Qualitätsfernsehen im Spiegel der Zeit

Schade eigentlich. In der ursprünglichen Version des nachfolgenden Texts waren mehrere Zitate den falschen Personen zugeordnet. Danke an die Kommentarschreiber für die entsprechenden Hinweise. Jetzt stimmt hoffentlich alles, aber wir sind verwirrt und garantieren sicherheitshalber für nichts. Qualitätsjournalismus ist eben auch nicht mehr, was er mal war.

Komik beruht immer auf einem gewissen Gefälle. Wenn einem jungen Mann oder einem Kind womöglich etwas misslingt, sagt man: Naja, das steht ihm zu. Wenn einem Älteren mit der ganzen Erfahrung, die er hat, dasselbe passiert, ist es viel komischer, weil er ja mit einem ungeheuren Anspruch an sich und die Welt auftritt. Wenn der sich irrt, wenn der fällt, dann ist das komisch.
(Loriot)

Wer aktuelle Talkshows kritisiert, wer Marcel Reich-Ranickis Abgesang auf die Qualität des deutschen Fernsehens mitpfeift, oder wer denkt: „Früher war alles besser, denn früher war alles aus Holz“, der wurde gestern Abend von Loriots Geburtstagscollage eines Besseren belehrt.

Zwischen Ausschnitten aus Loriots humoristischem Schaffen konnte man Teile von Interviews aus fünf Jahrzehnten sehen und musste zu dem Schluss kommen: Früher war vieles tatsächlich sehr hölzern — und nicht unbedingt besser.

Journalisten wie Gero von Boehm, Gerhard Schmitt-Thiel, Hellmuth Karasek, Axel Corti, Lea Rosh, Marianne Koch und der inzwischen verstorbene Theatermann August Everding stellten Behauptungen auf, zitierten, und manchmal fragten Sie Loriot sogar etwas. Allen gemein war die unfassbar geschmacklose Kleidung, die nur zum Teil der damaligen Mode geschuldet war, denn neben einem tadellos stilsicheren Loriot fiel sie umso mehr auf.

Lea Rosh quatschte Loriot ständig dazwischen und glänzte mit Bürgertums-Bildung: „Tristan ist meine Lieblingsoper!“

Hellmuth Karasek fragte nicht, sondern interpretierte den Loriot-Sketch „Bettenkauf“.

Axel Corti versuchte sich in Meta-Fragen:

Corti: „Wenn man öfter interviewt wird, und das passiert ja manchmal, können Sie Ihre eigenen Antworten noch erhören?“

Loriot: „Ich kann vor allen Dingen die Fragen nicht mehr hören. Meine Antwort kenn ich ja.“

Andere (Schmitt-Thiel und von Boehm) überlegten, machte lange Pausen mitten im Satz, um dann schließlich doch grammatische oder inhaltliche Fehler zu machen.

‚Triumph eines Genies‘ (Titel eines Films, in dem Loriot mitwirkte, Anm. d. Autors). Erinnert Sie das?

Axel Corti:

Als 1938 in Deutschland das geschah, was komischerweise immer noch Reichskristallnacht heißt, und wohl richtigerweise Progromnacht (sic!) hieße, da waren Sie wo?

Marianne Koch wollte ein bisschen provozieren, fiel dabei aber auf sich selbst herein:

Koch: „Ich finde, dass die ganze Sammlung dieser Loriot-Typen, ob jetzt gezeichnet, oder in persona, irgendwie’n bisschen freudlos, asexuell ist, ich mein‘ gerade noch verheiratet, aber…. ja — ist das irgendwie, äh, ich mein, woran liegt das?“

Loriot: „Wahrscheinlich wollte ich zu mir selbst einen wirkungsvollen Gegensatz schaffen.“

In diesem Zusammenhang wirkten die aktuellsten Interview-Ausschnitte von Beckmann weit weniger schmierig, als es die sagenhafte Switch-Reloaded-Parodie seiner Sendung vermuten ließe.

Auf Beckmanns Frage, ob es unter den Fernsehmenschen von heute jemanden gäbe, den er gerne karikieren würde, fiel Loriot keiner ein. Wahrscheinlich war er aber einfach zu höflich.

Jochen, 14. November 2008, 13:56.

A. T. — Die andere Talkshow

1989–1990 (RTL). 4-tlg. aggressive Streitshow mit Axel Thorer.

In einer von Metallgittern umgebenen Arena treffen Feministinnen auf Mädchenhändler und Obdachlose auf Spekulanten. Bodyguards, die an strategisch wichtigen Punkten im Studio stehen (nämlich dort, wo sie am besten ins Bild zu rücken sind), sollen das künstlich aufgepeitschte Publikum davor bewahren, etwas Unüberlegtes … nein, nur etwas wirklich total Unüberlegtes zu tun. Lautstarke Tumulte und Chaos sind dagegen überaus gewollt und treten planmäßig ein.

Adaption der „Morton Downey Jr. Show“, einer „Combat Talk Show“ aus den USA, die sich ab 1987 um Sex & Crime drehte, einen rüpelhaften rechtsradikalen Moderator hatte, zu Prügeleien im Studio führte und 1989 eingestellt wurde, weil die Werbewirtschaft sich massenhaft abwendete. Kam in Deutschland über vier einstündige Folgen zur Samstagabend-Primetime nicht hinaus, obwohl ursprünglich zehn geplant waren — die Quoten waren, anders als bei dem Konzept zu erwarten, miserabel. Außerdem wollte RTL es sich nicht komplett mit Politik und Landesmedienanstalten verderben. Der bullige Thorer mit eindrucksvollem Schnauzbart passte auch äußerlich gut in den Rahmen. Er war vorher Chefredakteur des Männermagazins „Esquire“ wurde später stellvertretender Chefredakteur von „Bunte“.

Unter aller föhring

Seit 1984 (Sat.1). Bisher 4-tlg. Reality-TV-Doku-Soap über einen hinterherlaufenden Fernsehsender (gespielt von Sat.1), der immer wieder an einen neuen Standort zieht und unterwegs einige Mitarbeiter auf der Strecke lässt.

Die mehrjährigen Episoden erfolgen in unregelmäßigen Abständen. Wechselnde Darsteller spielen die jeweiligen Geschäftsführer.

Episodenführer

1. Zelte aufschlagen in Ludwigshafen (Januar 1984)
2. Von Ludwigshafen nach Mainz (September 1990)
3. Von Mainz nach Berlin (August 1999)
4. Von Berlin nach Unterföhring (bis Juni 2009)

Für 2015 ist bereits eine neue Episode „Von Unterföhring nach Köln“ geplant, um endlich RTL einzuholen.

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Michael, 13. November 2008, 14:33.

Umzug in ein neues Leben

Seit 2006 (RTL). Doku-Soap über Menschen, die umziehen, meistens ins Ausland oder gar auf einen anderen Kontinent: Wie organisieren die Menschen ihren One-Way-Trip, wie richten sie sich am neuen Wohnort ein, und wie fassen sie dort Fuß?

Die einstündigen Folgen, angereichert mit vereinzelten nützlichen Informationen zum Thema Umzug, liefen staffelweise zunächst sonntags am Vorabend, zogen 2007 in die Primetime am Mittwoch um und 2008 auf montags um 21.15 Uhr.

Thun und Lassen

Die theoretischen Voraussetzungen für die neue ZDF-Serie Dell & Richthoven sind gut: Es ist eine Gaunerkomödie, und Friedrich von Thun und Christoph M. Ohrt spielen die Hauptrollen. Thun ist im ZDF ein Star und Orth ein guter Schauspieler, es hätte also schön werden können. Thun als Staatsanwalt im Ruhestand, und Ohrt als hinterlistiger, wandlungsfähiger Trickbetrüger, der von dem Alten angeheuert wird, Ganoven aufs Kreuz zu legen. Das klingt zwar harmlos, aber nach einem Grundstoff, aus dem man Lustiges hätte machen können.

Ist leider nicht passiert. Ohrt als sympathischer Ganove spielt traditionell toll, aber das Gesamtprodukt ist langweilig und vorhersehbar und schöpft das Potenzial hinter Personal und Idee nicht nur nicht aus, sondern streift es nicht einmal. In den Siebzigern hätte man die Serie womöglich für grandios gehalten. Aber damals guckten Darsteller auch noch direkt in die Kamera, um am Ende eines Dialogs einen Witz abzusondern.

Halt — das tun sie in Dell & Richthoven ja auch.


Fotos: ZDF/Katrin Knoke

Dell & Richthoven, donnerstags um 20.15 Uhr im ZDF.

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Michael, 13. November 2008, 06:41.

Dell & Richthoven

2008 (ZDF). 4-tlg. dt. Comedyserie von Michael Illner.

Der alte Staatsanwalt Sebastian Richthoven (Friedrich von Thun) ist inzwischen im Ruhestand, hat aber noch ein paar Rechnungen mit Strolchen offen, die er zu seiner aktiven Zeit nicht ihrer gerechten Strafe zuführen konnte. Er heuert den gerissenen Trickbetrüger Bruno Dell (Christoph M. Ohrt) an, damit der mit der Hilfe seiner langjährigen Partnerin Lilo (Katrin Sass) und Richthovens Nichte Hannah (Annalena Duken), einer Schauspielerin, die Ganoven aufs Kreuz legt.


Foto: ZDF/Katrin Knoke

Gaunerkomödie. Schöne Idee, aber leider lahm umgesetzt. Die ersten drei Folgen a 45 Minuten liefen donnerstags um 20.15 Uhr, die letzte am Samstagnachmittag.

Möpse!

Oft ist es nicht leicht, eine Überschrift zu finden, die den Leser auf einen Text heiß macht, die aber trotzdem noch entfernt mit dem Text zu tun hat. Bei Loriot ist es zum Glück einfacher. Er wird heute 85.

Im Januar saß ich auf seinem berühmten grünen Sofa. Es steht in der Kantine von Radio Bremen, und es ist eigentlich nur ein altes, durchgesessenes, nicht mehr sonderlich bequemes Sitzmöbel. Trotzdem war das ein besonderer Moment. Loriot ist für mich der größte deutsche Humorist, und obwohl mein Geschmack sich sonst nur selten mit dem der Masse deckt, ist die deutsche Mehrheit im Fall Loriot glücklicherweise auf meiner Seite.

In einem seiner biografischen Werke erzählt Loriot, wie er nach Tätigkeiten als Pianist und Holzfäller beschloss, sein Notabitur von 1941 zu vervollständigen.

Nach bestandener Prüfung erfreute ich mich einer gewissen Fertigkeit sowohl im Lösen vielstelliger Differential- und Integralaufgaben, als auch im Übersetzen griechischer Philosophen. Ferner verfügte ich über einen goldenen Zitatenschatz deutscher und englischer Klassiker. Zur musischen Abrundung meiner Ausbildung studierte ich noch sechs Semester an der Hamburger Kunstakademie. Nach insgesamt etwa zwanzig Lehrjahren sah ich mich nun imstande, ein kleines Männchen zu zeichnen, das mich bis heute ernährt.
(aus: „Das Männchen“)

Leider hat Loriot damit aufgehört, zu seinen runden Geburtstagen neue Sondersendungen zu produzieren, doch dann muss wenigstens die DVD-Box mit seinem Gesamtwerk nicht permanent aktualisiert werden.

Von uns gibt’s zum Geburtstag des großen Loriot ein Ständchen. Ach was, einen ganzen Stand.

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Michael, 12. November 2008, 06:34.

In Memoriam Horst Jüssen

Horst Jüssen gehörte zeitweise zur Lach- und Schießgesellschaft, war einer der Entwickler der Spielshow Tele-As mit Carolin Reiber und Peter Rapp, moderierte das Verkehrsquiz Hupkonzert und spielte den kleinkriminellen Schmarotzer Otto in Die lieben Verwandten.

Der Mehrheit wurde er aber durch die Klamaukshow Klimbim bekannt, wo er von 1973 bis 1979 neben Wichart von Roëll, Elisabeth Volkmann und Ingrid Steegers Brüsten zum ständigen Ensemble gehörte.

Horst Jüssen starb am Montag im Alter von 67 Jahren an Lungenkrebs.

Michael, 11. November 2008, 19:34.

Hupkonzert

1977 (ARD). Verkehrsquiz mit Horst Jüssen und je einem prominenten Gast.

Jüssen war einer der Stars von Klimbim. Warum ausgerechnet ihm jemand Verkehrsregeln glauben sollte, blieb offen.

Corinna

1995 (RTL). 6-tlg. dt. Sitcom.

Corinna (Ingrid Stein) ist dreimal geschieden. Sie hat ein großes Mundwerk und versucht, ihre Vorstellungen vom Leben als emanzipierte Frau mit den Erwartungen ihrer Familie zu vereinbaren. Sie lebt mit ihrem vierten Mann Klaus Belz (Wolf-Dietrich Berg), ihrem erwachsenem Sohn Frank Krüger (Dirk Schmidt) und dessen zehnjähriger Tochter Jenny (Michelle Krüger) unter einem Dach. Dr. Artur Habersatt (Horst Jüssen) ist ihr Nachbar.

Adaption der Sitcom „Maude“ aus den USA, die mit Bea Arthur in der Hauptrolle dort außerordentlich erfolgreich war. Die deutsche Version wurde ein Flop. 13 Folgen waren geplant. Den ersten Versuch, Corinna am Montag um 20.45 Uhr zu zeigen, im Doppelpack mit Otto – Die Serie beendete RTL schon nach der Pilotfolge. In einem zweiten Anlauf wurden donnerstags um die gleiche Zeit immerhin fünf Folgen gesendet, bevor das endgültige Aus mangels Quote kam.

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