Verdeckte Ausstrahlung
Wenn eine US-Serie schon in der Heimat nach weniger als 13 Folgen abgesetzt wird, erreicht sie das deutsche Fernsehen in vielen Fällen gar nicht erst. Warum auch? Oft kaufen Sender allerdings große Programmpakete bei Produktionsriesen, die dann auch solchen Restmüll enthalten. Womöglich zur Polsterung der Erfolgsware, wie wenn man ein Paket verschickt und es mit alten Zeitungen ausstopft. Und für diese Fälle gibt es dann Restmüll-Sender wie RTL Nitro, die dafür da sind, das zu senden, was ihre großen Muttersender für nicht mehr oder gar nicht erst verwertbar halten.
Undercovers ist ein solcher Restmüll, dessen wenige Folgen ab heute um 22.00 Uhr in Dreierblöcken bei RTL Nitro versendet werden. Dabei hatte der Sender NBC große Hoffnungen in die Agentenserie von J.J. Abrams gesteckt, die als eine Art modernes Hart aber herzlich daherkommen sollte und durch eine ungewöhnliche Hauptdarsteller-Paarung auffiel. Nicht nur waren beide schwarz — ja, das ist immer noch ungewöhnlich im US-TV — keiner von ihnen war Amerikaner. Boris Kodjoe war in Gundelfingen bei Freiburg aufgewachsen und als Jugendlicher Fan von Simon & Simon. Kodjoe freute sich deshalb besonders, mit Gerald McRaney, einem der damaligen Hauptdarsteller, gemeinsam in Undercovers spielen zu dürfen. Wenn auch nicht sehr lange.
Undercovers startete im September 2010 in den USA und war abgesetzt, bevor das Jahr zu Ende war. Es gibt keinen Grund, sich intensiver mit der Serie zu befassen, aber es reicht mir als Anlass, den Fernsehlexikon-Podcast noch einmal auszugraben, in dem Boris Kodjoe vor vier Jahren während einer Drehpause von früher erzählte, von seinen Lieblingsserien und vom Produktionsvorlauf im amerikanischen Fernsehen. Genau wie wenig später die Serie endete auch unser Telefonat damals vorzeitig. Kodjoe musste es unterbrechen, weil er zur Arbeit gerufen wurde und rief danach nie zurück.
Verfahrene Situation
Weil die meisten CSI-Serien inzwischen bei RTL laufen und Vox ja wirklich nicht auf jedem Sendeplatz Criminal Intent zeigen kann, war klar, früher oder später würde mal wieder eine neue Krimiserie kommen müssen. Heute ist es so weit. Gleich nach den neuen Folgen von Criminal Intent. Es wird kein sehr langes Gastspiel für Standoff, weil die Serie in den USA nach 18 Folgen abgesetzt wurde, doch bis dahin kann es sich lohnen, mal reinzuschauen. Es geht um Krisensituationen, vorwiegend Geiselnahmen, und um die beiden FBI-Verhandler, die sie mit Geduld und Worten zu einem Ende bringen.
Foto: Vox
Hauptdarsteller Ron Livingston, Träger der goldenen Peter-Gallagher-Ähnlichkeitsmedaille 2006, spielt einen Mann, der zwar keine Probleme hat, einen bis an die Zähne bewaffneten Terroristen mit sensiblen Worten zur Vernunft zu bringen, ist aber völlig überfordert, wenn er den aktuellen Stand der gemeinsamen Beziehung mit seiner Kollegin (Rosemarie DeWitt) ausdiskutieren soll. Die beiden sind privat und beruflich ein Team, aber beruflich ebenso wie privat nicht immer einer Meinung – und sich doch ähnlich.
Der Einsatzbefehl wurde gegeben! Du verstößt dagegen, und du setzt dich einem Risiko aus. Du verhältst dich wie ich!
Die Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren stimmt, und ihre Dialoge machen einen Teil des Reizes der Serie aus. Spannend ist sie sowieso. Das lässt sich gar nicht vermeiden, wenn man sich Geiselnahmen, Bombendrohungen und das Spiel auf Zeit als Thema für seine Serie aussucht und sein Handwerk auch nur einigermaßen beherrscht. Aber dann sind da noch ein paar zusätzliche Kleinigkeiten, die die Serie vom Standard abheben, wie die Szene, in der ein Selbstmordattentäter droht, ein Café in die Luft zu sprengen: Das Handy eines Cafégastes klingelt, und der Klingelton ist eine Instrumentalversion des M.A.S.H.-Titelsongs. Er heißt „Suicide Is Painless“. Das ist so subtil wie makaber und einfach gut gemacht, und wer das Lied nicht kennt, merkt’s gar nicht, stört sich aber auch nicht daran.
Da macht es auch nichts, dass die restlichen Figuren um die beiden Protagonisten herum klischeehaft gestrickt sind und sich entsprechend vorhersehbar verhalten, zum Beispiel der rigorose Leiter des SWAT-Teams, der eigentlich immer nur stürmen statt verhandeln will. Die spielen sowieso keine sonderlich große Rolle, und die beiden, die es tun, sind unterhaltsam anzusehen.
Die Serie wird weder große Diskussionen wie Dexter auslösen noch die Zuschauer in zwei Lager spalten, dafür ist sie nicht „besonders“ genug. Doch ebenfalls im Gegensatz zu Dexter wird sie vermutlich eine recht passable Anzahl an Zuschauern erreichen.
Standoff, mittwochs um 21.10 Uhr bei Vox.
Verflucht – Die Jagd geht ein
Bei RTL Crime, einem Sender, den niemand sieht, läuft heute (und den Rest der Woche noch viermal) die erste Folge der Thrillerserie Auf der Flucht – Die Jagd geht weiter, gerade mal acht Jahre nach der US-Premiere.
Mit ihr ist ein schönes Beispiel verbunden, wie sehr Menschen, die beruflich Fernsehen machen, in ihren Einschätzungen daneben liegen können.
Im Herbst 2000 setzte der Sender CBS in den USA seine ganze Stärke dafür ein, diese Serie zu bewerben: Alles, was an Kraft, Personal und Budget zur Verfügung stand, wurde mobilisiert. Den ganzen Tag liefen Werbetrailer, auf riesigen Plakatwänden und Bussen wurde die Serie in allen amerikanischen Großstädten beworben. Diese Serie sollte das Zugpferd der neuen Saison sein, sie war unter allem, was im Angebot war, der unbestrittene Höhepunkt, das Prestigeobjekt des Jahres.
Foto: RTL
Vieles sprach für einen Erfolg: Sie war mit Tim Daly in der Hauptrolle des Dr. Richard Kimble prominent besetzt, recht gut umgesetzt und zudem die Neuauflage eines bekannten und mehrfach bewährten Themas: In den 60er-Jahren hatte Richard Kimble in Auf der Flucht, während er selbst beschuldigt war, schon einmal den Mörder seiner Frau gesucht, in den 90er-Jahren hatte er es in einer gleichnamigen Kinoverfilmung mit Harrison Ford erneut getan. Warum sollte es nicht ein drittes Mal funktionieren?
Es funktionierte nicht. Die meisten Zuschauer erinnerten sich vielleicht noch daran, dass Kimble den Mörder am Ende ja ohnehin findet und er selbst freigesprochen wird, und so fand Kimble den Mörder diesmal nicht, weil die Serie vorher abgesetzt wurde. Sie erlebte nur eine Staffel.
Am selben Tag, an dem Auf der Flucht – Die Jagd geht weiter erstmals auf Sendung ging, startete direkt im Anschluss eine weitere neue Krimiserie, die erst in letzter Sekunde überhaupt den Weg ins Herbstprogramm gefunden hatte, weil man bei CBS nie so richtig vom Konzept überzeugt gewesen war. Sie war vor dem Sendestart kaum beworben worden, entweder, weil man immer noch kein Vertrauen in sie hatte, oder weil man davon ausging, dass Auf der Flucht – Die Jagd geht weiter als Vorprogramm sie ohnehin einigermaßen mitziehen würde. Diese Serie hieß CSI.
Vergangenheitsbewältigung
Der folgende Text hat keinerlei aktuellen Bezug. Er bezieht sich auf eine Sendung vom 7. November 2010, die damals aber zum Glück auch keinerlei aktuellen Bezug hatte.
Beobachtung, Fotos und Text stammen von unserem Leser Marco, dem ich herzlich danke und bei dem ich mich herzlich entschuldige, dass seine Mail drei Monate in meinem Postfach ruhte, aus Gründen, die wir jetzt mal unter den Teppich kehren wollen.
Knorr sponsert Anti-Fertigprodukt-Unterrichtsstunde
Vox, Die Küchenchefs: Waldschänke, Berlin. Gegen Ende der Sendung kehren die Küchenchefs Ralf Zacherl und Martin Baudrexel in das Restaurant zurück, in dem sie darauf gepocht haben, die Karte zu verkleinern und das Angebot von Tiefkühlkost, Instant-Suppen und Ähnlichem auf frische Produkte umzustellen. Dies war die ganze Sendung hindurch betont worden, weil Zacherl & Co. anfangs entdeckt hatten, dass auf der Speisekarte von der Verwendung ausschließlich frischer Produkte die Rede war, während tatsächlich eher das Gegenteil stimmte.
“Vor vier Wochen füllten die Fertigprodukte noch ein ganzes Regal“, sagt der Sprecher hier, „heute sind sie gänzlich verschwunden. Auf der neuen schlanken Karte stehen nur noch zwölf Hauptgerichte.“
Hier sagt Baudrexel: „Das hier war das berühmte Regal des Todes. Hier ist nix mehr, das Regal ist weg, es duftet hier drin, da unten steht eine Suppe mit Lauch. Ich find’s toll, ich bin wirklich schwer beeindruckt, ich bin wirklich begeistert, ich hoffe, dass es jetzt auch so schmeckt.“
Und hier blendet Knorr, während die Köche in den Gastraum gehen, Werbung für seine Tütensuppe ein:
Erneuten Dank an Marco!
Vergissmeinnicht
1964–1970 (ZDF). Erfolgreiche Spielshow von und mit Peter Frankenfeld zugunsten der Fernsehlotterie Aktion Sorgenkind, die außerdem in Zusammenarbeit mit der Post die neu eingeführten Postleitzahlen populär machen sollte.
In drei Runden spielen Kandidaten gegeneinander, die Frankenfeld aus dem Saalpublikum ausgewählt hat. Jede Sendung hat ein Oberthema, mit dem alle Spiele zu tun haben; meist sind Reaktions- oder Geschicklichkeitsspiele zu bewältigen. Die Gewinne werden anschließend durch Drehen an einem Glücksrad ermittelt. Mit den Spielrunden verbunden ist ein Gewinnspiel für die Fernsehzuschauer: Aus den drei Runden ergeben sich drei Städte als Lösungen, deren Postleitzahlen die Zuschauer addieren und als Lösung auf vorgedruckten Postkarten einsenden sollen. Diese enthalten auf der Rückseite zwölf Felder; in vier davon müssen die Zuschauer je eine Wohlfahrtsmarke kleben. Der Erlös aus deren Verkauf kommt der Aktion Sorgenkind zugute, abzüglich der ausgeschütteten Gewinne für die Glücklichen, die die richtige Lösung haben und deren Karten gezogen werden. Neben den Spielen gibt es Musik und komödiantische Einlagen Frankenfelds allein oder mit prominenten Gästen.
Außer Frankenfeld wirkten stets mit: seine Assistentin Brigitte, Max Greger und sein Orchester, das ZDF-Ballett, Victoria Voncampe als Gewinnspielleiterin und der Postbote Walter Spahrbier, der den Umschlag mit den Siegern aus einer schwarzen Lederumhängetasche zieht. Spahrbier war bereits durch Frankenfelds frühere Sendung 1:0 für Sie bekannt geworden. Die Bühnendekoration, die sich dem jeweiligen Oberthema anpasste, hat Frankenfeld immer selbst entworfen.
Vergissmeinnicht war der größte Erfolg Peter Frankenfelds und hatte hervorragende Quoten. Doch die Bedeutung der Show war weit größer, als sich in Zuschauerzahlen und Popularität messen lässt. Mit ihr wurde die Aktion Sorgenkind ins Leben gerufen, sodass Frankenfeld Geburtshelfer sowohl der ARD- als auch der ZDF-Fernsehlotterie war. (Ein Platz an der Sonne entstand aus 1:0 für Sie.) Im Anschluss an die fröhliche Show trat Hans Mohl auf, der das Konzept für die Spendenaktion entwickelt hatte, und zeigte drastische Bilder, um die Not behinderter Menschen in Deutschland deutlich zu machen – in dieser Form hatte es die Mischung aus Information und Unterhaltung vorher nicht gegeben. Für den guten Zweck kamen während der Laufzeit der Show mehr als 34 Millionen DM zusammen. 1970 erhielt Peter Frankenfeld das Bundesverdienstkreuz und verstand es als Auszeichnung dafür, Vorurteile gegenüber Behinderten mit abgebaut zu haben.
Aber auch die Wohlfahrtsmarken machte Frankenfeld mit Vergissmeinnicht als besonders einfachen Weg des Spendens populär. Frankenfeld war bereits Anfang der 60er-Jahre mit der Idee an den damaligen Postminister Richard Stücklen herangetreten, dass die Absender zusätzliche Wohlfahrtsmarken auf Karten kleben, die die Post entwertet und deren Wert sie an die Lotterie und den guten Zweck weitergibt. Der winkte jedoch ab: Die Post werde Geld, das sie einmal eingenommen habe, nicht mehr hergeben.
Als die Post kurz darauf nach Wegen suchte, für den Gebrauch ihrer gerade eingeführten, aber von der Bevölkerung weitgehend ignorierten Postleitzahlen zu werben, war Frankenfelds Stunde gekommen. Dass die Wohlfahrtsmarkenlotterie an Postleitzahlenwerbung gekoppelt werden sollte, überzeugte den Minister schließlich. Die Kosten ließen sich aus dem Werbeetat der Post bestreiten. Der Titel Vergissmeinnicht, den die Post schon seit 1962 für ihre Postleitzahlen verwendete, bekam auf diese Weise doppelte Bedeutung: Er bezog sich nun auch auf die Behinderten.
Das fertige Konzept hatte Frankenfeld ursprünglich dem WDR für die ARD angeboten. Der schickte es ihm mit einem Formbrief („… zu unserer Entlastung …“) zurück. So gelang es dem gerade erst gegründeten ZDF, seinen größten Star an Land zu ziehen. Die Show lief seit Oktober 1964 einmal im Monat; ab Folge 26 Ende August 1967 wurde sie in Farbe ausgestrahlt. Insgesamt liefen 47 Ausgaben, dann fand man die Sendung und ihren Moderator beim ZDF nicht mehr zeitgemäß. Nicht einmal mehr die 50 ließ man Frankenfeld voll machen, wie er es sich wünschte. Seine nächste ZDF-Sendung lief nur im Vorabendprogramm: Sie und Er im Kreuzverhör. Nachfolgesendung von Vergissmeinnicht wurde Drei mal neun.
Vergleichsgegenstände
Eigentlich wollte ich über die Nominierten für den Deutschen Fernsehpreis, die heute Abend bekanntgegeben wurden, traditionell schweigen, weil man eine Preisverleihung nicht ernst nehmen kann, die jedes Jahr neue Kategorien erfindet und innerhalb der Kategorien Äpfel mit Lokomotiven vergleicht. Aber was soll’s, denn es gibt auch Lichtblicke: Für die „Beste Comedy“ ist TV-Helden nominiert, eine innovative, witzige Mischung aus intelligenter Satire und Erregung öffentlichen Ärgernisses, die RTL Anfang des Jahres versehentlich ins Programm genommen hatte, bevor der Sender zum gewohnten Niveau zurückkehrte. Die Helden treten in ihrer Kategorie gegen die vielversprechende heute-show des ZDF an und gegen Horst Schlämmer als solchen. Exemplarisch wird seine Pressekonferenz vom 4. August angeführt. Zwei Comedyshows und eine Pressekonferenz müssen sich also messen. Ein Einzelereignis einer Kunstfigur, das zufällig im Fernsehen übertragen wurde, mit zwei geschriebenen und produzierten Show-Reihen. Dazu braucht man schon einen ordentlichen Knick in der Messlatte.
Aber wir sprechen schließlich von dem Preis, mit dem Oliver Welke 2001 als „Beste Sportsendung“ ausgezeichnet wurde. Doch, doch: Den Preis in einer Sendungkategorie erhielt damals explizit eine einzelne Person. Hach, früher war alles genauso!
Ähnlich unlogisch geht es in der Kategorie „Beste Unterhaltungssendung/Moderation“ zu, und damit meine ich nicht einmal, dass Willkommen bei Mario Barth nominiert ist, sondern dass Schlag den Raab als Gesamtwerk nominiert ist, also wohl die durchschnittliche Leistung über die Dauer einer ganzen Fernsehsaison beurteilt wird, als Gegner aber die Einzelausgabe von Wetten, dass…? vom 13. Dezember 20o8 hat. Kann bitte mal jemand Struktur in diesen Sauhaufen bringen? Entweder werden ganze Staffeln nominiert oder einzelne Beispielsendungen, aber doch bitte nicht heute Hü und in anderthalb Sekunden Trullala! Mal ganz abgesehen davon, dass schon der Sammelname der Kategorie völlig außer Acht lässt, dass durchaus gute Sendungen von schlechten Moderatoren präsentiert werden und ebenso gute Moderatoren in schlechten Sendungen festsitzen könnten.
Wären die Juroren des Deutschen Fernsehpreises für politische Meinungsumfragen zuständig, würde die Sonntagsfrage im Politbarometer vermutlich den Bundesdurchschnitt für die CDU dem SPD-Ergebnis unter Schnauzbartträgern in Köln-Nippes gegenüberstellen, und abgefragt würde vermutlich nicht nur die Beliebtheit von Parteien, sondern auch von Mähdreschern.
Schließlich schlage ich noch eine Umbenennung einer anderen Kategorie vor. Als „Beste Serie“ sind neben der BR-Serie Franzi allen Ernstes die altertümliche Klischeeserie Der Lehrer und die tumbe Kuttenklopperei Lasko — Die Faust Gottes nominiert, beide RTL. Da die deutschen Privatsender, die in den Unterhaltungs-, Comedy- und Serienkategorien gewöhnlich reichlich nominiert werden, damit sie überhaupt was gewinnen, so gut wie aufgehört haben, eigene Serien zu zeigen, standen die Juroren offensichtlich bei der Frage, was man nominieren könnte, vor einem Problem. Angemessen wäre deshalb eine Umbenennung der Kategorie von „Beste Serie“ in „Ausgestrahlte Serie“.
Dass man am Deutschen Fernsehpreis am Vorabend der Bundestagswahl dennoch Spaß haben kann, liegt allein an Sat.1, das von Beginn an als einziger Sender verstanden hat, dass diese Veranstaltung nur dann auch für Zuschauer reizvoll sein kann, wenn die Selbstbeweihräucherung der Fernsehschaffenden nicht auch noch von Moderatoren begleitet wird, wie sie RTL, ARD und ZDF seit zehn Jahren ins Rennen schicken, die immer wieder betonen, wie unglaublich wichtig das alles ist, sondern von Unterhaltern unterbrochen wird, die aus der langatmigen Gala noch ein paar Lacher rausholen können. 2001 moderierte Hape Kerkeling, 2005 Hugo Egon Balder, jeweils an der Seite von Anke Engelke. Diesmal verkleiden sich Anke Engelke und Bastian Pastewka als volkstümelndes Moderationsehepaar Wolfgang und Anneliese und werden hoffentlich retten, was zu retten ist. Vielleicht werden sie dafür nächstes Jahr wieder für einen Deutschen Fernsehpreis nominiert, zum Beispiel in der Kategorie „Bester Galaabend/Schraubstock“, zusammen mit der zweiten Halbzeit eines DFB-Pokalspiels und einem Klavier.
Verkehrsgericht
1983–2001 (ZDF). 90-minütige Gerichtsshow, in der Verhandlungen von Verkehrsdelikten nachgestellt wurden. Moderatorin war Petra Schürmann.
Vor der Verhandlung wurde zunächst der Fall in einer Aktenzeichen-XY-artigen Spielhandlung gezeigt. Außerdem wurde die Verhandlung hin und wieder durch die Einschätzungen eines Versicherungsfachmanns unterbrochen, der auf Schürmanns Fragen antwortete.
Initiator der Reihe war Ruprecht Essberger, der bereits Ehen vor Gericht und Das Fernsehgericht tagt verantwortet hatte. Das ZDF zeigte die Reihe in loser Folge im Abendprogramm. 2000 ließ es alle drei seiner langjährigen Justizsendungen auslaufen, neben dieser auch Wie würden Sie entscheiden? und Ehen vor Gericht. Vom Verkehrsgericht wurden im folgenden Jahr noch drei Folgen am Samstagnachmittag ausgestrahlt, die zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre alt waren.
Verlass den Raab
Der hervorragende Moderator von Schlag den Raab, Matthias Opdenhövel, der dafür mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, findet es spannender, Beiträge über bereits beendete Fußballspiele anzusagen, und wechselt deshalb in diesem Sommer zur ARD, um vor allem die Sportschau zu moderieren. Damit verlieren die einzigen beiden bedeutenden Samstagabendshows im deutschen Fernsehen im gleichen Jahr ihren jeweils prägenden Moderator.
Weil ProSieben aber nicht das ZDF und Matthias Opdenhövel nicht Thomas Gottschalk ist, moderiert er seine letzte Sendung nicht erst in einem halben Jahr, und danach noch ein Special und drei abendfüllende Best-ofs, bevor die Sendung in eine neunmonatige Pause geschickt wird, sondern gar keine mehr. Schon bei der nächsten Ausgabe von Schlag den Raab übernächste Woche wird er nicht mehr dabei sein.
ProSieben hätte zwei passende Nachfolger in den eigenen Reihen gehabt: Oliver Pocher steht bei ProSiebenSat1 unter Vertrag, hat aber gerade keine Sendung. Er hat früher schon mit Raab zusammengearbeitet und besitzt die nötige Frechheit, ihn in bekannter Opdenhövel-Manier in seine Schranken zu weisen. Das gilt auch für Elton, der ohnhehin in jeder Sendung das Spiel „Blamieren oder kassieren“ moderiert und inzwischen die nötige Erfahrung und Souveränität besitzt, gleich die ganze Sendung zu übernehmen.
Stattdessen hat ProSieben umgehend Steven Gätjen als neuen Moderator bekanntgegeben.
Steven Gätjen.
Wahrscheinlich war er halt gerade da.
Das ist so, als würde Jörg Pilawa Wetten, dass…? übernehmen. Welch abwegige Vorstellung.
Verliebt in aller Welt
Der Anfang macht Hoffnung. Schon nach wenigen Minuten fällt in Alles Betty, der US-Adaption einer kolumbianischen Telenovela, aus der bereits die deutsche Telenovela Verliebt in Berlin wurde, der Satz: „Ich hasse Telenovelas“. Leider hält die Selbstironie nicht lang, und nach kurzer Zeit kommt die Serie eher wie eine klassische Soap daher: Mit Feindschaften am Arbeitsplatz, fiesen Intrigen und düsteren Geheimnissen. Dazu kommt, dass Hauptdarstellerin America Ferrera und ihr Serienboss Eric Mabius zwar sehr ordentlich spielen, der Rest dafür um so übler, aber wiederum nicht übel genug, dass man es für eine Parodie halten könnte. Ein paar völlig überzeichnete Klischee-Charaktere sollen wohl der Comedyfaktor sein.
Dennoch muss irgendetwas dran sein, denn sonst wäre „Ugly Betty“ in den USA kein so großer Erfolg, und sonst wäre die Serie nicht in jedem Land, in dem bisher eine eigene Version auf Sendung ging, ein so enormer Erfolg gewesen. Es mag die Tatsache sein, dass endlich mal keine ausgesprochene Schönheit im Mittelpunkt einer Serie steht, sondern eine normal bis hässlich aussehende, naive und tollpatschige, aber selbstbewusste Frau, die für viele eine Identifikationsfigur ist. Natürlich ist das gar keine Tatsache, denn in Wirklichkeit hat man wie üblich einer ausgesprochenen Schönheit eine Brille auf- und eine Zahnspange eingesetzt und ihr ein paar künstliche Fettpolster unters Kostüm gesteckt. Es mag die sich anbahnende Liebesgeschichte sein, die voraussetzt, dass der schöne Chef lernen wird, hinter die optische Fassade zu blicken. Es mag sein, dass die Serie ein paar Folgen braucht, bis sie in Fahrt kommt. Hat’s ja schon öfter gegeben, und ich habe bisher nur die ersten beiden gesehen. Es mag aber auch einfach sein, dass Telenovelas nichts für mich sind und ich mich aus dem Thema raushalten sollte.
Wer Verliebt in Berlin mit Lisa Plenske mochte, wird wohl auch Alles Betty lieben, obwohl es natürlich enorme Unterschiede gibt: Die deutsche Version spielte in einem Modeunternehmen, die amerikanische bei einer Modezeitschrift. Das ist ja was völlig anderes.
Alles Betty, freitags um 20.15 Uhr in Sat.1
Verliebt in Berlin
Seit 2005 (Sat.1). Dt. Telenovela.
Auf der Suche nach dem großen Glück zieht die grundgute Lisa Plenske (Alexandra Neldel) aus der kleinen in die große Stadt: Berlin! Sie will in der Modebranche groß rauskommen, bekommt im anvisierten Konzern Kerima Moda aber nur einen Job im Catering. Dafür verliebt sie sich sofort in den neuen Geschäftsführer David Seidel (Mathis Künzler). Der ist natürlich bereits liiert: mit seiner Jugendliebe Mariella von Brahmberg (Bianca Hein), deren Bruder Richard (Karim Köster) und Mutter Sophie (Gabrielle Scharnitzky) seine bösen Geschäftsrivalen sind. Zum Glück hat Lisa viel Zeit, das alles zu regeln. In dieser Zeit arbeitet sie sich im Unternehmen hoch. Zunächst wird sie Davids Assistentin, der das hässliche Entlein mit Brille und Zahnspange aber kaum beachtet. Erst allmählich wird er auf sie aufmerksam und lernt sie als Arbeitskraft wie als Mensch zu schätzen. Sie rettet ihm ein paarmal den Kopf, dann das Leben und später die Firma. Gleichzeitig tritt ein weiterer Mann in ihr Leben: Robert Konrad „Rokko“ Kowalski (Manuel Cortez) buhlt um Lisa, und auch Lisa fühlt sich zu ihm hingezogen. Sie ist zwar immer noch ein hässliches Entlein, aber keine graue Maus mehr. Sie hat an Selbstbewusstsein gewonnen, die Karima-Moda-Tochterfirma B.Style geführt und wird schließlich sogar Geschäftsführerin und Mehrheitseignerin des Unternehmens Kerima Moda selbst, in dem sie als Aushilfskraft angefangen hat. Andere Mitarbeiter sind die feindselige Sekretärin Sabrina Hofmann (Nina-Friederike Gnädig) und der ebensolche Chefdesigner Hugo Haas (Hubertus Regout), dessen Assistentin Hanna Refrath (Laura Osswald), Davids Schwester Kim (Lara-Isabelle Rentinck) und der Laufbursche Timo Pietsch (Matthias Dietrich). Lisas beste Freunde sind der Kioskbesitzer Jürgen Decker (Oliver Bokern) und die Köchin Agnes Hetzer (Susanne Szell).
Am Ende muss sie sich entscheiden zwischen Rokko, dessen Heiratsantrag sie schon angenommen hat, und David, der seine Liebe für Lisa entdeckt und ebenfalls um ihre Hand angehalten hat. Schließlich lässt sie Rokko im großen Finale vor dem Altar stehen und heiratet David, mit dem sie buchstäblich davonsegelt.
Sat.1 verband auf den ersten Blick das Format der kurz zuvor vom ZDF eingeführten Telenovela (Bianca – Wege zum Glück) mit der Idee der ARD-Serie Berlin, Berlin und der Handlung von Samt und Seide –– auf den zweiten Blick war es eine Adaption der kolumbianischen Telenovela „Yo soy Betty, la fea“. Womit kaum jemand gerechnet hatte: Die Serie wurde ein Erfolg, und Sat.1 sanierte mit ihr seinen Vorabend. Sendeplatz der halbstündigen Folgen war werktags um 19.15 Uhr. Schon in der ersten Woche erreichten die Marktanteile in der Zielgruppe 20 Prozent, und sie stiegen kontinuierlich an. Mehrmals wurde die ursprünglich auf 225 Folgen angelegte Serie verlängert, und hätte Hauptdarstellerin Alexandra Neldel nicht endlich Brille und Zahnspange ablegen wollen, hätte Sat.1 die Dreiecksbeziehung wohl noch ewig gestreckt. Lisas Traumhochzeit in Folge 364 widmete der Sender am 1. September 2006 einen ganzen Abend, beginnend mit einer Countdown-Show um 19.15 Uhr und endend mit einer großen Starparade um 22.15 Uhr. Das eigentliche Finale war eine spielfilmlange Folge um 20.15 Uhr, die mehr als sieben Millionen Zuschauer erreichte, was sie für Sat.1 in der werberelevanten Zielgruppe zur reichweitenstärksten Sendung des Jahres machte (Marktanteil: 38,6 Prozent).
Und was hätten sie sich gefreut, wäre es so weitergegangen. Euphorisch setzte Sat.1 die Serie trotz dem soeben gesehenen Ende fort und schickte einen neuen Hauptdarsteller ins Rennen: Ausgerechnet jetzt verschlug es Lisas Halbbruder Bruno Lehmann (Tim Sander) ebenfalls nach Berlin und ebenfalls zu Kerima Moda, wo er sich so lange in die Jungdesignerin Nora Lindbergh (Julia Malik) verliebte, bis Sat.1 der ständige Quotenschwund zu bunt wurde und Hannah Refrath zurückkehrte, die schon in den Plenske-Jahren von Anfang an dabei war und nun als ein Drittel einer neuen Dreiecksbeziehung herhalten musste, deren letztes Drittel Davids Schwester Kim Seidel war. Auch das brachte keinen Aufschwung, und im April 2007, knapp neun Monate nach ihrem endgültigen Ausstieg, kehrt Alexandra Neldel vorübergehend als Lisa Plenske zurück.
Verliebt in Berlin wurde 2005 mit dem Deutschen Fernsehpreis als beste tägliche Serie ausgezeichnet und erhielt außerdem in Luzern zwei Goldene Rosen: als beste Soap und für Neldel als beste Soap-Darstellerin.
Die Serie sollte ursprünglich „Alles nur aus Liebe“ heißen. Aber dann fiel Sat.1 auf, dass die Fans von Soaps und Serien die Titel gerne abkürzen, wie bei „GZSZ“, was in diesem Fall nicht ganz so erwünscht gewesen wäre.
Mit dem Titelsong „Liebe ist“ gelang Nena ihr erster Nr.1-Hit seit „99 Luftballons“ 23 Jahre zuvor.
Ende April 2007 startet Sat.1 Alles Betty, die US-Adaption der gleichen kolumbianischen Telenovela.
Die Folgen mit Lisa Plenske sind komplett auf DVD erschienen, die weiteren erscheinen ebenfalls nach und nach.