TV total

Seit 1999 (ProSieben). Einstündige Comedyshow mit Stefan Raab.

Raab führt peinliche Ausschnitte aus anderen Sendungen vor und kommentiert sie. Meist unprominente Menschen, die in irgendeinem Programm (unangenehm) aufgefallen sind, lädt er ein, führt sie vor und verleiht ihnen den „Raab der Woche“. Hinzu kommen weitere wiederkehrende Rubriken: „Der Schocker der Woche“ ist ein ganz besonders ekelerregender Ausschnitt aus einem anderen Programm, gern auch aus einer Medizinsendung. In „Raab in Gefahr“ ist Raab auf Veranstaltungen unterwegs, überrumpelt mit der Kamera Leute und verulkt sie. Das „Raabigramm“, ein Spottlied, singt Raab Prominenten direkt ins Gesicht. Erstes Opfer war Rudi Carrell, der sich in seinem Büro sein „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ vorsingen lassen musste, mit der neuen Textzeile: „Wann wirst Du endlich wieder lustig? So lustig, wie du früher schon nie warst?“

In den ersten Monaten waren die von Raab entdeckten Ö La Palöma Boys Dauergäste, ein Duo, das bekannte englische Hits mit sächsischem Akzent sang und es mit seinem Song „Ö La Palöma“ auf Platz zwei der deutschen Charts schaffte. Ein halbes Jahr später schlachtete Raab einen Fall aus der Sendung Richterin Barbara Salesch aus, in der Regina Zindler aus Sachsen gegen ihren Nachbarn Gerd Trommer klagte, weil dessen Knallerbsenstrauch zu nahe an ihrem Maschendrahtzaun wuchs. Um die Originaltöne der sächsisch gesprochenen Zindler-Worte „Maschendrahtzaun“ und „Knallerbsenstrauch“ herum dichtete Raab einen Countrysong, den er strophenweise in seiner Show vorsang und der sich sieben Wochen an der Spitze der deutschen Single-Charts hielt.

Raab trat einen bis dahin kaum gekannten Medienrummel um die in jeder Hinsicht überforderte Frau Zindler los, von dem er sich später distanzierte. Während die verschiedenen Boulevardmedien noch die privatesten Aspekte des Nachbarschaftsstreits ausschlachteten, ließ er das Thema fallen, hatte aber ein zutiefst beunruhigendes Beispiel seiner Fähigkeit gezeigt, Medienhypes auszulösen.

Die Plattform seiner eigenen Show verhalf Raab  außerdem zum Sieg bei der deutschen Vorentscheidung für den Schlager-Grand-Prix im Mai 2000, an dem er mit dem Lied „Wadde hadde dudde da“ teilnahm und den fünften Platz belegte. Aus einem weiteren Fernsehoriginalton machte Raab im folgenden Herbst seinen nächsten Hit und damit Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Popstar. Dessen Satz „Ho mir ma ne Flasche Bier“ schaffte Platz zwei in den Verkaufscharts.

TV total begann als wöchentliche Show montags um 22.15 Uhr. Sie war der größte Erfolg für den Sender Pro Sieben, der mit ihr vier Millionen Zuschauer und in der Zielgruppe der 14‑ bis 49‑Jährigen regelmäßig Marktanteile von über 30 Prozent erreichte. Im Oktober 1999 erhielt Raab den Deutschen Fernsehpreis für die beste Unterhaltungssendung. Er wurde zur Leitfigur einer neuen deutschen Spaßgesellschaft erhoben und war Zeitschriften wie „Spiegel“, „Focus“ und „Stern“ seitenlange Titelgeschichten wert. Der Erfolg veranlasste Pro Sieben, TV total ab Anfang 2001 viermal wöchentlich auszustrahlen, jetzt montags bis donnerstags um 22.15 Uhr.

Gleichzeitig kam die Zeitschrift „TV total“ auf den Markt, die jedoch nach ein paar Monaten mangels Erfolg wieder eingestellt werden musste. Die Sendung erreichte nur noch knapp zwei Millionen Zuschauer, was für den fast täglichen Rhythmus aber immer noch hervorragend war. Raab etablierte mit dem erhöhten Senderhythmus ein paar neue Gimmicks. Zu Beginn jeder Sendung rutschte er das Geländer der Showtreppe herunter, wobei anfangs die Zeit genommen wurde. Er versuchte dauernd, seine eigenen Rutschrekorde zu verbessern und rutschte gegen prominente Gäste. Promis waren jetzt dauernd zu Gast und stellten ihre neuen Shows oder CDs vor – das Format entwickelte sich in Richtung klassischer Late-Night-Show.

Neuer Dauergast war zudem „Showpraktikant Elton“ (Alexander Duszat), der immer wieder bei Raab auf der Couch saß, Aufgaben erledigte und von Haus zu Haus zog und „Bimmel-Bingo“ spielte. Elton klingelte mitten in der Nacht an Haustüren, und wenn die Belästigten bestimmte Schimpfworte fallen ließen, gewannen sie Geld. Eine Lehrerin, die auf diese Weise im Nachthemd ins Fernsehen kam, klagte erfolgreich. Die Produktionsfirma Brainpool zahlte ihr 2550 € Schmerzensgeld. Elton erhielt im Dezember 2001 seine eigene Show namens Elton.TV, war aber weiter bei Raab zu sehen.

Im März 2001 inszenierte Raab ein neues Großereignis. Als „Die Boxnacht des Jahres“ kündigte er einen Kampf gegen die Boxweltmeisterin Regina Halmich an, die ihm in „TV Total Boxen extra“ über fünf Runden die Nase blutig schlug. Sensationelle sieben Millionen Menschen sahen zu. Gelegentlich war TV total zu besonderen Anlässen wie der Fußball-WM schon um 20.15 Uhr ausgestrahlt worden, im November 2003 zeigte Pro Sieben erstmals ein abendfüllendes Special zur Primetime: die dreistündige erste „offizielle Wok-Weltmeisterschaft“. Raab  und andere prominente Teilnehmer rasten auf einem Wok eine Bobbahn hinunter, fast fünf Millionen Fernsehzuschauer waren dabei. Es folgten weitere Wok-Meisterschaften, außerdem ein Reitturnier und das TV total-Turmspringen.

Von Ende 2003 bis Frühjahr 2004 lief zusätzlich eine Freitagsausgabe der Show, und Raab suchte in Castingshows unter dem Titel „SSDSGPS“ (Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star) einen Teilnehmer für den deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest. Raab, Joy Fleming und Thomas Anders bildeten die Jury, Elton und Annette Frier moderierten diese Shows. Was als Parodie auf Deutschland sucht den Superstar begann, wurde zu einem seriösen Talentwettbewerb. Der Sieger Max Mutzke schaffte mit Raabs Komposition „Can’t Wait Until Tonight“ einen Nummer-eins-Hit in den deutschen Charts und Platz acht beim Eurovision Song Contest. Für die Entdeckung und Förderung von Musiktalenten wurde Raab 2005 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

Im Februar 2004 wurde Raabs Produktionsfirma zur Zahlung von 70 000 € Schmerzensgeld an die Schülerin Lisa Loch verurteilt. Loch war in einer RTL-2-Sendung über einen Schönheitswettbewerb aufgetaucht, Raab hatte diesen Ausschnitt etliche Male wiederholt und sich mit sexuellen Anspielungen über ihren Namen lustig gemacht. Lochs Gerichtserfolg spornte Nachahmer an, Raab ebenfalls zu verklagen. Ihren Zenit hatte die Show zu diesem Zeitpunkt längst überschritten. Wenn nicht gerade eine besondere Aktion lief, lagen die Zuschauerzahlen meist unter dem Senderschnitt. Die Fernsehausschnitte, die ihm anfangs als Aufhänger für eigene Ideen gedient hatten, sagte Raab nur noch uninspiriert an. Als tägliche Sendung wirkte TV total in der ersten Hälfte wie eine langatmige Version von Zapping und in der zweiten wie eine Werbeshow für Sendungen und Produkte aller Art. Als kreative Zelle für immer neue Programmideen, die dem Sender Aufmerksamkeit bescheren, ist Raab für Pro Sieben jedoch unverzichtbar.


Screenshot: ProSieben. Zwei Gäste werben für ein Produkt aller Art.

Die feste Startzeit von 22.15 Uhr ist zwischenzeitlich aufgeweicht, und es gab eine Phase, in der die Show jeden Tag zu einer anderen Zeit begann. Inzwischen bewegt sie sich wieder auf einen regelmäßigen Sendeplatz zu, jetzt um 23.15 Uhr.

14 Kommentare


  1. es gab eine Phase, in der die Show jeden Tag zu einer Zeit begann.»

    Wie wahr, wie wahr. Wie schön war doch dagegen die gute alte Zeit, da diese Show zu keiner Zeit begann.

  2. Mein Tip: Fernsehgrät abschaffen (!), bei der GEZ abmelden. Alles andere heißt, sich für die Recherche zu opfern oder Masochismus zu frönen.

  3. Frau Zindler sprach (bzw. spricht) aber nicht sächsisch sondern vogtländisch. Das wunderschöne Vogtland liegt zwar in Sachsen, der Dialekt gehört aber zu den Ostfränkischen Dialekten, während das Sächsische zu der Thüringisch-Obersächsische Dialektgruppe angehört.

    Dass das Vogtland heute zu Sachsen gezählt wird haben wir nur dem Suffkopp Heinrich IV zu verdanken, der seine Spielschulden nicht mehr bezahlen konnte und dessen Söhne das Vogtland an den Kurfürsten August (nicht der Starke) verkauften mussten.

  4. so böse zum ende hin :p

  5. TV Total war anfangs einer der besten Unterhaltungssendungen, die es in der Zeit überhaupt gab. Ich habe hier sogar noch das TV Total Best of-Album(!) rumliegen. Leider gibt es diese sendungsinternen Specials und Dauerbrenner praktisch nicht mehr.

  6. Hätte man TV Total weiterhin wöchentlich ausgestrahlt, hätte die Sendung sich deutlich besser gehalten. Durch die tägliche Ausstrahlung ist das Ganze eigentlich nur noch fader Einheitsbrei.

  7. Die öffentlich-rechtlchen sind in sofern fair als das man sich von der GEZ abmelden kann sobald man sich seiner Empfangsgeräte entledigt hat. Das private Fernsehen zahlen wir aber alle weiter und zwar mit jedem Produkt das wir kaufen für das deren Herstellerfirmen in den Privaten Werbung machen. Wir zahlen also eine ‚zweite Mehrwertsteuer‘ selbst dann wenn wir den Mehrwert (das Sendeprogramm) gar nicht nutzen. Und jedes mal wenn Stefan in seiner Sendung seinen obligatorischen Schimpfsatz ‚und dafür zahlen Sie Gebühren‘ ablässt nachdem er einen peinlichen Ausschnitt aus den öffentlich-rechtlichen gezeigt hat, bekomme ich unwillkürlich einen leichten Brechreiz. Obwohl ich sonst Raab gut finde und ich seine zahlreichen Talente, die zweifelsohne vorhanden sind, sehr respektiere.

  8. Aktueller Nachtrag: Ich fasse es nicht. Gerade schaue ich TV-Total (7.4.08 23:19 [es ist gerade Werbepause]) da verfährt doch Raab tatsächlich wieder nach bekanntem, oben beschriebenen, Schema F. Peinlicher Ausschnitt (diesmal mit Florian Silbereisen) gezeigt, üblichen Spruch abgelassen: „Das zahlen SIE mit Ihren Fernsehgebühren, und zwar nicht zu knapp.“ Allerdings folgt jetzt ein interessanter Nachsatz, Raab weiter: „Bei ARD und ZDF zahlen SIE, bei Pro 7 zahlt die Werbeindustrie“. Lieber Stefan. Wer, gleubst Du, bezahlt denn die Werbeindustrie? Diese überflüssigste alle Pseudoindustrien mit NULL Wertschöpfung. Klar es sind wir, die, die Produkte kaufen für die deren Hersteller in DEINEM Sender Werbung schalten und dir damit ein Auskommen geben. So sieht das aus, mein Lieber. So und nicht anders.

  9. Marcus, ach Marcus, dass ist ganz großer Mumpitz, den Sie da herummeinen.

  10. Nils die Maus,

    Ich finde ja viel lustiger die beiden illustren Gäste da bei Raab auf der Couch, die in dem Screenshot „Allerlei“ bewerben 😀

  11. […] Michael: TV Total. […]

  12. […] gesucht wird. Wollen das Menschen sehen, die normales Gewicht haben? Scheiße, dass ich gestern bei TV Total eingeschlafen bin, so war heute ProSieben der erste Sender. Und ganz schnell […]

  13. […] Bart und Kappe erst noch eine Minute anmoderieren. Dann aber hält ein Reporter in bester “TV total” Manier Passanten ein Micro vor die Nase. Ob die Befragten auch nur Quatsch gefragt werden, […]

  14. Elton auf der Guardian-Website:

    http://www.guardian.co.uk/news/gallery/2010/feb/03/1?picture=358897709



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