Eigentlich sollte die Überschrift Little Jon & The Golden Statues lauten, eine Anspielung auf Long John & The Silver Beatles, den früheren Namen der Beatles, und auf Jon Stewarts Körpergröße von nur 1,68 Meter, aber das erschien dann sogar mir zu weit hergeholt.
Als ich den Fernseher einschalte, steht Steven Gätjen gerade ratlos herum und hält nach irgendwem Ausschau, den ich nicht kenne. Diese Situation ist nicht repräsentativ. Ich bin sehr beeindruckt, welche Kinokenntnisse Gätjen wieder aus dem Ärmel schüttelt und wie professionell er seine Sendezeit im Gespräch mit dem roten Teppichvolk füllt.
Aber eigentlich sind wir ja hier, um den Amerikanern zuzusehen. Mit meinem Respekt vor Steven Gätjen stehe ich erfahrungsgemäß ohnehin allein da.
2.00 Uhr: Das ist Regis Philbin, der in diesem Jahr die 30-minütige Vorab-Show moderiert. Philbin ist etwa ungefähr 150 Jahre alt, in den USA eine Fernsehlegende und Guinness-Weltrekordhalter für die meisten moderierten Fernsehstunden. Er teilt mit:
1978 habe ich das hier schon mal gemacht, und ich war so gut, dass sie mich nur 30 Jahre später schon wieder gefragt haben.
2.14 Uhr: Der Informationsgehalt der halben Stunde vor der Show beschränkt sich wie üblich darauf, dass die Schauspielerinnen Kleidung tragen und diese von jemandem entworfen wurden. Wer hätte das gedacht?
2.17 Uhr: Ich hätte die Zeit nutzen können, mich über die nominierten Filme zu informieren. Ich glaube, dieses Jahr kenne ich zum ersten Mal keinen einzigen. Ich hätte ja was im Fernsehen verpassen können, während ich im Kino sitze.
Ist es nicht eigentlich merkwürdig, dass die Verleihung von Fernsehpreisen im Fernsehen gezeigt wird, die Verleihung von Kinopreisen aber auch?
2.27 Uhr: So, jetzt müsste aber allmählich mal dieser Teppich gereinigt werden. Regis ist schon im Theater und erklärt Treppenstufen und sitzende Menschen. Er nennt etliche Namen, und es klingt wie Dieter Thomas Heck, der den Abspann vorliest. Der gleichzeitig durchlaufende Abspann deckt sich aber nicht mit den Namen. Dann geht’s jetzt wohl gleich los.
2.33 Uhr. Jon Stewart freut sich, dass der Autorenstreik endlich zu Ende ist, nachdem Hollywood dreieinhalb Monate gespalten war:
Willkommen zum Versöhnungssex!
2.36 Uhr:
Die Geschichte einer Frau, die ihren eigenen Mann vergisst. Hillary Clinton nennt ihn „Den Wohlfühlfilm des Jahres.“
2.38 Uhr:
Dennis Hopper ist hier. Ich sage das nur, damit Dennis Hopper weiß, wo er ist. Keine Sorge, ich werde es alle 15 Minuten erwähnen.
2.40 Uhr: Das prominente Publikum reagiert verhalten auf ein paar politische Witze, taut aber auf, als Jon Stewart den Bogen von Barack Obama und Hillary Clinton wieder zurück zum Film schlägt.
Wenn man einen Schwarzen oder eine Frau als Präsident sieht, rechnet man eigentlich damit, dass jeden Moment ein Asteroid die Freiheitsstatue zerstört.
2.41 Uhr:
Barack Hussein Obama. Sein mittlerer Name ist der Nachname des früheren irakischen Tyrannen. Sein Nachname reimt sich auf Osama. Das muss man erst mal überwinden. Wir erinnern uns alle an die gescheiterte 1944er Präsidentschaftskampagne von Gaydolf Titler.
2.48 Uhr: George Clooney feiert die 80-jährige Oscar-Geschichte:
Eines hatten alle Verleihungen gemeinsam: Sie waren lang.
2.49 Uhr: Sehr schöne Clipshow bewegender Oscar-Momente. Lässt sich schlecht wiedergeben. Nur schade, dass sie dazu Celine Dion spielen. Weiß ABC in den USA denn nicht, dass wir in Deutschland in den Werbepausen bereits Monrose ertragen müssen?
2.52 Uhr: Es ist so toll, dass Steve Carell, ein früherer Mitarbeiter von Jon Stewarts Daily Show, nicht nur Fernsehen, sondern auch Filme macht. So haben wir bei jeder Art von Preisverleihung eine lustige Rede von ihm. Diesmal hebt er an, den Stellenwert relevanter Dokumentationen herauszustellen, muss sich dann aber darauf hinweisen lassen, dass er nur „Bester Trickfilm“ vergeben darf. „Ratatouille“ gewinnt.
2.56 Uhr: Der Preis für Make-up steht an. Eigentlich müsste der Maskenbildner der roten Teppichshow gewinnen. Regis Philbin sah noch gar nicht aus wie 150.
2.57 Uhr: Stattdessen gewinnt jemand, der aussieht wie Horst Schlämmer. Gut, auch schlüssig.
3.02 Uhr: Ich tippe mal, dass die unmoderierten Oscar-Ausschnitte mit Michael Douglas und Catherine Zeta-Jones auch mit der 80-Jahr-Feier zu tun haben. Oder ist das Paar bei einem Autounfall ums Leben gekommen?
3.05 Uhr: Ich mag diesen Song, mit dem sie Germany’s Next Top Model bewerben: „Acceptable In The 80s“ von Calvin Harris. Ich bin ja so gespannt, ob ich ihn in zwei Stunden immer noch mag.
3.07 Uhr: Jon Stewart erklärt, was im Saal eigentlich während der Werbung passiert:
Wir machen gehässige Bemerkungen über die Outfits, die Sie zu Hause tragen.
3.12 Uhr: Hat die ältere Frau gerade „I am so grapefruit“ gesagt? Oder doch „grateful“? Ich sehe sie mir noch mal an und bin weiter unsicher.
3.19 Uhr: Javier Bardem („No Country For Old Men“) ist der beste Nebendarsteller und bedankt sich auf spanisch. Wenn er jetzt flucht, kann der ABC-Zensor womöglich nicht schnell genug reagieren.
3.23 Uhr: Einige Filmmontagen mit alten Ausschnitten haben wir schon gesehen. Jetzt erklärt Jon Stewart, wie die Oscars ausgesehen hätten, wenn der Autorenstreik nicht rechtzeitig beendet worden wäre: Vier Stunden lang noch mehr Montagen. Als Beweis zeigt er „Oscars Würdigung von Ferngläsern und Periskopen.“
3.27 Uhr: Der übersteuerte Ton bei diesem nominierten Song klingt furchtbar. Warum konnte es nicht bei Celine Dion derart zerren?
3.31 Uhr: Jerry Seinfeld ist als animierte Biene aus „Bee Movie“ zu hören und zeigt eine Montage mit Ausschnitten aus Bienenfilmen, um auf seine früheren Rollen hinzuweisen.
3.36 Uhr: Tilda Swinton gewinnt den Oscar als beste Nebendarstellerin für „Michael Clayton. Cate Blanchett als Bob Dylan und Ilja Richter für seine Rolle in „Tante Trude aus Buxtehude“ gehen leer aus.
3.45 Uhr: Jon Stewart zählt durch:
Wie aufregend: Jessica Alba ist schwanger, Cate Blanchett ist schwanger… gleich zwei schwangere Frauen im Saal! Andererseits… die Nacht ist noch jung, und Jack Nicholson ist hier. Am Ende des Abends wird neu ausgezählt.
3.48 Uhr: Die verrückten Coen-Brüder gewinnen für „No Country for Old Men.“ Der Name ihrer Kategorie, „Best Writing, Screenplay Based on Material Previously Produced or Published“, ist länger als ihre Dankesrede.
3.50 Uhr: Eine Filmeinspielung, für die offenbar nicht Jon Stewart und seine Autoren, sondern die Academy direkt verantwortlich ist, erklärt ausführlich, wie die Gewinner ermittelt und bis zur Preisverleihung geheim gehalten werden. Das ist ungefähr so lustig und auch mit der gleichen Musik unterlegt wie die Sicherheitshinweise vor einem Langstreckenflug.
3.52 Uhr: Jon Stewart kommt nach dieser filmischen Erläuterung zurück auf die Bühne und sagt im aufgesetztesten Tonfall, den man sich vorstellen kann:
Wow, das war fantastisch! Ich dachte immer, es geschehe durch Superdelegierte.
3.54 Uhr: Ähnlich wie die Werbepausen bei ABC und ProSieben sind die Pinkelpausen bei den fünf Filmfreunden und dem Fernsehlexikon synchron. Aber woher wissen ABC und ProSieben, wann wir wieder zurück sind?
4.01 Uhr: Jon Stewart stockt auf: Jessica Alba ist schwanger, Cate Blanchett ist schwanger — und Nicole Kidman auch. Der Bildschirm wird in Einzelbilder geteilt wie bei den Nominierten und Jon verkündet:
And the baby goes to…. Angelina Jolie!
4.04 Uhr: Ich habe keine Ahnung, wer die hässlichen Männer sind, die sich darum streiten, wer bei der Laudatio die Rolle von Halle Berry, und wer Judi Dench spielen darf, aber keiner von ihnen ist Ilja Richter.
4.13 Uhr: Als beste Hauptdarstellerin wird die einzige Frau in dieser Kategorie geehrt, deren Namen ich nicht schreiben kann. Machen wir es über das Ausschlussprinzip: Es sind nicht Cate Blanchett, Julie Christie, Laura Linney und Ellen Page.
4.23 Uhr: Nach dem letzten nominierten Song konnte man für einen kurzen Augenblick hören, dass die Laudatoren über die Saalbeschallung offenbar namentlich angekündigt werden. Diese Geheiminformationen dürfen die Zuschauer zu Hause jedoch auf keinen Fall erreichen. Aber gut, Jack Nicholson, der jetzt kommt, kenne sogar ich.
4.24 Uhr bis ca. 8.00 Uhr: Lange Liste der bisher als „Bester Film“ ausgezeichneten Werke.
4.28 Uhr: Oh, doch schon fertig.
4.29 Uhr: Der Preis für den besten Schnitt wird präsentiert von Renée Zellweger, die einst als beste Schnitte gewann. (Entschuldigung.)
4.34 Uhr: Robert Boyle, der alte Ausstatter, bekommt im Alter von 98 Jahren den Ehrenoscar fürs Lebenswerk. Für den richtigen war er zwar viermal nominiert, hat aber nie gewonnen. Martin Scorsese hätte das beinahe auch geblüht.
4.42 Uhr: Jon Stewart schockt die Welt:
Wir hatten ein kleines technisches Problem und müssen mit der Show noch mal von vorn anfangen.
4.44 Uhr: Der österreichische „Fälscher“ wird bester fremdsprachiger Film.
4.47 Uhr: Der da den finalen besten Song-Nominierten singt, sieht aus wie ein junger Tom Cruise, ist aber etwa einen Meter zu groß.
4.50 Uhr: Der Oscar für den besten Song wird überreicht, was Anlass zur Hoffnung gibt, dass ab jetzt niemand mehr singt. Das dreifach nominierte „Enchanted“-Duo aus Alan Menken und Stephen Schwartz geht leer aus, „Once“ gewinnt.
4.56 Uhr: Der bisher schönste Oscar-Moment: Markéta Irglová, eine Hälfte des Autorenduos, das eben den Oscar für den besten Song gewann, war nicht zu ihren Danksagungen gekommen, weil das Orchester die beiden von der Bühne spielte. Klar, Musiker haben wenig Verständnis für Musiker. Nach der Werbepause holt Jon Stewart sie zurück auf die Bühne und lässt sie, ohne dass ein ag dahintersteckt, ihren Dank nachholen. Respekt!
5.05 Uhr: Der Applausometer-Preis für den beliebtesten Verstorbenen geht an Deborah Kerr und Ingmar Bergman. Heath Ledger profitiert vom allgemeinen Schlussapplaus.
5.12 Uhr: Fünf Soldaten präsentieren die Kurzdoku-Nominierten per Satelliten-Schaltung aus Bagdad. Der Ton ist nicht ganz so schlecht wie bei den ersten Song-Nominierten.
5.18 Uhr: Der Langdoku-Sieger Alex Gibney („Taxi To The Dark Side“ über die US-Folterpraktiken in Afghanistan, dem Irak und Guantanamo) verkündet:
Meine Frau hatte gehofft, ich drehe eine romantische Komödie.
5.30 Uhr: Helen Mirren sagt einzelne Wörter auf. Sollen charakterdarstellerische Eigenschaften symbolisieren. Dann sagt sie auf, wer bester Hauptdarsteller wird: Daniel Day-Lewis.
5.36 Uhr: So, zwei hamwa noch, dann is Schicht. Beste Regie und Bester Film. Heißt: ProSieben zeigt den langen Trailer für „Michael Clayton“ höchstens noch achtmal.
5.43 Uhr: Noch ein Oscar, diesmal Regie, für Joel und Ethan Coen. Ethan, der vorhin schon nur „Danke“ sagte, erklärt, er habe dem von vorhin nichts hinzuzufügen.
5.46 Uhr: Bester Film: „No Country for Old Men“. Die Coen-Brüder waren nicht mal zurück auf ihren Plätzen.
5.48 Uhr: Ende. Ich danke allen Lesern und Kommentierenden für die Anteilnahme, Jon Stewart für die lustige, unaufdringliche Moderation, ProSieben dafür, dass mich die Werbeblockfüllungen immerhin etwas weniger genervt haben als normalerweise, …. (Orchester spielt mich ins Bett.)
Michael, 25. Februar 2008, 02:02.