Ad lib (ad libitum [lat.]: nach Belieben, in Tempo und Vortrag frei) ist etwas Feines, wenn man ein hervorragendes Schauspielensemble zur Verfügung hat. Ein gutes Beispiel ist der Spielfilm „Die fetten Jahre sind vorbei“ mit Julia Jentsch („Sophie Scholl“) und Daniel Brühl („Goodbye Lenin“). Hier improvisieren die Schauspieler über weite Strecken ohne vorgeschriebenen Text und schaffen eine wunderbar authentische Atmosphäre. Mit so herausragenden Schauspielern funktioniert ad lib also.
Wie verhält es sich dann aber in einer Dauerserie, wie etwa, sagen wir mal, der Lindenstraße? Nehmen wir als kleines Beispiel, sagen wir mal, Bill Mockridge in der Rolle des Erich Schiller. Gestern Abend zwischen 18.50 Uhr und 19.20 Uhr benutzte Mockridge/Schiller geschlagene fünf Mal seine Lieblingsfloskel „sagen wir mal“ und davon nicht ein einziges Mal an einer, sagen wir mal, passenden Stelle:
Helga, ich glaube, Du verkennst, sagen wir mal, den Ernst der Lage.
Ich denke, Du hast, sagen wir mal, so ziemlich alles falsch gemacht.
Vorwürfe bringen uns in dieser Situation, sagen wir mal, nicht weiter.
Wenn Nastya nichts anderes zu tun hat, als die ganze Sache, sagen wir mal, hier abzusitzen.
Ja, dem kann ich nur, sagen wir mal, aus vollstem Herzen zustimmen.
Im Gegensatz zu Bill Mockridge hinkte Anja Antonowicz als Nastya Scholz-Pashenko schwer hinter ihrer bisherigen Performance her. Normalerweise antwortet Nastya auf wirklich jede Frage mit ihrer Lieblingsfloskel „’Türlich“ (ohne „Na“). Gestern Abend: totale Fehlanzeige, nicht ein einziges „Türlich“ in der gesamten Folge. Ich mache mir Sorgen.
Trotzdem sind beide, Anja Antonowicz und Bill Mockridge auf dem besten Wege, einen anderen ganz Großen im ad-lib-floskeln zu schlagen: Klausjürgen Wussow, der in seiner Rolle als Prof. Brinkmann in der Schwarzwaldklinik die berühmten „Du…nich“-Formulierungen prägte und damit so vollendete Sätze schuf wie, sagen wir mal: „Du, die Käti ist jetzt tot, nich?“
Jochen, 11. Juni 2007, 12:43.