Für ein paar Jahre war es sehr gut, dass es das Privatfernsehen gab, weil den Zuschauern die meisten amerikanischen Serien sonst vorenthalten worden wären. Heute hat sich die Situation gedreht, und aus dem gleichen Grund ist es heute gut, dass es das öffentlich-rechtliche Fernsehen gibt.
Natürlich zeigen auch die Privaten weiterhin viele US-Serien — es sei denn, sie spielen nicht an Tatorten oder in Krankenhäusern. Experimente wagt schon lange kein großer Privatsender mehr, gezeigt werden nur noch die Serien, die schon seit Jahren gezeigt werden, oder Serien, die so sind wie die, die schon seit Jahren gezeigt werden. Die neue Vox-Serie Leverage über eine Gruppe moderner Robin Hoods, die korrupte Geschäftsmänner und reiche Betrüger bestehlen und offenbar gern „Ocean’s Five“ wären, fällt zwar sogar noch halbwegs aus dem Rahmen, aber große Augen vor Überraschung oder Faszination wird dabei niemand machen.
Die Perlen, die neuen Serien, die von Fans und Kritikern schnell zum Kult erklärt und mit Preisen überhäuft wurden, sind inzwischen wieder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen. Bei zdfneo beginnt heute Mad Men, eine Serie, die in den frühen 1960er-Jahren bei einer New Yorker Werbeagentur spielt. Die großen Werbeagenturen haben ihren Sitz in New York auch heute noch in der Madison Avenue, und daher leitet sich der Name der Serie über die Männer von der Madison ab, kurz: Mad Men.
Die Serie braucht eine Weile, bis sie in Gang kommt, und wer nur die ersten beiden Episoden sieht, hat es beim Versuch, ihre Handlung zu beschreiben, nicht leicht, weil eigentlich keine erkennbar ist. Rauchende Männer denken sich Werbeslogans aus, trinken, graben die neue Sekretärin an und schlafen mit anderen Frauen als der eigenen. Hauptsache, es wird bei jeder Gelegenheit geraucht, sogar bei der gynäkologischen Untersuchung, um zu zeigen: Hey, dies sind die 60er! Erst später erkundet die Serie die geheimnisvollen Hintergründe ihrer Hauptfigur Don Draper (Jon Hamm) tiefer und wird zu dem, was ihr in drei aufeinanderfolgenden Jahren den Emmy als beste Dramaserie eingebracht hat.
Sofort packend ist Breaking Bad, was ab Samstag bei arte zu sehen ist. Ein 50-jähriger Chemielehrer ändert nach der Diagnose Lungenkrebs sein Leben. Er hört nicht etwa auf zu rauchen. Denn er hat nie geraucht. Er fängt an, Crystal Meth herzustellen, und dank seiner Chemiekenntnisse fabriziert er das geilste und reinste Zeug, das auf dem Markt ist. Um einen erfahrenen Partner für den Vertrieb zu haben, tut er sich mit einem drogensüchtigen Volltrottel zusammen, der früher mal in seine Klasse ging.
Die Serie ist keine Comedyserie wie Weeds. Sie ist ein Drama über die Abgründe eines Menschen und der Gesellschaft. Walter White (Bryan Cranston) will mit den Einnahmen seine Behandlung bezahlen, für die seine Krankenversicherung nicht aufkommt. Und sie zeigt schonungslos, wie schnell und wie tief man in ein kriminelles Milieu voller Gewalt abrutschen kann, wenn man erst mal angefangen hat. Cranston, der vorher den Vater der Prollfamilie aus Malcolm mittendrin spielte, verkörpert den todkranken Chemielehrer, der zwischen Verzweiflung und Entschlossenheit schwankt, so grandios, dass er drei Jahre hintereinander den Emmy als bester Drama-Darsteller erhielt.
Beide Serien zusammen gewannen insgesamt 19 Emmys in den drei Jahren, die sie jetzt jeweils auf Sendung sind, und erhielten 65 Emmy-Nominierungen. Das ist schon ziemlich viel in so kurzer Zeit.
Kurz ist natürlich relativ. Für Fans, die seit dem US-Start auf eine deutsche Ausstrahlung im Free-TV warten, sind drei Jahre ein eher langer Zeitraum. Im Privatfernsehen, für das schon die Ausstrahlung von Desperate Housewives als experimentell durchgeht, wären solche Serien heute nicht mehr denkbar.
Jetzt kommen die Serien ins deutsche Free-TV, und man kann natürlich argumentieren: Wenn sie bei arte oder ZDFneo kommen, könnten sie auch genauso gut gar nicht kommen. Wer soll sie da finden? Beide Sender spielen auf dem deutschen Fernsehmarkt kaum eine Rolle. Die Antwort ist: Fans. Dass sie keine massentaugliche Ware für den Allerweltszuschauer produzieren, wussten die Macher beider Serien von Anfang an. Deshalb laufen beide Serien in den USA beim Kabelsender AMC, der bis vor kurzem davon lebte, Schwarzweißfilme zu wiederholen (AMC steht für American Movie Classics) und nichts zu verlieren hatte. Bis heute gibt es bei AMC nur zwei eigenproduzierte Serien: Mad Men und Breaking Bad. Vorher spielte der Sender im amerikanischen Fernsehen kaum eine Rolle. Warum sollten die kleinen deutschen Sender nicht auch von ihrem Mut profitieren?
Leverage, mittwochs um 22.15, Vox.
Mad Men, mittwochs um 22.30 Uhr, zdfneo.
Breaking Bad, samstags um 22.00 Uhr, arte.
Michael, 6. Oktober 2010, 13:01.