„Das wär‘ jetzt aber blöd, wenn das nicht ankommt“

Dem Autor Orkun Ertener verdankt das Fernsehen den überdeutschen türkischen RTL-Ermittler Sinan Toprak, den knurrigen Kieler Tatort-Kommissar Klaus Borowski — und die atemberaubende und preisgekrönte Krimiserie KDD — Kriminaldauerdienst. Ab Freitag zeigt das ZDF die zweite Staffel der nicht nur für ZDF-Verhältnisse außergewöhnlichen Serie. Ein Werkstattgespräch.

 

Woher kam die Idee zu Kriminaldauerdienst?

Orkun Ertener: Vor vielen Jahren, ungefähr 2002, haben mich die Produzenten Mischa Hofman und Kathrin Breininger gefragt: Hast du nicht Lust, eine authentische, aber billige Krimiserie zu schreiben? Ich war schon damals Liebhaber von amerikanischen Ensemble-Stücken und hatte das Gefühl, das haben wir im deutschen Fernsehen noch gar nicht: diese horizontalen Erzählstrukturen mit Geschichten, die sich über mehrere Folgen erstrecken. Ich wollte gerne ein Medical Drama mit einem Police Drama kombinieren, so etwas wie E.R. auf der Polizeiwache. Und dann haben wir lange daran entwickelt.

Eine „billige“ Krimiserie?

Eine kostengünstige. Es ist dann aber doch eine eher teure, gut ausgestattete Produktion geworden.

Aber was heißt der Auftrag „billig“ für einen Autor?

Zum Beispiel wenig Aufmerksamkeit in abstürzende Polizeihubschrauber zu legen, sondern auf den Dialog: ein echtes Drama.

Wie kam das ausgerechnet ins ZDF?

Der Redaktion, Klaus Bassiner und Axel Laustroer, hat das Pilotbuch, das wir ohne Senderauftrag entwickelt hatten, gefallen, nach der Legende hat es dann auch der Programmdirektor irgendwann im Flieger gelesen und gesagt: Wir machen das. Am Anfang gab es noch den Plan, es mittwochs zu senden, auf dem Platz, an dem Kanzleramt untergegangen ist — was nach meiner Vermutung KDD genauso ergangen wäre. Dann entschied das ZDF, das am Freitag laufen zu lassen…

… auf dem traditionellen Platz für die biedersten Krimis im deutschen Fernsehen.

Das ist sehr, sehr zweischneidig. Einerseits glaube ich wirklich, wir wären am Mittwoch untergegangen. Andererseits ist die erste Staffel am Freitag kaum wahrgenommen worden. Das ZDF hat, glaube ich, zu wenig kommuniziert: Das ist zwar der Termin, auf dem auch Der Alte läuft, aber was dann kommt, Kinder, ist was ganz anders — Publikum mit Herzbeschwerden bitte abschalten, die anderen bitte zuschalten. Es gab dann bei Quoten auch eine richtige Kurve nach unten.

Woran lag das?

Das ist schon ein Kulturschock. Es ist kein Wunder, dass viele traditionelle ZDF-Krimi-Zuschauer abschalten; es müssten aber andere hinzukommen, und das ist in der nicht ausreichend passiert. Aber wenn man das besser kommuniziert, was bei der zweiten Staffel mehr geschieht, ist der Freitag gar nicht schlecht.


Foto: ZDF

War KDD als Berlin-Drama konzipiert?

Nein. Ich hatte viel hier in Köln recherchiert und wollte das hier auch erzählen. Ich dachte, Berlin könnte zu klischiert sein, bei den Geschichten, die ich erzählen wollte. Das ZDF fand aber, dass Köln ein bisschen abgefilmt ist. Was kommt dann in Frage? Kreuzberg, Neukölln — immer noch mit großen Ängsten von mir begleitet. Aber das hat sich als großartige Senderentscheidung erweisen. Ich würde heute sagen, das könnte nirgends anders spielen — obwohl viele Geschichten gar nicht von dort kommen.

Vieles an KDD ist ungewöhnlich. Zum Beispiel erzählen Sie realistisch anmutende soziale Dramen, entscheiden sich aber im Zweifelsfall für den größeren Knall, den besseren Unterhaltungswert.

Ja. Mir war die Dramaturgie oft wichtiger als Realismus oder die Anmutung von Authentizität. Wir reden von Fiktion, nicht Dokumentation.

Andererseits ist es kein Märchen, die Geschichten wirken echt.

So gut wie jeder Kriminalfall in KDD ist wahr. Ich möchte erfahren: Wie können Menschen sein? Was passiert ihnen? Ich war für ein paar Tage hier beim KDD, um zu sehen: Wie sind die, was reden die, wann kriegen die glänzende Augen? Dann erzählen die diese unglaublichen Geschichten wie die von der Mutter, die behauptet, ihr Kind sei entführt worden – dabei hatte sie es nur erfunden, um jahrelang Sozialleistungen zu bekommen. Wenn sechs, sieben Leute da arbeiten und ihnen solche Geschichten begegnen, und jeden Tag eine neue: Was macht das mit denen? Das ist die Grundfrage, der Motor der Serie.

Die ganze Geschichte mit dem erfundenen Kind ist eine von vielen Miniaturen in KDD. Sie ist, alles in allem, vielleicht fünf Minuten lang.

Höchstens.

Sie tippen das nur einmal an und sagen: Ich habe hier folgende Geschichte. Die führt aber nicht irgendwo hin, sondern funktioniert als Pointe.

Ja. Viele Geschichten, nicht alle, sind auf einen überraschenden Moment hin erzählt. Das Erzählkonzept beruht aber auch darauf zu sagen: So ist es da ja im Kriminaldauerdienst, die die Fälle nur am Anfang bearbeiten und dann weitergeben. Aber so ist es in unserem Leben und unserer aller Arbeit ja auch oft: Man hat nur einen Eindruck, kann kurz auf etwas reagieren, und das war’s. Ich wollte die Splitter zeigen, ohne die Geschichte von vorne bis hinten zu erzählen und zu wissen, wie sie moralisch zu bewerten ist. Das ist ein Anspruch von mir: nicht zu moralisieren, sondern moralische Fragen aufzuwerfen.

Im „Tatort“ hätte die Kindesgeschichte allein 90 Minuten gefüllt.

Es gibt eine bestimmte Erzähltradition beim Tatort, zum Glück nicht die einzige, die ich ganz entsetzlich finde. Da werden Dinge zerdehnt und bewertet und dadurch verlieren sich die Impressionen, die bohrende Fragen, die sie auslösen können.

Bei manchen dieser Miniaturen habe ich mich gefragt, ob das nicht auch etwas Frivoles hat – kurz das Elend von Personen zu zeigen, die man dann sofort wieder aus den Augen verliert, nur um eine Pointe zu setzen.

Das ist in der Tat eine berechtigte, hochmoralische Frage. Da ist diese ganz kurz erzählte Geschichte mit der Frau, die Krebs hat und aus Geldgründen, ihrer Familie zuliebe, Selbstmord begeht. Ich finde, diese Figur ist ernsthaft erzählt und auch so inszeniert. Dann darf man sie auch benutzen: Wenn man das Gefühl hat: Es sind nur 20 Sekunden, aber es ist ein wahrhafter Augenblick. Und es gibt ein paar wirklich wahrhafte Momente in KDD.


Foto: ZDF

KDD hat aber auch etwas von einer Seifenoper. Manchmal übertreiben Sie es mit den Geschichten und den Knalleffekten, die Sie Ihren Figuren zumuten. Ist es gefährlich, mit den Figuren so frei spielen zu können?

In der ersten Staffel haben wir experimentiert, manchmal mit einer kindlichen Freude, die Formen auszuprobieren. Die Figuren haben alle eine Macke: Der eine verliert die Tochter, der andere muss mit seinem Alkoholismus kämpfen. In der Anhäufung ist das schon gefährlich. Vielleicht war da auch die Angst, dass das womöglich die einzige Staffel ist, die es geben wird — ich will da alles erzählen. Sonst hätte man es eher wie bei amerikanischen Vorbildern gemacht, die sagen: Den Charakter können wir auch in Staffel sieben noch zum Tablettenabhängigen machen. Aber in der Zukunft heißt es für KDD vielleicht auch, die Häufung von persönlichen Schicksalsschlägen wieder ein bisschen zurückzunehmen.

Ist denn eine dritte Staffel schon sicher?

Ja, es gibt einen Auftrag, und ich sitze gerade an der Entwicklung. Gut, falls die Quoten miserabel sind,stellen sich vielleicht wieder Fragen.

Ist das normal, dass ein Sender das vorab in Auftrag gibt? Schon die zweite Staffel war angesichts der Quoten ja keine Selbstverständlichkeit.

Sie haben zum Glück nach den ersten drei oder vier Folgen entschieden, da war der Schnitt noch okay.

Es hat gerade gereicht.

Ja. Und die gute Presse hat sicher geholfen und später die Preise. Es ist eine Art ungeliebtes Wunderkind: Eigentlich möchten das alle machen, aber es hat noch nicht den Quotenauftrag erfüllt.


Foto: ZDF

Die erste Staffel endet dramatisch offen: Einer völlig misslungenen Aktion, an deren Ende das ganze Personal im Blut liegt. Das wirkt, als wollten Sie sich die Möglichkeit offen lassen, das halbe Ensemble auszutauschen.

Nein, das war keine Option. Es war aus dramaturgischen Gründen klar, dass Rainer Sallek (Christian Redl) stirbt. Aber sonst niemand. Und die Figur des internen Ermittlers Stieglitz war schon lange vor der Besetzung meine Lieblings-Nebenfigur, dann kam Michael Rotschopf als Schauspieler, und der ist so großartig, der muss auf jeden Fall am Leben bleiben.

Aber Sie hatten auch einfach kindliche Lust, mit dem fiesestmöglichen Cliffhanger aufzuhören, oder?

Ja, aber wir wollten auch sagen: Es hört noch nicht auf, Kinder, es geht weiter. Wir haben Zeit — wir haben uns sehr gehetzt in der ersten Staffel, aber es kommt eine zweite. Ich möchte den Figuren lange nachgehen und versuchen, so ernst wie möglich zu erzählen, wie sie in dieser Zeit sind. Es gibt da die Kristin, die Saskia Vester spielt, das ist eine alte Figur: Ich habe bei Recherchen für Stahlnetz mit einer Polizistin über Mobbing bei der Polizei gesprochen, und da fiel der Nebensatz: Und wenn man jetzt noch lesbisch wäre, das wäre tödlich. Aus so einem Satz entsteht manchmal eine ganze Figur: Was wäre wenn? Vielleicht würde man in anderen Serien erst einmal nur diese Geschichte erzählen und die anderen Polizisten wären eher unauffällig — bei KDD ist es so, dass jede einzelne Figur so einen interessanten Kern hat.

Die lesbische Polizistin hat sich aber vorerst mal einen Mann gesucht. Es gibt die Kritik, dass hinter der modernen Fassade von KDD ein sehr konservatives Weltbild stecke. Finden Sie das eine legitime Kritik?

Grundsätzlich nein. Andererseits ist es natürlich so, dass zum Beispiel in 24, einer Serie, die ich dramaturgisch unglaublich toll finde, ein Weltbild transportiert wird, das mich zum Kotzen bringt. Schon das Szenario der permanenten Bedrohung, und es gibt nur die Lösung durch Gewalt. Ich glaube aber nicht, dass in KDD eine Lebensart diffamiert und eine andere gefeiert wird. Wir zeigen: Es gibt Gewalt. Es gibt auch eine Gewaltbereitschaft bei Polizisten. Aber da wird keine Ideologie transportiert.


Foto: ZDF

Sind Sie jetzt angefixt, was das Serien-Schreiben angeht?

Vor vier, fünf Jahren, habe ich gedacht: Die Serie ist die Königsdisziplin des Fernsehens, und ich möchte das gerne machen. Eigentlich ist das auch jetzt noch so — theoretisch. Aber die letzten Jahre frage ich mich: Was soll ich hier erzählen? Alles, was mich interessiert, floppt. Ich habe das Gefühl, als befänden wir uns in einer Beerdigungsphase: das Ende der Fiktion. Es gab ein Projekt, auf das ich viel Lust hatte, eine Krankenhausserie, sehr realistisch erzählt, auch ein bisschen ambitionierter (was auch immer das heißt). Ich habe lange recherchiert, war im Krankenhaus, und es waren auch schwere Geschichten: Wenn Kinder sterben, ist das nicht so schön. Der Sender hat dann irgendwann gesagt, so schwer geht das nicht. Nicht im Moment. Wenn es überhaupt noch Fiction gibt, ist die Frage überall: Kriegen wir das nicht auch ein bisschen leichter?

Die Sender wollen keine düsteren Serien.

Ja, aber was ist „düster“? Was ist „hell“? Ich finde KDD überhaupt nicht düster.

Nicht?

Nein. Eigentlich, um es ganz pathetisch zu formulieren, obsiegen doch am Ende immer die positiven Werte. Es gibt eine Loyalität in dieser Gruppe von Polizisten, sie werden aufgefangen, alle miteinander, wem auch immer es schlecht geht. Es gibt Figuren wie Stieglitz, die sich in eine Sache reinwühlen, um sie aufzuklären, das ist für mich hell. Aber natürlich sieht das düster aus. Aber was mit den Kriterien „düster“ und „hell“ gemeint ist, ist vermutlich Eskapismus: Hilft es mir, mich wegzuträumen, oder hilft es mir nicht?

In dem Sinne ist KDD beides: fantastisch und realistisch.

Wenn die Dinge im Fernsehen fiktional authentischer erzählt werden, heißt es: Können wir nicht mehr in Richtung Märchen gehen, mit einer schönen moralischen Auflösung? Gleichzeitig gibt es ein unglaubliches Bedürfnis nach Authentizität — im nicht-fiktionalen Bereich, mit Schuldnersendungen zum Beispiel, auch ohne Happy End. Ich habe mal eine leichte, durchaus auch eskapistische Serie über einen Insolvenanzwalt vorgeschlagen. Die Antwort war: Das ist zu düster. Da geht es um Schulden, existenzielle Krisen, Arbeitslosigkeit… Dabei funktioniert das im Doku-Bereich hervorragend.

Es gibt wenige deutsche Serien, in die das Leben schwappt.

In Serien nicht, aber in Einzelstücken, den Tatort. Aber was wirklich fehlt und mich auch als Zuschauer interessiert: Ein moralisches Dilemma hinzustellen und es nicht zu lösen. Weil, woher soll ich die Lösung wissen? Ich sehe bei den Serien auch kein Licht am Horizont. Ich würde gerne eine BND-Geschichte machen, erzählt durch eine Paartherapie von einem Ehepaar, das zusammen arbeitet und Spionagegeschichten zum Therapeuten bringt. Das hab ich gar nicht erst versucht. Sobald Sie das jemandem erzählen, wird der Ihren Puls fühlen. Das ist zu komplex.


Foto: ZDF

Haben Sie mit der Resonanz auf KDD gerechnet?

Ich hab wirklich eineinhalb bis zwei Jahre nichts anderes gemacht als das. Das war quasi mein Leben. Und ich hatte wirklich das Gefühl, dass wir alle etwas Großartiges machen: Lauter verrückte Menschen, die da zusammen gearbeitet haben. Mit Kathrin Breininger der Glücksfall einer mutigen, klugen Produzentin. Dann Nessie Nessauer, die das Casting gemacht hat, was sie sonst für Serien nie macht. Saskia Vester als lesbische Polizistin zu besetzen — was ist das denn für eine Idee! Ich hatte das Gefühl, ich schreibe etwas Großartiges — und das habe ich selten. Ich habe nicht gedacht, ich mache das perfekt, aber es ist etwas Neues. Und dann kam immer eine Schicht dazu: die unglaubliche Ausstattung, eine tolle Kamera, dieses großartige Ensemble. Und wir haben so gearbeitet, wie andere nicht arbeiten. Mit ausführlichen Leseproben vor jedem Block. Jetzt sprechen wir sogar vor der Staffelentwicklung mit den Schauspielern, das ist ein großer Luxus und macht ungeheuren Spaß. Und ich hatte tatsächlich das Gefühl: Das wär‘ jetzt aber blöd, wenn das nicht ankommt. Mit dieser positiven Resonanz habe ich aber trotzdem nicht gerechnet.

Meinen Sie, dass so was eine Wirkung hat und andere ermuntert, ähnliches zu probieren?

Dafür hätte es schon der überragende Quotenerfolg sein müssen. Es ist ja nicht so, dass die Sender denken: Das ist qualitativ toll, das wollen wir auch, weil wir auch Preise wollen. Es gab die letzten zwei Jahren, glaube ich, keine einzige erfolgreiche Serie außer dem Bergdoktor.

KDD – Kriminaldauerdienst, freitags, 21.15 Uhr, ZDF.

Das Gespräch ist die Langfassung eines Interviews, das in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ erschienen ist.

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Stefan, 30. April 2008, 13:48.

Sinan Toprak ist der Unbestechliche

2001–2002 (RTL). 16 tlg. dt. Krimiserie von Orkun Ertener.

Hauptkommissar Sinan Toprak (Erol Sander) ist Dezernatsleiter bei einer Münchner Mordkommission. Er ist zwar Türke, hat aber ein paar typisch deutsche Eigenschaften, was seine Genauigkeit bei der Aufklärung von Mordfällen angeht. Die löst er zusammen mit seinem Assistenten Michael Holldau (Henning Baum) und dem Pathologen Ewald Buchner (Tim Wilde), mit denen er sich gut versteht; außerdem werden Dr. Hagen (Christoph Gareisen) und Bruno Meininger (Joseph Hannesschläger) in die Ermittlungen einbezogen. Der Job ist Toprak allerdings nicht so wichtig wie seine Frau Karin (Sabine Radebold) und seine Kinder Ilke (Canan Romey-Schlagenhof) und Talip (Stefan Altenbach).

Solider Krimi mit einem wunderbaren Retro-Zeichentrickvorspann und einer 60er-Jahre-Titelmusik. Die einstündigen Folgen liefen donnerstags um 21.15 Uhr. Im Oktober 1999 hatte RTL bereits einen Pilotfilm gezeigt.

So Close!

Eine Serie, die Glenn Close oder Ted Danson im Ensemble hätte, wäre es schon wert, gesehen zu werden. Damages — Im Netz der Macht hat Glenn Close und Ted Danson. Vermutlich deshalb zeigt Kabel 1 immer gleich zwei Folgen.


Foto: Kabel 1

Damages, was ebenso Schäden wie Schadensersatz heißen kann, ist eine völlig andere Anwaltsserie. Hier werden nicht von sympathischen Chaoten jede Woche mehrere skurrile Fälle durchgezogen; hier zieht eine unsympathische Herrscherin einen langen, komplizierten Fall von Wirtschaftskriminalität über eine ganze Staffel. Und trotzdem ist die Serie enorm kurzweilig, was vor allem daran liegt, dass die Charaktere sich dem Zuschauer ständig weiter offenbaren und entwickeln. Eine hartgesottene Staranwältin und eine naive Jungjuristin kämpfen gegen einen abgebrühten Geschäftsmann, der klassischerweise über Leichen gehen müsste. Die Serie ist keinen Deut lustig. Sie überrascht, verblüfft und entsetzt, wenn man nach und nach feststellt, dass der Milliardär, der mit allen Mitteln sein Vermögen verteidigen will, weit mehr Skrupel zu haben scheint als seine gegnerische Anwältin, die auf millionenschwere Schadensersatzklagen spezialisiert ist.

Die Serienheldin Patty Hewes (Close) ist kein Unsympath wie Dr. House, den man eigentlich ja doch liebt, weil er am Ende immer das Gute erreicht. Es gibt keinen Grund, Patty Hewes zu lieben, denn vorerst sieht man sie immer nur Schlechtes tun, und ob sie im Endergebnis Gutes erreichen wird, kann jetzt noch niemand wissen.

Und genau deshalb bleibt man fassungslos dran. Einer muss doch hier der Böse sein! Und was hat es eigentlich mit den wirren Vorausblenden auf sich, in denen es ganz offensichtlich um einen Mord geht? Ich mag solche Zeitsprünge nicht, die sich über mehrere Episoden ziehen, ohne Ansätze von Klarheit zu schaffen, und ich weiß nicht, ob ich sie begriffen hätte, wenn ich nicht zufällig vorher gelesen hätte worum es geht. Ich schreibe es in den nächsten Satz, und wer es nicht wissen will, kann beim nächsten Absatz weiterlesen. Pattys Juniorpartnerin steht im Verdacht, ihren Lebensgefährten umgebracht zu haben. Der ist in der eigentlich erzählten Geschichte in der Gegenwart noch putzmunter.

Doch diese Zeitsprünge machen diese Serie, in der man offenbar niemandem trauen kann, nur noch geheimnisvoller und spannender. Damages passt eigentlich gar nicht in die heutige Serienlandschaft. Und genau das macht es zu einer besonderen und sehenswerten Serie.

Damages — Im Netz der Macht; montags ab 21.10 Uhr bei Kabel 1 (jeweils zwei Folgen).

Michael, 28. April 2008, 01:08.

Damages — Im Netz der Macht


Foto: Kabel 1

Seit 2008 (Kabel 1). US-Anwaltsserie von Todd A. Kessler, Glenn Kessler und Daniel Zelman („Damages“; seit 2007).

Die hartgesottene New Yorker Anwältin Patty Hewes (Glenn Close) hat sich vor allem Schadensersatzklagen und dem Kampf gegen korrupte Großunternehmer verschrieben. Sie beschäftigt in ihrer Kanzlei die jungen Ellen Parsons (Rose Byrne), Tom Shayes (Tate Donovan) und einen Haufen weiterer Anwälte und vertritt in der ersten Staffel die Anklage gegen den Milliardär Arthur Frobisher (Ted Danson) wegen illegaler Insidergeschäfte. Er soll den wahren Zustand seines maroden Unternehmens den Mitarbeitern verschwiegen und sich derweil selbst durch den Verkauf seiner Aktien zum hohen Kurs bereichert haben. Patty kämpft mit allen, auch kriminellen Mitteln gegen Frobisher und seinen Anwalt Ray Fiske (Željko Ivanek), während Ellen in den Mord an ihrem Lebensgefährten David Connor (Noah Bean) verwickelt wird, dessen sie zunächst selbst verdächtig ist.

Im Gegensatz zu den meisten Anwaltsserien, in denen jede Woche mehrere neue Fälle be- und verhandelt werden, ziehen sich die beiden Fälle in Damages fortlaufend durch die komplette erste Staffel, wobei der Mordfall anfangs zum großen Teil in Vorblenden gezeigt wird, die sechs Monate in der Zukunft spielen.

Star Glenn Close wurde für ihre Darstellung viel gelobt und 2008 mit dem Golden Globe als beste Drama-Schauspielerin ausgezeichnet, doch auch Ted Danson, der mit Comedy-Hauptrollen in Cheers und Becker ein Star wurde, bekommt hier ausführlich die Gelegenheit, in einer völlig anderen Rolle zu zeigen, welch grandioser Schauspieler er ist.

Kabel 1 zeigt montags jeweils zwei einstündige Folgen.

Schreinemakers 01805 100 232


Foto: 9live

Seit 25. April 2008 (9live). Einstündige Call-In-Show mit Margarethe Schreinemakers, die sich einen prominenten Gast, einen Experten und einen paarungsbereiten Single in ihr selbstgebautes Heimstudio einlädt und mit ihnen und Anrufern plaudert. Zur Sendung gehört zentral eine eigene Internet-Community, in der man eigene Videos hochladen soll, um Anschluss zu finden, und über ein Telefonsystem kann jeder mit Experten und anderen Ahnungslosen chatten.

Läuft freitags um 18.45 Uhr in der Hot-Button-freien-Zone „neun TV“.

Bei Margarethe unterm Dach

Eigentlich sah schon ihr Studio, aus dem sie Schreinemakers live sendete, so aus, als hätte sie es im Hobbyraum einer Doppelhaushälfte ungebracht: mit dieser billigen Pappdekoration und den eineinhalb Zuschauerreihen. Jetzt sendet Margarethe Schreinemakers tatsächlich aus dem Dachgeschoss ihres Hauses in Belgien, und im Vergleich zu ihrer Sat.1-Show damals, die immerhin zu den erfolgreichsten Sendungen des deutschen Privatfernsehens gehörte, wirkt diese selbstgestrickte Variante, die im Internet und auf 9live zu sehen ist, erstaunlicherweise auch nicht billiger.

Es ist, als wäre sie nie weggewesen: die Stimme, der betroffene Blick, die nie unpeinlichen Outfits – und vor allem die Gespräche. Marijke Amado ist zu Gast und erzählt noch einmal von ihrem „Abo darauf, den falschen Mann zu haben“. Ein Buch hat sie sogar darüber geschrieben, auch als Warnung für andere, und Margarethe Schreinemakers sagt: „Das ist nicht das Buch, wo man sagt, das ist hohe Literatur, aber es ist echt.“ Einen Psychologen hat sie sich eingeladen, der Beziehungstipps geben soll. Ein kurzer Film hatte in die komplexe Materie mit dem Satz eingeführt: „Paare sind einfach zu unterschiedlich, weil sie Männer und Frauen sind.“ Zu dem älteren Taxifahrer, der angeblich anruft, weil er dauernd diese tollen Frauen im Rückspiegel sieht, während seine Ehefrau nur Blumen-Ikebana macht, fällt der versammelten Kompetenz im Studio nicht viel ein. Aber für die Frau, die schildert, wie aus ihrer Beziehung die Lust raus ist, dass sie mit ihrem Mann kaum noch etwas unternimmt, seit die Kinder da sind, nehmen sie sich viel Zeit. Nicht einmal halbkonkrete Tipps bekommt sie mit auf den Weg, aber stattdessen zum Schluss den Schreinemaker-Satz: „Ich finde es unwahrscheinlich intensiv, was Sie hier schildern, und unglaublich gelebt.“

Frank, 32, ist der Single der Woche: „Er möchte von Ihnen, meine Damen, gefunden werden.“ Und alle plaudern darüber, wie toll das ist, dass man auf schreinemakers.de jetzt seine eigenen Videos hochladen kann, wenn man Hilfe sucht, Freunde oder Partner — schon weil man mit Fotos ja immer tricksen kann, aber bei bewegten Bildern sofort einen richtig guten Eindruck bekommt. Marijke Amado äußert zwar eine gewisse Grundskepsis gegenüber dem Gedanken, Beziehungen übers Internet anzubahnen, aber gerade sie ist ja der beste Beweis, dass es ohne Internet auch gerne schiefgeht.

Nächste Woche geht es dann darum, wie man sich am besten trennt, und bis dahin kann man versuchen herauszufinden, wie man dieses aufwendige Telefonsystem nutzt, mit dem man (für immerhin nur 14 Cent pro Minute) sich zu merkwürdigen Experten durchstellen lassen und mit Unbekannten über irgendwas reden kann, und vor allem: warum. „Rufen Sie an zu allen Fragen, die Sie haben“, sagt Margarethe.

Ich war fest entschlossen, das grauenvoll zu finden, bereit, es in Bausch und Bogen zu verdammen, schon wegen des Senders, auf dem das läuft, und dem etwas irren Anspruch, als erster in Deutschland verstanden zu haben, wie man Internetfernsehen machen muss — nur: schlimmer als das, was sonst so in diesem Genre läuft im Fernsehen, nur mit viel mehr Aufwand produziert, war das auch nicht. Und dafür kann Frau Schreinemakers machen, was sie immer schon gemacht hat, nur schön von zuhause. Beneidenswert.

Schreinemakers 01805 100 232, freitags, 18.45 Uhr auf 9live — und immer im Internet: schreinemakers.de.


Fotos: 9live

Stefan, 26. April 2008, 07:54.

Hannah Montana

Seit 2007 (Super RTL). US-Jugendsitcom („Hannah Montana“; seit 2006).

Die „ganz normale“ Schülerin Miley Stewart (Miley Cyrus) führt ein Doppelleben: Abends steht sie mit Perücke verkleidet unter dem Künstlernamen Hannah Montana auf der Bühne und ist ein Popstar. Jeder kennt Hannah Montana, aber nur ihre engsten Freunde und ihre Familie wissen, wer sich hinter ihr verbirgt.

Als Mileys/Hannahs Vater spielt ihr echter Vater Billy Ray Cyrus in der Serie mit. Er spielt einen früheren Country-Star und war im wahren Leben früher ein Country-Star („Achy Breaky Heart“). Der gespielte Star Hannah Montana/Miley Cyrus wurde durch die Serie tatsächlich ein Star und verdient jetzt im Alter von 15 Jahren geschätzte 18 Millionen Dollar im Jahr.

Wird vielleicht ein Flugblatt

Miley Cyrus will ihre Memoiren schreiben. Sie sollen nächstes Jahr veröffentlicht werden. Das ist Pointe genug, mehr muss ich nicht schreiben.

Und falls Sie Miley Cyrus nicht kennen, dann ist das normal. Sie ist der Star der Super-RTL-Jugendsitcom Hannah Montana und die Tochter des Country-Sängers Billy Ray Cyrus („Achy Breaky Heart“). Miley Cyrus ist 15 Jahre alt.

Nachtrag 24. April:

Die Meldung scheint schon nicht mehr ganz frisch zu sein. What Would Tyler Durden Do? hatte bereits vergangene Woche sogar eine Pointe in der Form eines exklusiven Vorabkapitels:

Kapitel 9 — 10. Juli 2004

Heute sah ich ein Pferdchen. Ich sagte: Hallo Pferdchen!

ENDE

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Michael, 23. April 2008, 19:28.

Warmes Herz für kalte Fälle


Foto: ProSieben.

In Alexandra Neldels neuer Serie Unschuldig muss man zumindest nicht darauf warten, ob sie sich eines Tages der fiesen Verkleidung entledigen wird.

Außerdem hat Unschuldig keinen Untertitel. Kein Gedankenstrich, kein Titelzusatz. Kein Unschuldig — Grundlos gefangen. Oder Unschuldig — Auf der Jagd nach der Wahrheit. Oder wenigstens Unschuldig — Die total abgefahrene ProSieben-Krimikopie. Nichts. Schon allein das muss gepriesen werden.

Auch sonst lässt sich wenig Negatives über die neue Krimiserie sagen. Gut, sie sieht aus wie Cold Case. Verzeihung, es muss natürlich heißen: Cold Case — Kein Opfer ist je vergessen.

Und so wird es verborgen: Alexandra Neldel spielt keine Polizistin, sondern eine Rechtsanwältin, und die Fälle, die sie übernimmt, wurden nicht als unlösbar zu den Akten gelegt, sondern es wurde jemand als schuldig eingebuchtet, den die Protagonistin für unschuldig hält und rausholt. So oder so muss ein alter Fall neu aufgerollt werden, und damit haben wir im Wesentlichen Cold Case, inklusive der Jerry-Bruckheimer-Serien-typischen Flashbacks, die mit hektischen Weißblitzen ein- und ausgeblendet werden, und der pathetischen Musik, wenn am Ende in Zeitlupe der wahre Täter abgeführt wird.

Aber das macht ja mal wieder nichts, denn Krimiserien beruhen im Grunde ohnehin alle auf derselben Idee. Man muss diese Idee also nur mit guten Geschichten füllen, und schon freuen wir uns alle ganz doll. Das ist hier der Fall: Die Geschichten der ersten beiden Episoden sind originell, überraschend und spannend, und im Gegensatz zu den meisten Jerry-Bruckheimer-Serien spielt nicht schon die erste Episode in der Sadomaso-Szene, sondern erst die zweite. Und es gibt noch einen Unterschied: Die Hauptfigur lügt.

Schon früh in der Pilotfolge wird Rechtsanwältin Anna Winter von einem Bewunderer gefragt: „Warum machen Sie das?“, und sie antwortet: „Weil es mein Beruf ist.“ Doch wer deutsche Serien kennt, weiß: Protagonisten machen niemals etwas, weil ihr Beruf ist, sondern immer, weil es ihre Berufung ist. Weil sie ein Kindheitstrauma zu bewältigen haben. Weil ihnen einst selbst eine große Ungerechtigkeit widerfuhr. Oder weil der Untertitel es verlangt. Und deshalb erfahren wir am Ende dieser ersten Episode auch von dem Ereignis in Anna Winters Leben, das der wahre Grund für ihr Engagement ist.

Auch für die anderen beiden Hauptfiguren, die im Wesentlichen die Detektivarbeit für die Anwältin machen, haben sich die Autoren geheimnisvolle persönliche Geschichten ausgedacht, die hier und da aufblitzen. Das ist löblich, aber egal. Die Figuren sind uninteressant. Wer diese Serie sieht, wird sie wegen der Fälle sehen.

Deshalb wäre ein Wetten auf die Einschaltquote ein reines Glücksspiel. Unschuldig ist eine gute, aber unbedeutende Serie. Es gibt keinen Grund, warum sie ein Erfolg werden sollte. Es gibt aber auch keinen, warum sie keiner werden sollte.

Interessant könnte es werden, wenn ab übernächster Woche Cold Case direkt im Anschluss läuft. Falls Unschuldig dann überhaupt noch im Programm ist.

Unschuldig, mittwochs um 20.15 Uhr auf ProSieben.

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Michael, 23. April 2008, 06:06.

Wortschätzchen

1987–1988 (ARD). 45-minütige aufgekratzte Spielshow mit Margarethe Schreinemakers. Vier Paare treten in lustigen Sprachspielen gegeneinander an.

Die Show lief ungefähr monatlich dienstags um 20.15 Uhr, brachte Schreinermakers den Ruf einer völlig enthemmten Kindergartentante ein und verschwand nach neun Ausgaben.

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