Kress Report
Das unterhaltsamste Lexikon aller Zeiten könnte das soeben erschienene „Fernsehlexikon“ von Michael Reufsteck und Stefan Niggemeier sein. Oder gab es jemals ein Lexikon, in dem man sich ohne Probleme stundenlang festlesen kann?
Das unterhaltsamste Lexikon aller Zeiten könnte das soeben erschienene „Fernsehlexikon“ von Michael Reufsteck und Stefan Niggemeier sein. Oder gab es jemals ein Lexikon, in dem man sich ohne Probleme stundenlang festlesen kann?
In meiner Jugend gab es eine Serie mit einem Dr. Lark. Mehr weiß ich nicht mehr, Ihr vielleicht? Ich suche schon seit langem nach dem Titel. — Nicola
Wir wissen zwar nicht, wann deine Jugend war, doch du kannst eigentlich nur Polizeiarzt Simon Lark meinen, eine amerikanische Krimiserie, die ab 1979 im ZDF gezeigt wurde. Sie wurde damals aus Kostengründen im günstigeren Kanada gedreht, und das war wohl nicht der einzige Posten, an dem gespart wurde. Der eigentlich vorgesehene Hauptdarsteller Jack Albertson kündigte nach wenigen Wochen, weil er um seinen Ruf fürchtete, weshalb wir Sam Groom in der Titelrolle sahen, die übrigens im Original „Simon Locke“ hieß. Vor allem das ZDF änderte damals in vielen Serien die Namen in der Synchronfassung. Warum es das tat, konnte nie abschließend geklärt werden.
Als regelmäßige Zuschauerin der ARD-Telenovela Sturm der Liebe frage ich mich seit Wochen, woher mir der Name „Klinker-Emden“ so bekannt vorkommt, aber ich komme nicht drauf. Können Sie mir helfen? — Kirsten
Sie haben wahrscheinlich in den 80er-Jahren Shows mit Jürgen von der Lippe gesehen.
In Sturm der Liebe ist „Klinker-Emden“ der Name einer Hoteliersfamilie, in „Donnerlippchen“ war es einer von Jürgen von der Lippes Assistenten. Von der Lippe veranstaltete von 1986 bis 1988 in der ARD „Spiele ohne Gewähr“, die für die Kandidaten immer einen Haken hatten, den sie nicht kannten. Waren sie in schalldichten Kabinen, klärte von der Lippe das Publikum auf: „Was er nicht weiß…“ Am Ende vieler Spiele wartete auf den Verlierer eine Bestrafung, zu deren Zweck das Assistenzpersonal die Bühne betrat: „Der Vollstrecker“, ein dürrer, älterer Herr, der aussah wie der Tod höchstselbst, und „Dr. Klinker-Emden“, ein bulliger, halbnackter Glatzkopf, dessen Hauptaufgabe es war, grimmig zu gucken. Sein wirklicher Name wäre übrigens nicht halb so auffällig gewesen. Der Mann heißt Schmidt, betrieb damals ein Fitnessstudio und tut dies noch heute.
Entstanden ist ein kompetentes und in seiner Art konkurrenzloses Nachschlagewerk: ein Lexikon nicht nur für Experten und Insider, sondern auch für alle diejenigen, die keine Folge von „Verliebt in Berlin“ auslassen oder die von „Der große Preis“ nur Wum und Wendelin kennen.
Gar nicht hoch genug anzurechnen ist dem Autorenduo, dass sie in ihren Beschreibungen klar Position beziehen — damit erstarrt ihr Kompendium nicht zu einer Sisyphusarbeit über Inhalte, Mitwirkende und Sendezeiten, sondern ist für jeden Zuschauer ein hilfreicher Wegweiser durch das Fernsehdickicht.
Dieses Lexikon ist ein klarer Fall: Man braucht es eigentlich gar nicht, mag es aber nie wieder hergeben.
Für mehr Heiterkeit als so manches Zappen durchs Fernsehprogramm sorgt jetzt das Buch „Das Fernsehlexikon“. Das beginnt bei „A, B oder C“, einer Samstagabendshow des DDR-Fernsehens Anfang der 60er Jahre und endet bei „Zwischenmahlzeit“ einer Sendung mit Gisela Schlüter, damals besser bekannt als „Quasselstrippe vom Dienst“ oder „Lady Schnatterley“. 7.000 Serien, Shows, und Mehrteiler werden vorgestellt. Mit Akribie, Wissen und viel Humor arbeiten die beiden Autoren das Fernsehgeschehen von über 50 Jahren auf.
Kult und Trash, Wissenswertes und Nebensächliches aus der großen, bunten Welt der Television – im „Fernsehlexikon“ hat alles seinen Platz. Bei Couch-Potatoes sollte das Buch eigentlich immer in Reichweite liegen, falls der TV-Abend sich mal wieder quälend in die Länge ziehen sollte. Lach- und Sachgeschichten finden sich in dem Wälzer schließlich genug.
Was bislang fehlte, war ein Nachschlagewerk, in dem auch noch die beiläufigste Produktion ihre Würdigung erfährt. Schlicht „Das Fernsehlexikon“ heißt das Buch, das diese Lücke schließt; nicht mal mit dem sonst doch stets unvermeidlichen Zusatz „groß“ versehen. „Schwer“ wäre ohnehin treffender, das Werk wiegt gut und gern zwei Kilo. Kein Wunder bei über 1500 Seiten und mehr als 7000 Einträgen; allein das Personenregister umfaßt 85 Seiten.
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Beim Durchblättern des „Fernsehlexikons“ werden Erinnerungen an die eigenen ersten Fernseherlebnisse wach; es macht Staunen und versorgt überreich mit jenem nutzlosen Wissen, mit dem man bei Partyplaudereien Eindruck schinden kann. Wer weiß denn wohl, dass es im DDR-Fernsehen in den 60ern ein „Agromagazin“ für Landwirte gab, wer erinnert noch, dass das ZDF 1976 die Jugendserie „Aktion Grün“ zeigte, in der sich neben anderen auch der spätere MTV-Fahrradbeauftragte Oliver Korritke um Umweltbelange kümmerte?
Das Buch ist nichts für wertkonservative Lamentierer, die Fernsehkultur gleich zur Unkultur degenerieren sehen. Der Schinken ist ein wunderbares „Hängenbleiben-und-Nachlese-Werk“, das auch noch alle Handlungsstränge von Serien und Spielfilmen präzise zusammenfasst. Sogar von solchen Folgen-Monstern wie Dallas, Die Schwarzwaldklinik und Lindenstraße: Nachzulesen ist da beispielsweise ein genaues Sterberegister aller Verblichenen aus dem Bavaria-Dauerbrenner samt ihrer Todesursachen: Joschi Bennarsch (Herzinfarkt), Henny Schildknecht (Selbstmord), Stefan Nossek (Autounfall), etc. etc.
Das Fernsehlexikon demokratisiert Fernsehen, weil es nicht nur nach Einschaltquoten, Serienlänge oder Produktionsbudget guckt, sondern die Autoren auch ihre ganz privaten und auch ganz bescheuerten Vorlieben ausleben (so darf sich Niggemeier am TV-Psychologen Fliege genauso austoben wie Reufsteck an Witta Pohl aus Diese Drombuschs). Und wahrscheinlich ist diese manchmal bösartige, oft unaufgeregte Haltung genau die, mit der man dem Medium Fernsehen auch begegnen sollte.