Korn gefunden

Die Vorgeschichte:
Ricky Gervais ist ein Fan der Simpsons. Das allein macht ihn noch nicht prominent, und hierzulande muss man ihn sowieso nicht unbedingt kennen.
In England wurde Ricky Gervais ein Star als Hauptdarsteller und Autor der Serie The Office, die in Deutschland nur im digitalen Abosender Sat.1 Comedy zu sehen ist, deren deutsche Version namens Stromberg mit Christoph Maria Herbst jedoch schon in die dritte Staffel bei Pro Sieben geht.
Als junger Komiker war es Ricky Gervais‘ großer Traum, eines Tages einen Witz für die Simpsons schreiben zu dürfen. Entsprechend konnte er sich keine höhere Ehre vorstellen, als aus den USA das Angebot kam, gleich eine ganze Folge zu schreiben und auch noch eine Gastrolle darin zu übernehmen.
Also schrieb sich Gervais eine Folge auf den Leib, in der er einer gezeichneten Version seines unausstehlichen Office-Chefs, der hier Charles heißt, die Stimme gibt. Für die Show Frauentausch zieht Marge Simpson zu ebendiesem und dessen Frau zu Homer, der laut Ricky Gervais größten humoristischen Schöpfung seit Laurel und Hardy.

Das gefundene Korn:
Die Synchronisation der Simpsons ist oft gescholten worden, und fast immer zu Recht. Seit kurzem liegt die Verantwortung jedoch in neuen Händen, und offenbar denkt da plötzlich jemand mit: In der deutschen Fassung der beschriebenen Folge, die Pro Sieben heute zeigt, spricht Christoph Maria Herbst die Rolle von Ricky Gervais, also der Mann, der auch dessen deutsches Pendant in der Office-Adaption spielt. Ist doch fein, oder?

Die Anekdote am Rande:
Einer der besten Gags der Folge geht im Original übrigens so: Homer hat sich in einen Riesenfernseher verliebt und an einem Preisausschreiben teilgenommen, um einen solchen zu gewinnen. Es wäre der Hauptpreis. Per Telefon erhält er eine Gewinnbenachrichtigung: „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen!“ Homer: „Den Fernseher?“ Anrufer: „Haha, nein, niemand gewinnt den. Sie haben den dritten Preis gewonnen: Eine Tour durch die Fox-Fernsehstudios in Los Angeles!“
Mal sehen, was in der deutschen Fassung aus dem Gag wird. In jedem Fall dürfte es vergnüglich sein, die ehemaligen Ladykracher-Sketchpartner Anke Engelke (als Marge Simpson) und Christoph Maria Herbst mal wieder in gleich mehreren gemeinsamen Szenen zumindest zu hören.

Die Quintessenz:
Die Simpsons: „Frauentausch“, heute um 17.40 Uhr bei Pro Sieben.

Michael, 11. Februar 2007, 00:29.

Unglaubvoll

Deutschland-sucht-den-Superstar-Jurorin Anja Lukaseder findet, dass die Wahl der Kandidatin Madeleine, den Hit „Unfaithful“ von Rihanna zu singen, „etwas hoch gegriffen“ sei. Hallo? Hat Frau Lukaseder das Lied schon mal gehört? Rihanna mag zwar eine tolle Interpretin für tanzbare Musik sein, scheitert an dieser Ballade jedoch selbst kläglich. Was soll man denn von den Kandidatinnen erwarten, wenn sie sich an solchen Vorbildern orientieren? Kann Rihanna bitte mal bei Dieter Bohlen, Heinz Henn und Anja Lukaseder vorbeischauen, mich würde die Meinung der anderen beiden dazu interessieren.

Michael, 10. Februar 2007, 21:26.

Sehr, sehr viele Köche

Herrje, heute kommt ja schon wieder Deutschland ist schön, die neue Sat.1-Sketchcomedy mit mehr als 20 prominenten Komikern. Nun denn, das gibt mir wenigstens die Gelegenheit, mal für eine halbe Stunde das Haus zu verlassen und das im Titel als so schön beschriebene Land zu genießen.

Michael, 9. Februar 2007, 20:10.

Anna Nicole Smith ist tot

Anna Nicole Smith, Star aus zahlreichen Fotostrecken des „Playboy“, dem Film „Die nackte Kanone 33 ⅓“ und ihrer eigenen Realityserie „Anna Nicole Show“, posierte einmal für eine Kampagne der Tierschutzorganisation PETA als Marylin Monroe. Doch noch mehr verbindet sie mit den Kennedys: Ein schillerndes Leben – und dessen vorzeitiges Ende für viele aus dem Umfeld. Als Anna Nicole Smith 1994 im Alter von 26 Jahren den 89-jährigen Milliardär J. Howard Marshall heiratete, schien dessen baldiger Tod ja noch einkalkuliert. Mit seinem Sohn E. Pierce Marshall stritt sie sich ums Erbe, bis auch dieser im Juni 2006 starb. Drei Monate später starb Smith‘ eigener Sohn Daniel unter mysteriösen Umständen im Alter von 20 Jahren. Nur drei Tage zuvor hatte sie ihr zweites Kind zur Welt gebracht, eine Tochter. Diese wächst nun ohne Mutter auf, denn in der vergangenen Nacht ist auch noch Anna Nicole Smith selbst gestorben, ebenfalls unter merkwürdigen Umständen. Nach einem Zusammenbruch in einem Hotel und Casino in Florida starb sie wenig später im Krankenhaus. Sie war 39.

Ich möchte nicht unbedingt den Begriff „Fluch“ in den Raum stellen. Doch auf dem Höhepunkt ihrer Karriere haben sich viele Männer gewünscht, Anna Nicole Smith persönlich zu kennen. Heute sind sie vielleicht froh, dass es nicht geklappt hat.

Michael, 9. Februar 2007, 08:18.

Neue Weltordnung (vorübergehend)

8,93 Millionen Menschen sahen das Fußball-Länderspiel am Mittwochabend im Fernsehen. Es kann eben nicht jeder Sport ein Massenereignis wie Handball sein. Das letzte Länderspiel der deutschen Handballer hatte fast doppelt so viele Zuschauer.

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Michael, 8. Februar 2007, 16:13.

Ich hab noch einen Koffer. Und noch einen. Und noch einen. Ja, einen Koffer.

Zum Tod des Derrick-Autors Herbert Reinecker erinnern wir an einen besonders schönen seiner typischen Dialoge aus der Zeit, als die Welt noch schwarzweiß und Schweigen noch modern war. Wenn Reineckers Charaktere sich nicht ebenso vielsagend wie wortlos ansahen, ließ er sie endlos Schlüsselbegriffe und Sachverhalte wiederholen, bis auch der Letzte kapiert hatte, worum es gerade ging und streckte so bequem 30 Minuten Handlung auf 60 Minuten Länge.

Die folgende Szene entstammt der Episode „Toter gesucht“ aus der Serie Der Kommissar, mit Erik Ode und Gaststar Bernhard Wicki.

Wicki: Er hat einen Koffer weggebracht.
Ode: Was für’n Koffer?
Wicki: Ich weiß nicht, was für’n Koffer. Ich hab‘ den Koffer nie gesehen. ‚N Handkoffer. Wir haben solche Koffer nicht.
Ode: Ja, haben Sie ihn nicht gefragt, was für’n Koffer das ist.
Wicki: Er hat gewartet, bis ich wieder im Laden war. Und dann hab‘ ich gehört, wie er hinten hinausging, und da hab‘ ich gesehen, dass er diesen Koffer wegtrug, den ich vorher nie gesehen hab‘.
Ode: Ja, wie ist er denn jetzt zurückgekommen. Ohne Koffer?
Wicki: Wollen Sie auch einen? (Kocht Kaffee).
Ode: Nein, danke, nein.
Wicki: Ja. (Pause). Was bedeutet dieser … – Koffer?
Ode: Na, gehen Sie rauf und fragen Sie ihn.

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Michael, 8. Februar 2007, 15:30.

Zum Dritten

Warum sollte etwas zweimal funktionieren, aber kein drittes Mal? Eben. Deshalb zeigt Vox jetzt nicht mehr nur noch montags und mittwochs amerikanische Krimiserien, sondern auch freitags.

Die vom Montag transferierte Pathologenserie Crossing Jordan macht den Anfang, anschließend startet Close To Home mit Jennifer Finnigan als junge Strafverfolgerin im Kampf gegen häusliche Gewalt in der Vorstadt.

Dabei könnte Vox davon profitieren, dass der konkurrierende Krimifreitag bei Kabel 1 mit Cold Case und Without A Trace wie weiland die CSIBibliothek von Vox zum Selbstbedienungsladen für die größeren Sender ihrer Sendergruppen geworden ist und Kabel 1 deshalb vorerst nur noch Wiederholungen seiner einstigen Zugpferde zeigen darf.

Bleibt als Konkurrenz noch der andere Krimiabend. Der im ZDF, den es schon seit dreißig Jahren gibt. Eigentlich überschneiden sich zwar die Zielgruppen kaum, doch wirkt das neue Close To Home erstaunlich altmodisch, vor allem wenn man in Betracht zieht, dass die Serie von Jerry Bruckheimers Krimifließband gefallen ist, der seine Serien (allen voran CSI) sonst mit computeranimierten wissenschaftlichen Spezialeffekten zuballert. Close To Home kommt ohne diese, sowie weitgehend ohne Forensik, ohne Profiling und ohne übermäßig viele Rückblenden aus, was fast schon wieder erfrischend wirkt. Kein Labor, keine Wundermaschinen, die jeden Fall in Sekundenschnelle von selbst aufklären. Hier wird noch von Hand ermittelt! Befragt, verhört, geschlussfolgert. Fast wie im ZDF.

Close To Home beginnt am 9. Februar um 21.05 Uhr bei Vox.

Nachtrag, 10.02.2007:
Es hat tatsächlich funktioniert. Zwar nicht im Gesamtpublikum, aber in der Zielgruppe, die die Werbewirtschaft Purzelbäume schlagen lässt, lagen die Vox-Krimis vor den Krimis im ZDF und bei Kabel 1, und in der Viertelstunde der Überschneidung sogar deutlich vor dem ARD-Tatort.

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Michael, 8. Februar 2007, 15:23.

What?

Auf dem Prestigesendeplatz um Mitternacht zeigt die ARD am Donnerstagabend die recht schöne Dokumentation „Wer rettet die deutsche Sprache?“ (Wdh. am 13. Februar in Eins Extra), mal wieder eine Bestandsaufnahme der vielen Anglizismen oder zumindest englisch wirkenden Begriffe, die unsere Sprache zum Teil bereichern und zum Teil verunstalten.

Aus diesem Anlass stellen wir fest, dass bei importierten Fernsehserien nur noch wenige Titel ins Deutsche übertragen werden. Criminal Intent, Criminal Minds, The Closer, Close To Home, Life On Mars, Crossing Jordan oder The District tragen in Deutschland die gleichen Titel wie im Herstellungsland. Was das übersetzt heißt, ist ja egal, solange am Anfang jemand ermordet und am Ende jemand überführt wird. Angesichts schlimmer Übersetzungssünden in der Vergangenheit ist das aber vielleicht ganz gut so. Hier ist unsere Top-5-Liste der Serien, die einen besseren oder gar keinen deutschen Titel verdient gehabt hätten.

  1. Freaks & Geeks: Voll daneben, voll im Leben
  2. I Spy: Tennisschläger und Kanonen
  3. The Chinese Detective: Schieß in den Wind, Ho!
  4. Extralarge: Zwei Supertypen im Miami
  5. Hudson Street: Wer ist hier der Cop?

Und dann natürlich noch alle, deren deutsche Titel mit „Eine“ anfangen und mit „Familie“ enden:

  1. The Brady Brides: Eine reizende Familie
  2. Married… with Children: Eine schrecklich nette Familie
  3. Step By Step: Eine starke Familie
  4. Ai no Wakakusa Monogatari: Eine fröhliche Familie
  5. 7th Heaven: Eine himmlische Familie
Michael, 8. Februar 2007, 15:23.

Will ist der Weg

Na sehen Sie. Man muss den ARD-Intendanten nur genug Bedenkzeit geben, dann finden sie schon noch einen Weg, Frank Plasberg selbst dann noch vor den Kopf zu stoßen, wenn auf den ersten Blick kein Weg an ihm vorbei führte. Als Günther Jauch die Sabine-Christiansen-Nachfolge abgesagt hatte, weil er das ARD-System durchschaut hatte, und anschließend Plasberg anrief, um ihm viel Glück zu wünschen, zeigte das, dass er das ARD-System eben doch noch nicht vollständig durchschaut hatte. Nun wird Anne Will, die den Job mit Sicherheit nicht schlecht machen wird, Sabine Christiansens Sendeplatz am Sonntagabend nach dem Tatort übernehmen, weil sich nach zehn Jahren Christiansen, Illner und Maischberger offenbar niemand mehr vorstellen konnte, dass ein Polittalk auch von einem Mann moderiert werden könnte.

Michael, 5. Februar 2007, 16:25.

S wie Stirnlappenbasilisk

Heute feiert 9Live seinen 2000. Sendetag und betrügt beschenkt seine Zuschauer deshalb in ganz großem Stil. Zur Feier des Tages dokumentieren wir die typischen Sätze, mit denen die 9Live-Moderatoren die Zuschauer systematisch täuschen — und erklären, was sie wirklich bedeuten.

„Die Sendung ist in wenigen Augenblicken zu Ende!“

Klartext: „Wir tun jetzt mal so, als ob Sie sich beeilen müssten, wenn Sie noch was gewinnen wollen – wir haben ja versprochen, dass das Auto / die 37 Geldpakete / die 400 Euro in der Sendung noch rausgehen.“ Tatsächlich wird der Satz gerne schon gesagt, kurz nachdem die Sendung angefangen hat.

„Die Sendezeit ist längst vorbei!“

Bei 9Live ist das angegebene Ende einer Sendung meist reine Fiktion. Hier werden die Sendungen regelmäßig in Dimensionen überzogen, die selbst Thomas Gottschalk neidisch machen würden. So kann der Moderator während der gesamten Verlängerung den (falschen) Eindruck erwecken, das Ende der Sendung stehe unmittelbar bevor und die Überziehung komme dadurch zustande, dass niemand anrufe. Beides ist unzulässig. (Eine Stellungnahme dazu war von 9Live nicht zu bekommen.)

„Achtung, wir erreichen gleich eine Schwellenzeit!“

Gerne blendet 9Live die aktuelle Uhrzeit ins Programm ein und weist zunehmend aufgeregt darauf hin, dass es gleich 16.10 Uhr (16.15 Uhr, 16.20 Uhr etc.) ist. Das Erreichen der Schwellenzeit bedeutet: nichts. Manche Moderatoren nennen die Schwellenzeit auch Grenzzeit. Sie könnten sie auch Quatschzeit, Pupszeit oder einfach „16.10 Uhr“ nennen, es hätte die gleiche Bedeutung.

„Auauau, jetzt aber schnell: Der Countdown läuft!“

Klartext: „Wir zählen jetzt mal von zehn auf null, damit Sie glauben, nach der endlosen Zeit gerade, in der hier nichts passiert ist, würde sich jetzt etwas tun.“ Tatsächlich ist es nach dem Countdown einfach nur zehn Sekunden später als vor dem Countdown. Ein Countdown bedeutet nicht, dass hinterher das Spiel zu Ende ist, ein Anrufer durchgestellt wird oder sich die Gewinnchance erhöht. Ein Countdown auf 9Live bedeutet: nichts.

„Das weiß keiner! Ich hab’s die ganze Zeit schon zu meinem Redakteur gesagt: Das ist zu schwer, Ulli, hab‘ ich gesagt, Ulli, wir können nicht noch eine Runde spielen, das weiß keiner mehr.“

Durch solche Sätze suggeriert 9Live dem Zuschauer, außer ihm säßen gerade nur Idioten vor dem Fernseher, denen keine zweite Sache eingefallen ist, die rot ist, außer „Tomate“. Als Faustregel gilt: Jede Kommunikation zwischen Moderator und Redakteur ist ein Rollenspiel ohne Bezug zur Realität.

„Das ist Ihre letzte Chance.“

Der Satz „Das ist Ihre letzte Chance“ wird häufig gebraucht und hat exakt zwei Bedeutungen. Erstens: „Das ist Ihre letzte Chance“. Zweitens: „Das ist nicht Ihre letzte Chance.“ Zu unterscheiden sind sie in der Praxis nicht; die zweite Bedeutung ist jedoch die Regel.

„Die Begriffe sind leicht.“

Ein beliebtes Spiel ist es, nach Wörtern zu suchen, die verdeckt auf einer Tafel stehen. Zum Beispiel: „Tiere mit S.“ Eines wird schnell gelöst: „Schwein“. Es dient dem Moderator als Beleg, wie leicht das Rätsel sei. Als Ende waren gesucht: „Schirmqualle“, „Stirnlappenbasilisk“, „Samtstirnkleiber“ und „Saigauantilope“. O-Ton des Moderators: „Geht’s noch einfacher?“ In einem ähnlichen Spiel sollen Zuschauer bestimmte Wörter erraten, deren erste oder zweite Hälfte vorgegeben ist. Zum Beispiel: „-haus“. Immer wieder wiederholte der 9Live-Moderator, dass die Begriffe — ähnlich wie das schnell gelöste „Autohaus“ — überwiegend leicht seien. Konkret: „Kapellenhaus“, „Radiofunkhaus“, „Behelfskrankenhaus“, „Kinderbaumhaus“, „Unterbringungshaus“, „Passhaus“, „Reinigungshaus“, „Wohngemeinschaftshaus.“

„Sie denken viel zu kompliziert!“

Anrufer, die erkannt haben, dass die meisten gesuchten Begriffe sehr unwahrscheinliche Wörter sind und entsprechend antworten, nutzt 9Live immer wieder, um die Zuschauer in die Irre zu führen. Bei der Suche nach Wörtern, die auf „-eis“ enden, warnte der Moderator mehrmals, Antworten wie „Personalausweis“ seien viel zu kompliziert. Gesucht waren aber unter anderem die Begriffe „Elfmeterkreis, Schulfreundeskreis und Büchereiausweis“.

„Oh neiiiiin, ich werde total verrückt, was ist denn hier los?“

Teilweise minutenlang bombardiert 9Live seine Zuschauer beim Erreichen einer Schwellenzeit (also zu jedem beliebigen Zeitpunkt) mit einer infernalischen Kombination aus Sirenen-, Piep- und Heulgeräuschen und Stroboskop-, Zoom-, Licht- und Schnitteffekten, während die Moderatoren brüllen und sich auf den Boden oder in messianische Posen werfen. Die psychedelisch wirkende Komposition zielt offenbar auf Spielsüchtige. (Auf die Frage, wie der Sender es verhindert, dass gerade die unzulässigerweise angesprochen werden, hat 9Live nicht geantwortet.)

„Ui: Der Trommelwirbel (das Ticken / das Piepen / die Musik) hat begonnen (aufgehört) – das ist ein gutes Zeichen!“

Klartext: „Unser Redakteur hat einen neuen Soundeffekt eingeschaltet und testet mal, welches Geräusch am direktesten die Nerven von Spielsüchtigen blanklegt.“ Ein Geräusch oder sein Verstummen bedeutet: nichts.

„Hallo Regie, zeigt doch, bevor ich enthülle, was in dem vom Zuschauer ausgewählten Karton ist, noch mal den Hauptpreis!“

Ein 9Live-Zuschauer durfte aus vielen Kartons, die kleine Gewinne oder als Hauptpreis ein Auto enthielten, einen wählen. Der Moderator öffnete den Karton, stutzte, forderte die Regie mehrfach auf, mit der Kamera nicht ihn, sondern noch einmal das Auto einzublenden, und zeigte erst danach, was angeblich im Karton war: kein Auto. 9Live, das seine Spiele als „transparent“ bezeichnet, erklärt, die Kameraeinstellung sei „unglücklich“ gewesen, versichert aber, der Karton sei „nicht ausgetauscht“ worden.

„Um diese Zeit guckt eh keiner mehr.“

Gerne suggerieren die Moderatoren, dass nur deshalb seit Stunden kein Anrufer mehr durchgestellt wurde, weil außer einem selbst niemand mehr vor dem Bildschirm sitzt. Solche Aussagen sind ebenso unzulässig wie alltäglich.

„Leitung 4 führt direkt zu mir ins Studio.“

Die Moderatoren suggerieren, dass man nur eine bestimmte Telefonleitung treffen müsse, um durchgestellt zu werden. Immer wieder vergessen sie den Hinweis, dass man diese Leitung in dem richtigen, vom Redakteur ausgewählten Moment treffen muss. Auch wenn ein Sender sämtliche zur Verfügung stehenden Leitungen „freischalten“ würde, bedeutet das also nicht, dass auch nur ein einziger Anrufer ins Studio kommen muss. (Die Frage, wie viele angebliche „Leitungen“ es überhaupt gibt, wollte 9Live nicht beantworten.)

„Der ‚Hot Button‘ sucht.“

Anders als in praktisch allen Call-TV-Formaten suggeriert wird, bedeutet das Prinzip des „Hot Button“ nicht, dass zu jeder Zeit ein Zufallsmechanismus entscheidet, ob ein Anrufer ins Studio durchgestellt wird. Vielmehr entscheidet ein Redakteur, wann tatsächlich ein Anrufer ausgewählt wird. Bis dahin kann der „Hot Button“ schon Stunden vor sich hin geblinkt haben. Die tatsächliche Chance, zu diesem Zeitpunkt ausgewählt zu werden, ist dann null.

„Der ‚Hot Button‘ ist ‚on fire‘!“

Bei Spielen, bei denen die Chance, dass ein Zuschauer die richtige Lösung errät, gegen null geht, gibt es Phasen, in denen Anrufer im Sekundentakt durchgestellt werden. Das wird durch das brennende „Hot Button“-Symbol dargestellt. Bei 9Live „brennt“ der „Hot Button“ aber auch gerne eine Stunde vor sich hin, ohne dass ein einziger Zuschauer durchgestellt wird.

„Ich schreib‘ hier schon mal ein paar Antworten hin.“

9Live sucht zum Beispiel in einem Spiel „acht Tiere mit drei Buchstaben“. Nach einer Weile füllt der Moderator die Positionen eins bis vier auf der Tafel schon mal aus. Als endlich ein Anrufer durchgestellt wird und acht Tiere nennt, bekommt er keinen Preis, weil einige davon ja schon auf der Tafel standen.

„Wir verschenken Geld. Das ist wirklich wahr.“

Genau.

Wer kontrolliert 9Live? Die Landesmedienanstalten haben 2005 „Anwendungs- und Auslegungsregeln“ für die Gewinnspiele erlassen, die die Sender aber offenkundig nicht sehr beeindrucken. 9Live hat sich zuletzt nicht einmal an die Vorgabe gehalten, alle zehn Minuten auf das Mindestalter zur Teilnahme hinzuweisen. Die zuständige bayerische Medienanstalt hat zuletzt im November eine Beanstandung gegen 9Live ausgesprochen. In der Regel führen die Beschwerden jedoch nur zu „Gesprächen“ mit dem Sender. Weil die Irreführung der Zuschauer in den Gewinnspielen nach dem Rundfunkstaatsvertrag keine Ordnungswidrigkeit darstellt, fehlen Sanktionsmöglichkeiten.

Wer guckt das alles? Täglich über 52 Stunden Call-in-TV liefen 2006 nach Angaben von 9Live insgesamt im deutschen Fernsehen – im Jahr davor waren es nur 30. 9Live stellt davon mit seinen eigenen Sendungen und denen auf Pro Sieben, Sat.1 und Kabel 1 nur noch die Minderheit her. Der Rest sind Nachahmer, die Spiele und Tricks des Marktführers kopieren und um eigene beunruhigende Varianten bereichern, zu sehen zum Beispiel im DSF, auf Viva, Comedy Central, Das Vierte — und sogar im Kindersender Nick. 9Live hat in den ersten neun Monaten 2006 bei einem Umsatz von 70 Millionen Euro eine Rendite von fast 30 Prozent erzielt.

Dieser Eintrag beruht auf einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 21. Januar 2007. Erschöpfend, aktuell und detailliert beschäftigt sich die Seite Call-in-TV mit den Abgründen von 9Live.

Stefan, 3. Februar 2007, 20:57.
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