Flüchtige Freunde
Normalerweise empfehle ich keine Sendungen des SWR, schon aus nahe liegenden Gründen. Und weil ich für den SWR arbeite, und es plump wirken könnte. Das ist mir jetzt egal, denn heute Abend zeigt die ARD einen Film, bei dem es wirklich schade wäre, ihn zu verpassen.
Maxim Mehmet (rechts im Bild) und Charly Hübner spielen die neuen Freunde David und Robert im Psychothriller Unter Nachbarn. Die Hauptfiguren haben sich gerade kennen gelernt, als sie eine gemeinsame Erfahrung machen, die sie mit niemandem teilen können. Im Auto überfahren sie eine junge Radfahrerin, und auf Drängen von Robert begehen sie Fahrerflucht. David, Journalist bei einer regionalen Tageszeitung, soll anschließend über genau diesen Unfall schreiben. Die Recherchen sind für ihn nützlich, weil er auf diese Weise erfährt, wie viel die Polizei weiß. Er lernt bei dieser Gelegenheit aber auch die Schwester des Opfers kennen, gespielt von Petra Schmidt-Schaller, verliebt sich in sie und beginnt eine Beziehung mit ihr. Sein Verhältnis zu Robert kühlt währenddessen und deshalb mehr und mehr ab und wird immer gefährlicher.
Es gibt mehrere Stellen im Film, an denen man glaubt, den Fortlauf der Handlung bis hin zum Ende nun problemlos absehen zu können, doch der Film wirkt nur stellenweise vorhersehbar. Er ist es nicht. Jedenfalls nicht an den entscheidenden Stellen. Gleichzeitig ist man immer mehr entsetzt über den Psychopathen Robert, den Charly Hübner grandios spielt, und der bis zum packenden Finale in immer neue Dimensionen vordringt, um David davon abzuhalten, seinem schlechten Gewissen nachzugeben und wahlweise seiner Freundin oder der Polizei alles zu gestehen.
Fotos: SWR/Felix Cramer
Der 90-Minüter ist das Spielfilmdebüt des jungen Berliner Regisseurs Stephan Rick, der auch Ideengeber und Co-Autor des Drehbuchs ist. Eigentlich entstand der Film für und mit dem Budget der Reihe „Debüt im Dritten“, in der der SWR Erstlingswerken vielversprechender Regisseure den Prestigesendeplatz am Mittwoch um 23.00 Uhr in seinem dritten Programm zuweist, wo sie ein Publikum erreichen, wie es sonst nur in mittelgroße Bundesligastadien passt. Ricks Film wurde aber als für diesen Sendeplatz zu gut befunden und läuft nun stattdessen um 20.15 Uhr im Ersten.
Obwohl Filme, die gleich für diesen Sendeplatz produziert werden, wesentlich mehr Geld zur Verfügung haben, kann Unter Nachbarn nicht nur in der Handlung, sondern auch in der Optik problemlos mithalten. Und nicht bloß mithalten. Es ist der ergreifendste ARD-Film seit Homevideo, der im Oktober auf dem gleichen Sendeplatz lief.
Die allgemeine Begeisterung für Homevideo teilte ich damals nur bis kurz vor Schluss. Der Film über Cyber-Mobbing endete mit dem Selbstmord des Opfers und sendete damit an Betroffene das verheerende Signal, man könne ja doch nichts tun, und einen anderen Ausweg gebe es nicht. Die Vermeidung eines Happy Ends halten deutsche Redakteure und Regisseure leider zu oft für große Kunst und besonders unkonventionell – so oft, dass es schon fast der konventionelle Weg ist. Einer solchen Versuchung widersteht Unter Nachbarn zum Glück, aber wenn Sie glauben, spätestens mit dieser Information hätte ich Ihnen das Ende nun doch verraten, täuschen Sie sich.
Unbedingt angucken: Unter Nachbarn, heute, 20.15 Uhr, ARD.