Die Harald Schmidt Show
1995–2003 (Sat.1). Late-Night-Show mit Harald Schmidt.
Die Harald Schmidt Show war anfangs eine noch perfektere Kopie der amerikanischen Late Show with David Letterman als die RTL-Nachtshow mit Thomas Koschwitz, entwickelte aber nach einiger Zeit ein erstaunliches Eigenleben. Jede Sendung begann mit einem Monolog und Einspielfilmen mit Gags zum aktuellen Tagesgeschehen. In der zweiten Hälfte der Show saß Schmidt hinter einem Schreibtisch und empfing prominente Gäste. Wie in jeder klassischen Late-Night-Show gab es auch eine Live-Band im Studio, die die Gags mit kurzen Tuschs begleitete und die Titelmusik spielte. Bandleader und gelegentlicher Comedy-Spielpartner war Helmut Zerlett.
Nach schwachem Start wurde die Harald Schmidt Show trotz weiterhin nur durchwachsener Einschaltquoten schon bald zur Institution. Highlights der frühen Jahre waren Comedyrubriken wie „Die dicken Kinder von Landau“ oder „Die Weisheiten des Konfuzius“. In Letzterer gaben zwei asiatische Kellner deutsche Sprichwörter oder Schlagertexte zum Besten. Herr Li und Herr Wang arbeiteten in einem Restaurant neben dem Kölner Capitol, wo die Show bis Mitte 1998 aufgezeichnet wurde.
Weitere wiederkehrende Figuren waren der angeberische Reporter Kai Edel (Chefautor Peter Rütten), Schmidts Fahrer Üzgür, Frau Asenbaum, Vatta Theresa, die Handpuppen Bimmel und Bommel, die Begriffe zu einem Buchstaben aus dem „Alfabet“ demonstrierten, am Ende aber immer beim „guten A“ landeten, der imaginäre Co-Moderator Horst und der „Politiker“ Dr. Udo Brömme (Gagautor Ralf Kabelka), der auf der Straße seine Botschaft „Zukunft ist gut für alle!“ verkündete und sich sogar bis in den echten Bundestag einschleichen konnte. Die meisten dieser Figuren verschwanden nach einiger Zeit wieder, und neue kamen hinzu. Ein Glas Wasser auf seinem Tisch blieb, der dazugehörige Spruch „Ich sage Ja zu deutschem Wasser!“ verschwand wieder, nicht ohne zuvor zum geflügelten Wort und auf T-Shirts gedruckt zu werden. Jeden Monat bestimmte Schmidt einen Prominenten als „Liebling des Monats“, dessen Foto dann seinen Schreibtisch zierte und als Witzvorlage diente.
Für Aufsehen sorgte in den ersten Jahren vor allem Schmidts Lust am kalkulierten Tabubruch. Jahrelang profilierte er sich mit Polenwitzen, gegen die u. a. deutsche Journalisten und Kulturschaffende in Polen protestierten. Genussvoll und zynisch spielte er im Kampf gegen sinkende Quoten den „Dirty Harry“, der Zoten reißt und frauenfeindliche Witze erzählt. Im Dezember 1995 zeigte er eine Ausgabe der Frauenzeitschrift „Emma“, Eierlikör, eine Kloschüssel und Bettina Böttinger und fragte: „Was haben diese vier Dinge gemeinsam? Das sind die vier Dinge, die kein Mann freiwillig anfassen würde.“ In der Folge machte er immer neue gehässige Anspielungen auf die Homosexualität der Moderatorin. Sie kam schließlich in seine Show, sagte, dass sie das „sehr verletzt“ habe, und ging vorzeitig wieder. Andererseits spielte Schmidt großartig mit Selbstironie, ließ z. B. die Post von einem „Letter-Man“ bringen und den Weg vom Anfangs-Stand-up zu seinem Schreibtisch, während dessen große Teile der Zuschauer immer abschalteten, von einer Sat.1-Ansagerin mit der Bitte moderieren, nun nicht abzuschalten.
1998 trennte sich Schmidt im Streit von der bisherigen Produktionsfirma Brainpool, die schon die RTL-Nachtshow mit Thomas Koschwitz hergestellt hatte, und ließ die Show ab Sommer von seiner eigenen Firma Bonito TV produzieren. Damit verbunden war der Umzug vom Capitol ins Studio 449 in Köln-Mülheim.
Ab 2000 stand auf der Bühne ein zweiter Schreibtisch, hinter dem Redaktionsleiter Manuel Andrack saß, mit dem sich Schmidt während der Sendung über Nietzsche, Kant, den Expressionismus und andere Bildungsbürgerthemen unterhielt. Oder auch über Fußball. Die Show hatte nach und nach eine neue Richtung bekommen, als Schmidt den „Dirty Harry“ immer mehr durch einen konservativen Bildungsbürger ersetzte, aber den Klamauk fortführte. In einem Interview mit „TV Today“ beschrieb er Anfang 2001 seine Sendung so: „Da erklärt einer Max Planck, und hinterher rennt einer nackt über die Bühne und wird mit Gummibärchen beworfen. Das ist etwas, worauf ich stolz bin, dass ich Stimmungsmacher Fips Asmussen und Schriftsteller Karl Ignaz Hennetmair in der Sendung haben kann.“ Auch andere Mitglieder des Teams wurden vermehrt ins Bild gerückt, vor allem die Rezeptionistin Natalie Licard, die schon seit Jahren mit französischem Akzent den Vorspann sprach, und Suzana Novinscak, die eigentlich dafür zuständig war, die Papptafeln mit Schmidts Moderationstexten hochzuhalten.
Schmidt hatte am Revers seines Anzugs eine „Rinder-gegen-den-Wahnsinn-Schleife“ in Form eines Kuhschwanzes angesteckt, um die Hysterie um BSE in Großbritannien zu karikieren. Die Schleife wurde im Fanshop verkauft und einer CD mit Musik aus der Show beigelegt. Schmidt trug sie über Jahre jeden Abend und machte auch kein großes Aufhebens um sie, als die BSE-Krise Anfang 2001 Deutschland erreichte. Im Herbst des gleichen Jahres erschien er plötzlich ohne die Schleife und verkündete: „BSE ist geheilt!“
Nach den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 nahm Schmidt eine zweiwöchige Auszeit. Danach begannen seine Einschaltquoten stetig zu steigen. Im Lauf der nächsten zwei Jahre verbesserten sie sich von ca. einer auf eineinhalb Millionen Zuschauer, der Marktanteil bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern stieg auf für Sat.1 hervorragende 18 %. Harald Schmidt heimste nun unzählige Fernsehpreise ein, in manchen Monaten fast jede Woche einen. Zu den Auszeichnungen der Show gehörten der Grimme-Preis 1997 und der Deutsche Fernsehpreis 2000 (Beste Comedy-Sendung/Beste Moderation Unterhaltung), 2001 (Beste Unterhaltungssendung/Beste Moderation Unterhaltung) und 2003 (Beste Comedy-Sendung).
Die einstündige Late-Night-Show lief in der Anfangsphase für kurze Zeit fünfmal pro Woche, dienstags bis samstags nach 23.00 Uhr, dann sieben Jahre lang dienstags bis freitags (die Donnerstagsshow kam bis Ende 1996 eine Stunde später, weil Margarethe Schreinemakers für Schreinemakers live einen Vertrag über eine dreistündige Sendezeit bis Mitternacht hatte). Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs führte Schmidt im Juni 2003 wieder eine fünfte wöchentliche Sendung ein, und am 18. September 2003 sendete Die Harald Schmidt Show um 20.15 Uhr ihr erstes Primetime-Special „Zu Gast auf Vater Rhein“ vier Stunden lang vom Deck des Schiffs „MS Loreley“. Die Sendung floppte in jeder Hinsicht – aber egal: Schmidt hatte seit geraumer Zeit Narrenfreiheit genossen und konnte tun und lassen, was er wollte.
Am 4. Dezember 2003 wurde Sat.1-Chef Martin Hoffmann gefeuert, ein Freund und Förderer Schmidts, der ihm über Jahre diese Narrenfreiheit gewährt hatte. Schmidt bedauerte den Rauswurf am gleichen Abend in seiner Sendung, erklärte jedoch, er sei ja eine Mediennutte („Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“) und werde jetzt eben dem neuen Chef dienen. Vier Tage später zeigte sich, dass Schmidt nichts ferner liegt als das: Er gab bekannt, er werde seine Show im neuen Jahr nicht fortsetzen und wolle eine „kreative Pause“ einlegen (auch dieser Ausdruck wurde zum geflügelten Wort). Die letzte reguläre Show am 23. Dezember 2003 (Folge 1374) erreichte die bis dahin höchste Einschaltquote. Sechs Tage später lief noch ein zweistündiges (schon lange vorher geplantes und aufgezeichnetes) Primetime-Special, das aufs Jahr zurückblickte, im Januar 2004 außerdem noch die im November aufgezeichnete Show „20 Jahre Sat.1″, die Schmidt und Andrack moderierten. Anfang 2004 wiederholte Sat.1 vier Wochen lang „die legendären Sendungen“.
Als Nachfolgerin von Schmidt präsentierte Sat.1 einige Wochen nach dessen Abschied Anke Engelke, die im Mai 2005 erstmals mit Anke Late Night auf Sendung ging und an der unerfüllbaren Aufgabe scheiterte. Schmidt trat mehrmals mit Bühnenversionen seiner Show auf und kehrte Ende des Jahres zurück zur ARD, wo seine Sendung schlicht Harald Schmidt hieß.