Tod eines Schülers
Foto: ZDF
1981 (ZDF). 6-tlg. dt. Problemserie von Robert Stromberger, Regie: Claus Peter Witt.
Der Abiturient Claus Wagner (Till Topf) begeht Selbstmord, indem er sich vor einen fahrenden Zug wirft. Kommissar Löschner (Hans-Helmut Dickow) ermittelt im Umfeld des Schülers und befragt dessen Eltern Horst (Günter Strack) und Yvonne (Eva Zlonitzky) sowie Freunde und Lehrer.
Nach der ersten Folge, in der die Polizei den Fall aufrollte, zeigte jede der weiteren einstündigen Episoden das Leben des Schülers Claus im Rückblick aus der Sicht eines anderen Menschen aus seinem Umfeld.
Die Serie kam bei Zuschauern und Kritik an und wurde 1981 mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. Einige Elternverbände übten jedoch massive Kritik. Diskutiert wurde vor allem, ob die Serie möglicherweise das Gegenteil dessen erreichte, was sie wollte und Jugendliche zur Nachahmung animierte. Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim legte eine Statistik vor, nach der unmittelbar nach der Erstausstrahlung der Serie und nach ihrer Wiederholung im Folgejahr die Zahl der Jugendlichen, die sich auf Eisenbahnschienen das Leben nahmen, um 175 Prozent gestiegen war. Das ZDF gab später zwei eigene Gutachten in Auftrag, die zu dem Ergebnis kamen, dass ein solcher Zusammenhang nicht beweisbar sei.
Tokio Hotel: US-TV-Debüt nachts um halb zwei
Tokio Hotel sind jetzt Weltstars. Wenn man ungefähr allen deutschen Medien glauben darf, gibt es in den USA gerade nichts Heißeres als die Magdeburger Krabbelgruppe, weil sie „als erste deutsche Band“ in einer großen amerikanischen Fernsehshow aufgetreten sei.
Das mag soweit richtig sein, denn Einzelpersonen sind ja keine Band. Der letzte deutsche Popstar, der in einer (größeren) amerikanischen Fernsehshow auftrat, war vor acht Jahren Lou Bega mit „Mambo No. 5″ in der Tonight Show with Jay Leno, und wir wissen ja alle, welch unaufhaltsame Weltkarriere Lou Bega seitdem macht.
Das amerikanische Fernsehdebüt von Tokio Hotel war am sehr späten Freitagabend in Late Night with Conan O’Brien. Conans Show beginnt um 0.35 Uhr, und Tokio Hotel waren die musikalischen Gäste vor dem Abspann eine Stunde später. Conan O’Brien ist einer der größten Fernsehstars der USA, aber mehr als zwei Millionen Zuschauer hat er zu dieser Zeit auch nicht mehr. Der Auftritt in Wetten, dass…? dürfte in höheren Plattenverkäufen resultiert haben. Dennoch rangiert das englischsprachige Album „Scream“ beim Onlinehändler amazon.com immerhin unter den Top 200. Es kostet dort gerade 7,99 Dollar, umgerechnet etwas mehr als fünf Euro.
Und auch die renommierten amerikanischen Musikmagazine seien begeistert, vermelden deutsche Medien euphorisch. Im „Rolling Stone“ liest sich diese Begeisterung so:
Es ist offiziell: Diese Jungs sind die größte deutsche Bubblegum-Neo-Glam-Goth-Emo-Boy-Band. Aller Zeiten. (…) Das ist vor allem Leadsänger Bill Kaulitz zu verdanken, ein 18-jähriger Androgyne, dessen gewaltige Elektroschock-Frisur etwa 15 Zentimeter höher absteht als Tina Turners 80er-Schnitt. Kaulitz‘ Gesangstechnik ist beschränkt, aber er hat das Charisma eines natürlichen Frontmanns. (…) Seine sonderbare englische Aussprache — er spricht „eyes“ wie „ice“ — trägt zusätzlich zu seinem Charme bei.
Wertung: Dreieinhalb von fünf möglichen Sternen. Das ist in der Tat ziemlich gut und alles sehr schön für die Band, und womöglich schicken sie sich tatsächlich an, die erfolgreichsten deutschen Popstars in den USA zu werden. Das würde ich ihnen sogar gönnen. Man sollte nur die Dimensionen nicht unbedingt glauben, die deutsche Medien gern aus den USA berichten. Dass morgens in aller Herrgottsfrühe Menschenscharen vor den New Yorker NBC-Studios Schlange stehen, um Tickets für Conan O’Brien zu bekommen, hat nämlich nicht zwingend mit Tokio Hotel zu tun. Das ist jeden Morgen so.
Sie wissen schon, dieselben deutschen Medien, die auch den Eindruck erwecken, als ginge es im Rennen um die amerikanische Präsidentschaft nur um die Frage, ob es Barack Obama oder Hillary Clinton wird.
Bis auf den „Stern“. Der hält es sogar für möglich, dass Bill Kaulitz Präsident wird.
Tolle Sachen
Seit 2000 (Ki.Ka). Kurze Werbeparodie für Kinder.
Eine Moderatorin stellt mit Hilfe eines technischen Sachverständigen und einem nicht ganz freiwilligen Dauertestkandidaten tolle Sachen vor. Einen Löffel. Eine wahnsinnige Zahnbürste. Einen Lügendetektor. Oder ein aufregendes Ding, das leider in eine dieser Ploppfolien verpackt ist, sodass sich keiner mehr um das aufregende Ding kümmert, sondern alle die Luftblasen der Folie aufploppen. Ach ja, und die Moderatorin ist ein Schaf namens Chili, der technische Sachverständige ein Busch namens Briegel und der nicht ganz freiwillige Dauertestkandidat das depressive Kastenweißbrot Bernd mit viel zu kurzen Armen. Bernd wäre nicht ganz so depressiv, wenn man ihn einfach tun ließe, was er am liebsten tut: einen Teller Mehlsuppe essen und dann das Muster seiner Raufasertapete anstarren. Lässt man ihn aber nicht. »Mist!«
Tolle Sachen war die erste Sendung mit Bernd, dem Brot, der der wohl unwahrscheinlichste Star in der Geschichte des Kinderfernsehens wurde. Später trat er noch in Chili TV auf und musste in Bravo Bernd das Sandmännchen für die nicht mehr ganz so jungen Zuschauer geben. Erfinder von Bernd war Tommy Krappweis. Als Folge des Hypes wurden diverse Marketingartikel produziert, darunter ein Brot.
Tom & Jerry
1976–1987 (ZDF). 65-tlg. US-Zeichentrickserie von William Hanna und Joseph Barbera („Tom & Jerry“; 1940–1967).
Was sich liebt, das neckt sich, und obwohl der vom Pech verfolgte Kater Tom die schlaue Maus Jerry oft genug jagt, wobei der vermeintlich stärkere Kater Tom immer den Kürzeren zieht, sind die beiden eigentlich gute Freunde. Sie leben gemeinsam im Haus mit Frauchen, von der man meist nur die Beine sieht, und Jerry hat als Rückzugsmöglichkeit sein wohnliches Mauseloch in der Wand, in das Tom nicht hineinkommt. Frauchen spielen die beiden Frieden vor, ist sie weg, gehen die turbulenten Verfolgungen quer durch das ganze Haus, manchmal auch in den Garten, in nahe gelegene Fabriken oder gar ins Ausland oder All. Die kleine Maus Nibbles ist auf Jerrys Seite, Tom kommt ferner der bullige Hund Spike in die Quere.
In den ursprünglichen Cartoons, die von 1940 bis 1957 fürs Kino produziert wurden, war von Freundschaft noch keine Spur. Über viele Jahre entstanden witzige und manchmal brutale Kurzfilme, in denen natürlich nie jemand zu Schaden kam (denn wie in den meisten Verfolgungscartoons konnte auch hier der Jäger, also Tom, noch so oft von Gegenständen erschlagen werden, platzen oder das Fell abgezogen bekommen, kurz darauf war immer wieder alles in Ordnung). Später wurden harmlose und weit unwitzigere Episoden über zwei Freunde gedreht, die ins Kinderprogramm passen sollten.
25-minütige Folgen mit jeweils mehreren kurzen Geschichten liefen meist dienstags am Vorabend. Wenn abends mal ein Spielfilm zu kurz war, zeigte das ZDF ab Juni 1983 auch gelegentlich einzelne Cartoons zur Primetime unter dem Titel Jagdszenen in Hollywood. Anschließende Nachrichten oder Magazine hatten eine feste Startzeit, und bis die erreicht war, wurden zwischen 10 und 20 Minuten auf diese Weise überbrückt. Das war zunächst im Anschluss an die Krimireihe Gefährliche Erbschaft bis zum heute-journal um 22.00 Uhr der Fall, 1984 auch nach anderen Filmen. Einige schon gezeigte Cartoons tauchten später als Bestandteil anderer Zusammenschnitte oder einzeln wieder im Programm auf.
Siegfried Rabe war für die deutschen Texte verantwortlich. Er war auch Co-Autor von „Vielen Dank für die Blumen“ von Udo Jürgens, das ab 1981 für die Vorabendfolgen als Titellied verwendet wurde. Es enthielt die Zeilen: „Manchmal spielt das Leben mit dir gern Katz und Maus / immer wird’s das geben, einer der trickst dich aus.“ In den früheren Folgen, in denen jeweils mehrere kurze Episoden gezeigt wurden, wurde als Trenner zwischen den Katze-Maus-Geschichten eine Szene verwendet, in der ein klappriges Skelett und ein schreckhaftes Gespenst miteinander tanzten.
Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer
1968 (ZDF). 4-tlg. dt.-frz. Abenteuerfilm von Walter Ulbrich nach dem Roman von Mark Twain, Regie: Wolfgang Liebeneiner.
Die Jungen Tom Sawyer (Roland Demongeot) und Huckleberry Finn (Marc di Napoli) sind beste Freunde. Tom lebt zusammen mit seinem Bruder Sid (Robert Hecker) bei seiner Tante Polly (Lina Carstens). Huck lebt in einem Fass, sein Vater (Marcel Peres) ist ein Säufer. Gemeinsam erleben Tom und Huck viele Abenteuer. Sie befreien den unschuldig einsitzenden Muff Potter (Otto Ambros) aus dem Gefängnis und entlarven Indianer-Joe (Jacques Bilodeau) als Mörder. Sie finden den Schatz von Indianer-Joe und werden reich. Tom ist in Becky Thatcher (Lucia Ocrain) verliebt, die Tochter des Richters (Roland Armontel). Huck wird von der Witwe Douglas (Marcela Russu) adoptiert und zieht bei ihr ein. Er flüchtet jedoch gemeinsam mit ihrem Sklaven Jim (Serge Nubret), den er unterwegs kennen lernt, auf einem Floß. Dadurch trennen sich die Wege von Huck und Tom.
Ernst Fritz Fürbringer fungierte in allen vier Teilen als Erzähler. Die spielfilmlangen Folgen liefen – jeweils sonntags um 20.00 Uhr – mit so großem Erfolg, dass sie nur ein Jahr später wegen der hohen Nachfrage bereits wiederholt wurden, was damals ungewöhnlich war.
Toma
1977 (ARD). 13-tlg. US-Krimiserie von Gerald Di Pego und Edward Hume („Toma“; 1973–1974).
David Toma (Tony Musante) arbeitet als verdeckter Ermittler für die Polizei von Newark, New Jersey. Er ist Einzelgänger und schleicht sich auf eigene Faust in den unterschiedlichsten Tarnungen überall unbemerkt ein. Seiner Frau Patty (Susan Strasberg) und den Kindern Jimmy (Sean Manning) und Donna (Michelle Livingston) passen die gefährlichen Alleingänge wenig, seinem Chef, Inspector Spooner (Simon Oakland), ebenso, doch letztlich ist Toma immer erfolgreich.
Den Polizisten David Toma gab es wirklich, auf seinen Erlebnissen basierte die Serie. Er selbst spielte einige Male in einer Gastrolle mit – natürlich gut getarnt.
Die ARD zeigte nur 13 der eigentlich 21 Folgen. Nach nur einer Staffel stieg Tony Musante überraschend aus, und der US-Sender ABC musste sich einen neuen Hauptdarsteller suchen. Er entschied sich für Robert Blake und nannte die Serie Baretta. Diese lief später bei RTL.
Top 7
1998–2007 (ZDF). Magazin, das das Format Diese Woche ablöste und samstags mittags mit Filmbeiträgen, Korrespondentenschaltungen und Studiogesprächen auf die Ereignisse der abgelaufenen Woche zurückblickte. Zu den Moderatoren gehörten Christian Sievers, Barbara Hahlweg, Susanne Stichler, Jacqueline Boyce, Thomas Schmeken, Valerie Haller und Susana Santina.
Das Magazin dauerte ursprünglich eine halbe Stunde und trug den Untertitel „Bilder der Woche“, im September 1999 wurde es auf eine Stunde erweitert und mit dem neuen Untertitel „Das Wochenendmagazin“ versehen. Im Mai 2007 wurde es vom ZDFwochen-journal abgelöst.
Top Cut
Ab 15. März 2009 (Vox). Frisörwettstreit mit der wunderbaren Vox-Eigenbeschreibung: „Wer hier am besten abschneidet, wird Deutschlands Star-Friseur“.
Offenbar will Vox beweisen, dass man aus wirklich jedem Beruf Unterhaltungsfernsehen machen kann und lässt zehn Frisöre acht Wochen lang um die Wette Haare schneiden. Natürlich unter erschwerten Bedingungen, zum Beispiel mit verbundenen Augen oder nur mit einem Teppichmesser ausgerüstet. Die Starfrisöre Carine Bartholomé und Santino Primavera sowie ein wechselnder Gastjuror bewerten die Teilnehmer, und jede Woche fliegt der schlechteste raus. Im Gegensatz zu Deutschland sucht den Superstar, wo nicht einmal der Sieger ein Superstar wird, sind hier sämtliche Teilnehmer schon vorher Frisöre, doch für den Finalsieger geht ein Traum in Erfüllung, und er darf vielleicht einmal im Leben Sandy Meyer-Wölden die Spitzen schneiden. Ach ja, und er erhält eine Salonausstattung im Wert von 120.000 Euro.
Die einstündige Show läuft sonntags um 19.15 Uhr.
Top Of The Pops
1998–2006 (RTL). Einstündige Popmusikshow mit Auftritten der Stars aus den aktuellen Charts mit ihren Hits und einem leider nur fast von kreischenden Teenies übertönten Ansager.
Adaption der gleichnamigen englischen BBC-Show, der „erfolgreichsten Musiksendung der Welt“, die in Deutschland samstags um 17.45 Uhr weit weniger erfolgreich war, aber ein besonders junges Publikum erreichte. Anfangs wurde die Show zeitweise montags um 19.00 Uhr bei RTL 2 wiederholt. Erste Ansagerin war Jenny Elvers. Mit ihr war an Ostern zunächst eine einzelne Pilotfolge gezeigt worden, bevor die Show im September in Serie ging.
Mangels Quote und Talent wurde Elvers bereits im Dezember gegen Holger Speckhahn ausgetauscht, und immerhin, die Quoten erholten sich ein wenig. Mit Elvers bzw. Speckhahn führte jeweils ein „prominenter“ Co-Moderator durch die Sendung. Im Oktober 1999 verließ Speckhahn die Sendung und wurde zunächst nicht ersetzt. Wechselnde Prominente moderierten fortan jeweils zu zweit. Im März 2000 wurde Oliver Geissen neuer ständiger Moderator, aber nur für ein halbes Jahr. Dann übernahm Geissen den samstäglichen Big Brother-Talk und Ole Tillmann (ab September) die Ansagen bei Top of the Pops, weiterhin mit Co-Moderator, und blieb jahrelang. Ab Januar 2006 wechselte er sich Susan Sideropoulos ab.
Was samstags im Fernsehen gezeigt wurde, war eine große Illusion. Dass die Sendung gar nicht live sein konnte, merkte man schon daran, dass die Ansagen ausländischer Co-Moderatoren untertitelt wurden. Das Produkt hatte mehr von einem Puzzle als von einer wirklichen Fernsehshow und entstand wie folgt: Donnerstags wurden in einem Studio bei Köln zunächst alle Ansagen für die gesamte Sendung hintereinander aufgezeichnet, notfalls mehrmals, bis sie endlich fehlerfrei im Kasten waren. Das dauerte schon mehr als eine Stunde. Die Kinder kreischten also während der Ansagen nicht, weil die Stars bereits im Hintergrund auf der Bühne standen, sondern weil der Regisseur es verlangte.
Dann traten ein paar der Bands auf, die in der Sendung zu Gast waren, aber wirklich nur ein paar. Die meisten Auftritte internationaler Stars wurden schlicht aus der englischen Version in die deutsche Fassung hineingeschnitten, die Bühnendekos waren annähernd identisch. Die Künstler, die tatsächlich in Deutschland auftraten, spielten ihr Lied dafür in der Regel gleich mehrfach, immer in anderer Kleidung. Da die Musikauswahl sich an den Verkaufscharts orientierte, diese sich aber nicht jede Woche massiv veränderten, wurden die gleichen Hits immer wieder gespielt, und weil die Popstars so oft dann auch nicht kommen wollten, wurden eben alle bevorstehenden Auftritte bei einer Gelegenheit aufgezeichnet. Im Idealfall sangen sie sogar einen zweiten Song, den noch niemand kannte, der jedoch bald erscheinen und ganz sicher in die Charts einsteigen würde. Vielleicht war es diese Zuversicht, auch in mehreren Wochen noch immer auf Sendung zu sein, die das deutsche Top of the Pops – trotz maximal durchschnittlicher Marktanteile – fast ein Jahrzehnt am Leben erhielt.
Als die Sendung im April 2006 schließlich doch abgesetzt wurde, war das keine große Nachricht. Dass die BBC nur drei Monate später auch das Original nach 42 Jahren einstellte, schockierte die Medienwelt deutlich mehr.
Top, der Thommy geht
Wenn der Unfall bei Wetten, dass…? im Dezember nicht passiert wäre, und Thomas Gottschalk hätte trotzdem in absehbarer Zeit seinen Abschied angekündigt, wäre dies in der öffentlichen Medienjournalistenwahrnehmung als logische Folge der kontinuierlich bröckelnden Einschaltquoten der vergangenen Jahre ausgelegt worden, als überfälligen Schritt zur Erneuerung der Sendung, und Gottschalk wäre abgetreten wie ein Boxer, der nach einer von Siegen geprägten Karriere ausgerechnet den letzten Kampf als Verlierer beendet.
Das hätte er nicht verdient gehabt.
Auch ich schlage seit Jahren auf Gottschalk ein, und es hat sich nichts geändert an meiner Auffassung, dass er seit langer Zeit ein schlechter Interviewer ist, der endlose Entweder-oder-Fragen stellt und seine Gesprächspartner dann nicht einmal zu Wort kommen lässt, ein schlechter Gastgeber, der die Gäste durch seine Unkenntnis ihrer Arbeit beleidigt, ein Heuchler, der permanent über das Niveau der Ekel-Privatsender, über Realityshows und über diese furchtbare neumodische Musik lästert, sich dann aber selbst mit Ekelwetten, in denen Kandidaten Tierkacke am Geruch erkennen müssen, auf dieses Niveau herablässt, Protagonist einer Realityshow wird und diese furchtbaren neumodischen Musiker in seine Sendungen einlädt. Wenn Gottschalk Interviews gibt, sind diese oft von einer unglaublichen Arroganz geprägt, wie man sie sonst nur vom FC Bayern München kennt, weil er jederzeit erkennen lässt, dass er sich selbst und seine Sendung für die Allergrößten hält.
Der Punkt ist nur: Es stimmt ja. Sie sind ja tatsächlich die Allergrößten. Alle sind auf ihrem Gebiet die unangefochtene Nummer 1. Zwischendurch mag es immer mal wieder ein Borussia Dortmund oder ein Supertalent geben, das sie kurzfristig von der Spitze verdrängt, aber auf lange Sicht bleiben immer die Bayern und Gottschalk mit Wetten, dass…? konkurrenzlos an der Spitze.
Dass die Quoten des Showdinos in den vergangenen Jahren rückläufig waren, lag nicht an ihm oder am altbekannten Konzept. Die Konkurrenz durch immer mehr Kanäle, immer aggressivere Mitbewerber und immer günstigere DVDs sorgt von selbst für eine Verteilung der vorhandenen Zuschauermasse auf immer mehr Anbieter; dass da jeder Einzelne Abstriche machen muss, ist nicht zu vermeiden. Im Gegenteil: An Gottschalk und am Konzept der Sendung liegt es, dass die Quoten überhaupt noch so hoch sind, dass bisher niemand sonst dauerhaft mithalten konnte. Sendung und Moderator sind eine Tradition wie die Tagesschau, die ja auch niemand anschaut, weil die Nachrichten dort so besonders gut aufbereitet werden, sondern schlicht weil sie da ist und schon immer da war. Wetten, dass…? ist eine gelernte Tradition, die man sah, weil sie so war, wie sie war. Das haben leider das ZDF und Gottschalk nie verstanden und deshalb in den vergangenen Jahren immer wieder panisch Änderungen am Konzept, der Gästeauswahl und dem Niveau der Wetten vorgenommen, die den Abwärtstrend eher beschleunigten als ihn aufzuhalten.
Womöglich hätte das ZDF irgendwann auch noch panisch den Moderator gegen einen Jüngeren austauschen wollen. Auch das hätte Gottschalk nicht verdient gehabt.
Was immer man von ihm hält: Gottschalk ist ein verdienter Fernsehmacher. In den 80ern war er ein junger Trendsetter auf der Höhe seiner Zeit und die einzige logische und zwangsläufige Wahl für die Nachfolge von Frank Elstner bei Wetten, dass…?. In den 90ern war er das Maß aller Dinge. In den Nullern wandelte er sich vom Berufsjugendlichen zum Früher-war-alles-besser-Opa, war aber der letzte große Entertainer für die ganze Familie und seine Sendung die einzige der alten Garde von Traditionssendungen, von der bisher weder der Moderator noch die Zuschauer die Nase voll hatten. Und in den 10er-Jahren ist er immer noch auf Sendung, weil jemandem wie Gottschalk niemand vorzuschreiben hat, wann er aufhören soll. Wer seinem Sender so viel genutzt hat wie Gottschalk, hat einzig und allein selbst zu entscheiden, wann er aufhören will. Alles andere hätte er nicht verdient.
Er hatte es auch nicht verdient, dass nach seiner vom Saalpublikum sehr bedauerten Abschiedsankündigung gestern Abend die blonde Assistentin, die gerade erst neu zur Sendung hinzugekommen ist, fast ebensoviel Redezeit für sich beanspruchte wie er, als wäre sie ein ähnlich relevanter Bestandteil der Show.
Das ZDF hat jetzt die Chance, jemanden für die Moderation der Sendung zu gewinnen, der ihren Status als Europas größter Fernsehshow und als Unterhaltung für die ganze Familie erhalten kann. Jemand, der nicht nur in einer Zielgruppe populär ist, sondern in allen. Jemand, der ebenso ein großes Gesamtpublikum mit seinen Filmen im ZDF erreichen kann wie ein großes junges Zielgruppenpublikum mit seiner Personalityshow bei RTL. Jemand, der mit 46 jung genug ist, um die Show noch lange machen zu können, aber schon lange genug im Geschäft, um auch von den ältesten ZDF-Zuschauern akzeptiert zu werden. Jemand, der witzig und schlagfertig ist und mit Prominenten ebenso charmant umgehen kann wie mit Normalo-Kandidaten. Jemand, der wie damals Gottschalk heute die einzige logische Wahl für die Nachfolge ist. Jemand namens Hape Kerkeling.
Natürlich könnte das ZDF auch dem einzigen anderen bekannten Entertainer ein Angebot machen, der derzeit ein großes Publikum für eine große Samstagabendshow erreicht, aber Stefan Raab wird klug genug sein zu wissen, dass die beiden nicht zueinander passen würden.
Oder das ZDF wählt den bequemen Weg und gibt die Sendung einfach an den hauseigenen Jörg Pilawa, der sie genauso routiniert und egal wie jede andere seiner Shows wegmoderieren wird und macht damit aus der Samstagabendshow schlicht irgendeine Samstagabendshow.