Bei Sat.1 sickert jetzt den ganzen Mittwochabend das Leben ins Programm.
Das ist bemerkenswert, denn die Realitätskompetenz des Senders liegt bei null. Tagsüber laufen Schein-Übertragungen aus Gerichtssälen, am Vorabend Schein-Reportagen über Ermittler, abends Romantic Comedys — die Nachrichten zwischendurch guckt natürlich kein Schwein. Vermutlich muss man Ulrich Meyer als das journalistische Aushängeschild des Sender bezeichnen.
Aber im Gefolge von Formaten wie Peter Zwegats Raus aus den Schulden schwappt gerade eine große Non-Fiction-Welle durch das Privatfernsehen, und anders als bei fiktionalen Sendungen scheint die Zuschauer das soziale Elend nicht abzuschrecken, im Gegenteil. Und so kam es, dass man nun immer mittwochs einen ganzen Abend bei Sat.1 nicht nur mit echten Ermittlern, sondern auch echten Hartz-IV-Empfängern, echten kriminellen Jugendlichen und echtem Elend verbringen darf.
Vor der empörenden Sozialschmarotzer-Empör-Doku Gnadenlos gerecht, die schon ein paar Wochen auf Sendung ist, läuft seit gestern Geheime Helfer — der Lichtblick des Abends. Es ist die schon vor über einem Jahr vom Sender angekündigte deutsche Adaption des preisgekrönten und überaus erfolgreichen britischen Channel-4-Formates „Secret Millionaire“: Ein gut betuchter Unternehmer begibt sich für eine Woche an die Armutsgrenze und gibt sich selbst als mittellos aus, um Menschen und Einrichtungen kennenzulernen, die helfen. Hinterher enthüllt er seine wahre Identität und unterstützt die, die es seiner Meinung nach verdient haben, mit Geld bei ihrer Arbeit.
Das klingt arg zynisch, und das letzte Drittel der Sendung, wenn den Bedürftigen reihenweise das Wasser aus den Augen fällt vor so viel unerwarteten Wohltaten und die Kamera bei jeder Umarmung auf Super-Slow-Motion umschaltet, entspricht exakt dem Kitsch- und Klischee-Ende all dieser Wir-haben-den-armen-Leuten-freundlicherweise-ihr-Haus-renoviert-Shows. Aber bis es soweit ist, funktioniert das Konzept tatsächlich als Vehikel, um das Leben am Existenzminimum in die Prime-Time des kommerziellen deutschen Fernsehens zu bringen.
Das liegt vor allem an der Familie von Gelsenkirchener Hartz-IV-Empfängern, die der Wohltäter-in-spe in der ersten Folge trifft, die sich trotz (oder wegen) ihrer eigenen Sorge aufopfern, anderen zu helfen. Sie engagieren sich in verschiedenen Ehrenämtern und strahlen eine außerordentliche Herzenswärme aus. Es liegt aber auch an einer Produktion, die die Not dieser Menschen weder ausstellt noch beschönigt. „2,40 Euro für ein Stück Kuchen“, sagt die Mutter an einer Stelle nüchtern, „wer kann sich das leisten?!“
Die Sendung vermittelt auch ein Gefühl dafür, wie schwer es ist, seinen Stolz zu behalten, wenn man von ein paar Euro vom Staat lebt — und wie groß der Verteidigungsdruck gegen die andauernde Unterstellung, ein Schmarotzer zu sein. „Du brauchst nicht mit dem Kopf nach unten gehen, weil du arbeitslos bist“, sagt die Großmutter. „Wenn Du ein Ehrenamt hast und einer meckert, kannst Du sagen: Ich arbeite für mein Geld.“
Über eine Einrichtung, die der Kandidat kennen lernt, sagt der Sprecher aus dem Off: „Für zwei Euro Wochenbeitrag können Kinder und ihre Eltern hier ein warmes Essen bekommen. Es gehört zur sozialen Realität in Deutschland, dass sich manche selbst das nicht leisten können.“ Das sind bemerkenswerte Sätze für eine Sat.1-Show um 20.15 Uhr.
Aber das klappt nicht immer, dass das Leben wirklich ins Sat.1-Programm durchsickert. Die Reihe Die Jugendcops & Kommissariat 105 im Einsatz zwei Stunden nach den Geheimen Helfern nimmt sich zwar auch eine ganze Stunde Zeit, sich einem einzigen Problemjugendlichen zu widmen, der mit einer Horde Freunde zusammen einen ihm unbekannten, zufällig vorbeikommenden Mann aus einer reinen Laune heraus halb tot getreten hat.
Foto: Sat.1
Aber vielleicht hätte es schon geholfen, wenn die „Cops“ wenigstens einmal „Polizisten“ hätten heißen dürfen. Wenn der Erzähler nicht dauernd Quatschsätze gesagt hätte wie „Sie sind mit einem untrüglichen Gespür für sich anbahnende Straftaten ausgestattet“. Und wenn die coolen Bullen sich nicht auch noch als Musikband in Szene hätte setzen müssen. In keiner Sekunde fühlte sich das an wie das wahre Leben. Dies war bloß die Realität, in der Barbara Salesch Urteile fällt, Niedrig & Kuhnt ermitteln und Lenßen die Unschuldigen am Ende raushaut.
Sat.1 halt.
Stefan, 25. September 2008, 18:11.