Mittwochs und donnerstags darf Raab erst um 23.15 Uhr ran, weil vorher noch eine schlechte Krankenhausserie bzw. ein langweiliges Promi-Magazin gezeigt werden muss. Eine solche Sendeplatz-Politik ist natürlich Blödsinn, aber warum soll es Raab besser gehen als den Tagesthemen.
Auch der Quatsch Comedy Club mit Thomas Hermann hat seit gestern wieder einen neuen Sendeplatz, den er noch von früher kennt: 23.15 Uhr, eine halbe Stunde später als in der letzten Staffel.
Keine dieser Verschiebungen ist ein Ereignis, über das sich hierzulande irgendjemand größere Gedanken machen würde.
In den USA ist man sensibler: Die geplante Verschiebung eines Sendeplatzes um eine halbe Stunde sorgte diese Woche für viele größere Berichte auf Titelseiten und schließlich dafür, dass der Starmoderator Conan O’Brien öffentlich kündigte.
Conan O’Brien hatte im vergangenen Juni die traditionsreiche Tonight Show beim Sender NBC um 23.35 Uhr übernommen, die Jay Leno 17 Jahre lang moderiert hatte. Leno versuchte sich seit September an einer neuen täglichen Show schon um 22.00 Uhr, also zur Primetime, auf einem Sendeplatz, auf dem es in Amerika noch nie eine vergleichbare Show gegeben hatte.
Lenos 22-Uhr-Experiment ist gescheitert, und auch Conan O’Briens Zuschauerzahlen um 23.35 Uhr sind nicht mehr so hoch wie die, die Leno über Jahre einfuhr. NBC beschloss deshalb kurzerhand, Leno auf seinen alten Sendeplatz um 23.35 Uhr zurückzuverfrachten, seine Show aber auf 30 Minuten zu kürzen, um weiterhin Platz für O’Brien zu haben, der ab Ende Februar erst um 0.05 Uhr auf Sendung gehen sollte. Niemand rechnete damit, dass O’Brien dies ohne Widerstand hinnehmen würde. Dass er aber gestern in einem offenen Brief an die „Erdbevölkerung“ seinem Sender schwere Vorwürfe machte und de facto kündigte, war dann doch eine Überraschung. Er offenbart, dass er lukrativere Angebote ausgeschlagen habe, um für NBC die Traditionssendung moderieren zu können, beklagt sich, nicht die Chance bekommen zu haben, sich darin zu bewähren und die Show zu einem Erfolg zu entwickeln, und fordert eine rasche Auflösung seines Drei-Jahres-Vertrages, der ihn an den Sender bindet. Verlege man die Tonight Show, die seit 60 Jahren gegen 23.30 Uhr beginnt, auf nach Mitternacht, also den nächsten Tag, sei dies schlicht nicht mehr die Show, für die er unterschrieben habe.
Es war mein Irrglaube, dass ich, wie mein Vorgänger, Zeit bekommen würde und Unterstützung durch ein quotenstarkes Primetime-Programm. (…) Leider gab man uns niemals eine Chance. Nach nur sieben Monaten, mit meiner Tonight Show noch in den Kinderschuhen, hat NBC beschlossen, auf ihre furchtbaren Probleme im Abendprogramm zu reagieren, indem sie ihr lange etabliertes Late-Night-Programm ändern. (…)
60 Jahre lang lief die Tonight Show direkt nach den Lokalnachrichten. Ich glaube ehrlich, die Tonight Show in den nächsten Tag zu verschieben, um Platz für eine andere Comedyshow zu schaffen, würde ernsthaft das beschädigen, was ich für die größte Programmmarke in der Geschichte des Fernsehens halte. Die Tonight Show um 0.05 Uhr ist einfach nicht die Tonight Show. Außerdem, wenn ich diese Verschiebung akzeptieren würde, würde ich die Sendung Late Night, die ich von David Letterman geerbt und an Jimmy Fallon weitergereicht habe, ebenfalls von ihrem langjährigen Sendeplatz verdrängen. Das würde die andere NBC-Marke, die ich liebe, beschädigen, und es wäre unfair gegenüber Jimmy. (…)
So weit ist es gekommen: Ich kann in Worten nicht ausdrücken, wie viel Spaß es mir macht, diese Sendung zu moderieren und welche enorme persönliche Enttäuschung es für mich ist, in Betracht zu ziehen, sie zu verlieren. (…) Aber ich kann nicht an etwas teilnehmen, das ich ehrlich für ihre Zerstörung halte. (…)
Es gab Spekulationen, ich könne zu einem anderen Sender gehen, aber, um das klarzustellen, ich habe derzeit kein anderes Angebot und habe wirklich keine Ahnung, wie es weitergeht. Meine Hoffnung ist, dass NBC und ich dies so schnell wie möglich lösen, damit meine Mitarbeiter und ich eine Show machen können, auf die wir stolz sind, für ein Unternehmen, das unsere Arbeit schätzt.
Das vollständige Schreiben im Original-Wortlaut haben alle wichtige US-Medien, u.a. die New York Times, veröffentlicht. Der Branchendienst Variety paraphrasierte es in seiner Überschrift so: „Conan an NBC: Fall tot um!“
Die Situation erinnert ein wenig an Wetten, dass…? 1992/93, als Thomas Gottschalk die Moderation an Wolfgang Lippert abgab, nur um sie sich 17 Monate später zurückzuholen, weil die kleine RTL-Show, die er stattdessen machen wollte, nicht so funktionierte, wie er sich das vorgestellt hatte. Unter Lippert waren die Quoten der Show damals zurückgegangen, aber längst nicht so weit, wie sie inzwischen unter Gottschalk gesunken sind.
Ob NBC und Jay Leno sich die Marktführung um 23.35 Uhr, die sie an CBS und David Letterman verloren haben, zurückholen können, ist die große Frage – neben der, was aus Conan O’Brien wird. Jay Leno hat im vergangenen Jahr viele Sympathien verloren. Durch die tägliche Ausstrahlung seiner Show zur Primetime gingen Arbeitsplätze für Autoren, Produzenten und Schauspieler verloren, die diese fünf Sendeplätze vorher mit fiktionalen Serien bestückt hatten. Und nun drängt er einen anderen langjährigen NBC-Star aus seinem Job. Wenn Conan O’Brien nun zur Konkurrenz geht und der fast 60-jährige Leno nicht zum alten Glanz zurückfindet oder unabhängig davon in ein paar Jahren doch in Rente geht, ist seine Nachfolge völlig offen.
Derweil bewältigen Leno und O’Brien weiter ihre täglichen Sendungen. Conan O’Brien zählte bereits seine weiteren Karriereoptionen auf, darunter: „Ich könnte das Fernsehen aufgeben und in einem stilvolleren Geschäft mit besseren Menschen arbeiten, zum Beispiel der Porno-Industrie.“
Michael, 13. Januar 2010, 12:43.