Die Alte
Das ZDF ist endlich in den 80er-Jahren angekommen, und die Emanzipation hat den Freitagabend erreicht. In keinem der 20.15-Uhr-Krimis am Freitag hatte bisher eine Frau eine Rolle gespielt, die darüber hinaus gegangen war, den Ermittlern Kaffee zu kochen oder als verstörte Angehörige eines Mordopfers verdächtig in einer Villa herumzustehen. Doch jetzt wird alles anders, denn schon lange stellte sich die Frage, warum nicht auch eine Frau das Recht haben sollte, dieselben altmodischen Klischeeverfilmungen zu spielen wie Männer.
Die Redaktionskonferenz, in der das ZDF die neue Serie Die Chefin beschloss, stelle ich mir so vor:
– „Also gut, Katharina Böhm spielt die Kommissarin. Die war schon in Das Erbe der Guldenburgs super. Hat jemand eine Idee, wie die Serie aussehen könnte?“
– „Wir haben da noch etliche Drehbücher von Der Alte rumliegen, von denen manche erst fünfmal verfilmt wurden. Die könnten wir nochmal nehmen.“
– „Superidee. Aber ist diese Art von Fernsehen im Jahr 2012 noch zeitgemäß?“
– „Die Kommissarin könnte zusätzlich dauernd Erdnüsse essen.“
– „Das ist ja total crazy! Genau so machen wir’s!“
Und so entwickelt sich der neue Freitagskrimi des ZDF wie die meisten Freitagskrimis vor ihm auch. Die Ermittlerin steht mit ihrem Kollegen in Münchner Villen herum, wo die komplett verdächtige reiche Familie, inklusive obligatorischer rauchender Oma im Rollstuhl, verstört dreinblickt, untermalt von penetrant irritierender Psychomusik.
Die Ermittler fragen Alibis ab und stellen verbale Fallen wie aus dem Lehrbuch für Krimiautoren von 1969, in die die Einfaltspinsel von Verdächtigen pflichtgemäß reintappen.
– „Kim Landauer ist heute morgen vom Balkon gestürzt.“
– „Was? Das kann nicht sein. Warum sollte sie sich umbringen wollen?“
– „Von Selbstmord habe ich doch gar nichts gesagt.“
Doch dann, nach etwa der Hälfte der ersten Episode, muss jemand mehrere Seiten des Drehbuchs gekapert haben, und einige Elemente der Serie biegen in eine Richtung ab, die man von Autor Orkun Ertener, der viel für seinen KDD – Kriminaldauerdienst gepriesen wurde, erwartet hatte. Die Chefin bekommt ein Vor- und Privatleben und schnüffelt heimlich seit vier Jahren in eigener Sache: Damals wurde ihr Mann erschossen, ebenfalls ein Polizist, und noch immer hat niemand die genauen Umstände herausgefunden. Das wird wohl der rote Faden, der sich beiläufig durch die Serie ziehen soll.
Vorher kommt aber noch wie aus dem Nichts eine unerwartete Ladung Selbstironie, als Chefins neuer Kollege einen lebensgroßen Derrick aus Pappe in seinem Büro aufstellt.
Screenshots: ZDF
Das macht die Premiere der Chefin insgesamt noch nicht zu aufregendem oder ungewöhnlichem Fernsehen, gibt aber zumindest ein bisschen Hoffnung.
Die Chefin, heute um 20.15 Uhr im ZDF.