Das Lesen der Anderen
Ich habe ein Buch gelesen. Das kommt gelegentlich vor. Weil dieses aber sehr, sehr entfernt etwas mit dem aktuellen Fernsehprogramm zu tun hat, sei es Ihnen empfohlen.
Als in den 90er-Jahren der Roman „Der Waffenhändler“ erschien, war sein Autor Hugh Laurie in Deutschland noch völlig unbekannt und das Buch kein großer Verkaufserfolg. Heute ist der Schauspieler Hugh Laurie als Dr. House bekannt, weshalb Heyne das Buch neu aufgelegt hat. Irgendwer muss dabei gedacht haben: „Mensch, ‚Der Waffenhändler‘, das klingt ja gar nicht lustig und knackig, dabei ist Dr. House doch so lustig. Nennen wir den Roman doch einfach ‚Bockmist‘!“ Wahrscheinlich jemand, dessen Berufsbezeichnung „Head of“, „creative“ und/oder „director“ beinhaltet, aber das klingt natürlich nicht sehr knackig, also nennen wir ihn doch einfach Volldepp. Volldepp entschied sich also für „Bockmist“, was mit dem Inhalt des Buchs so viel zu tun hat wie „Stinkender Teppich“, ließ aber den Übersetzer gegen Ende zweimal das Wort „Bockmist“ in den Dialog einbauen. Volldepp entschied wahrscheinlich auch, dass es bumskomisch sei, wenn man den Titel auf eine blaue Unterhose druckt, die mit dem Inhalt des Buches noch weniger zu tun hat als der Bockmist. Überflüssig zu erwähnen, dass der weitere Aufdruck auf dem Buchdeckel „Hugh Laurie ist Dr. House!“ ebenfalls nur eine verkaufsfördernde Irreführung ist. Und wenn der gewollte Comedyeffekt durch den blöden Titel nicht eintritt, dann kann man ja vielleicht wenigstens die wenigen Leser vom ersten Versuch vor gut zehn Jahren um 8,95 Euro prellen, weil sie womöglich denken, Hugh Laurie habe noch einen zweiten Roman geschrieben.
Aber jetzt zum Buch: Schöne Sache. Der große Komödiant Hugh Laurie ist auch schriftlich sehr witzig, obwohl sein Roman eigentlich ein Wirtschaftsthriller ist.
Die Hauptfigur Thomas Lang ist ein Ex-Soldat, der in den Tag lebt und für ein Attentat auf einen Industriellen angeheuert werden soll. Er lehnt zwar ab, aber jetzt weiß er von dem Plan, und damit ist er in die Sache verwickelt. Zumal er sich auch noch in die Tochter des Industriellen verliebt.
In der ersten Hälfte liest sich „Bockmist“ locker, beinahe wie eine Parodie. Würde man die Geschichte nur mit den Dialogen aus dem Buch verfilmen, wirkte die Angelegenheit vermutlich von Beginn an einigermaßen ernst, denn es sind vor allem die lapidaren und oft selbstverständlichen, aber nicht offensichtlichen Beschreibungen des Ich-Erzählers und dessen direkte Ansprache des Lesers, die den Humor in den Text bringen.
Er hieß Rayner. Vorname unbekannt. Mir jedenfalls und daher auch Ihnen, nehm‘ ich an.
Ich glaube, er hatte die tiefsten und weitestverteilten Poren, die ich je auf einer Menschenhaut gesehen habe, und ich musste unwillkürlich an den städtischen Golfplatz in Dalbeattie denken, damals nach dem langen und trockenen Sommer ’76.
Meine Wohnung lag noch da, wo ich sie verlassen hatte, kam mir aber kleiner vor als früher. Der Anrufbeantworter hatte keine Nachrichten aufgezeichnet, und der Kühlschrank war leer bis auf den Becher Biojoghurt und die Selleriestange, die ich von meinem Vormieter übernommen hatte.
Richie hatte das Zimmer nur einmal verlassen, um sich einen Stuhl zu holen. Während er draußen war, versuchte ich, mich loszureißen, das Laken zusammenzuknoten und mich aus dem Fenster abzuseilen, schaffte es aber nur, mich a Oberschenkel zu kratzen, bevor zurückkam.
Währenddessen wälzt Laurie bereits ganz große politische Probleme, erklärt, wie das Wohlergehen einer ganzen Nation im Grunde auf krummen Geschäften basiert. Das führt langsam auf die zweite Hälfte zu, in der das Buch einen neuen Klang bekommt. Viel des Leichten verschwindet, es ist jetzt eher spannend als lustig, die Geschichte wird verworrener, es häufen sich Lügen, Intrigen und Gewaltbereitschaft, und das ist eigentlich nicht mehr das Buch, über das ich mich in der ersten Hälfte so gefreut habe. Aber die Beschreibungen des Erzählers bleiben ähnlich lapidar.
Wir fuhren ungefähr eine Stunde die M4 entlang und müssen sie nach meiner Schätzung in der Nähe von Reading verlassen haben. Ich würde Ihnen ja nur zu gern die genaue Abfahrt sagen und die Landstraßennummern, aber da ich den größten Teil der Fahrt auf dem Boden des Diplomat verbrachte und man mir das Gesicht in den Teppich drückte, war der Input an Sinnesdaten etwas eingeschränkt. Der Teppich war dunkelblau und roch nach Zitrone, falls Ihnen das weiterhilft.
Er nickte und summte weiter vor sich hin. Puccini, glaub‘ ich. Kann auch Take That gewesen sein.
Wir haben jetzt Mitte Dezember und stehen vor der Abreise in die Schweiz, wo wir ein bisschen Skilaufen, ein bisschen entspannen und einen holländischen Politiker ein bisschen erschießen wollen.
Kurzweilig ist „Bockmist“ bis zum Ende, und lesenswert ist es schon deshalb, weil es zeigt, dass Hugh Laurie nicht nur witzig ist, wenn er die Texte anderer Autoren aufsagt, sondern auch, wenn er seine eigenen schreibt.
„Bockmist“, Heyne, 440 Seiten, 8,95 €.
Im Original: „The Gun Seller“, Random House UK, 9,45 €.