Der US-Comedy-Wahlkampf (3)
Am 2. November, zwei Tage vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl, läuft die diesjährige Halloween-Folge der Simpsons: „Treehouse of Horror XIX“. Und eine Szene daraus ist sogar schon bekannt:
Das ist natürlich toll, dass eine Serie mit einem Produktionsvorlauf wie die Simpsons es überhaupt schafft, auf einen aktuellen Wahlkampf mit den konkreten Namen der Kandidaten Bezug zu nehmen. Der Witz ist allerdings ein 2004-Witz und wirkt angesichts der tatsächlichen Themen und Pointen dieses Wahlkampfs hoffnungslos antiquiert (nicht dass das Thema nicht abrupt wieder ganz aktuell sein könnte).
Aber wer hätte auch vor ein paar Wochen noch ahnen können, dass eine einzige Frau ganz allein genug Material liefern würde, um die komplette amerikanische Humorindustrie zu beschäftigen. Die Interviews, die Sarah Palin, die Vize-Präsidentschaftskandidatin der Republikaner, der CBS-Moderatorin Katie Couric gegeben hat, sind schon jetzt legendär. Tina Fey konnte die Sätze in ihrer „Saturday Night Live“-Parodie am vergangenen Wochenende mit Amy Poehler teilweise einfach wörtlich nachsprechen:
Aber eine meiner Lieblingsparodien auf Sarah Palin basiert noch auf einem früheren Interview mit ABC-Nachrichtenmoderator Charlie Gibson und ist von Waco O’Guin:
Heute Nacht (3 Uhr MESZ) findet die Debatte der beiden Vizepräsidentschaftskandidaten statt. Das ZDF und Phoenix übertragen ab 2.50 Uhr (bei Phoenix passenderweise gefolgt von der Dokumentation „Die schnellsten Pfoten von Alaska“), CNN International beginnt schon um 2 Uhr mit der Vorberichterstattung.
Und das Fernsehlexikon ist mit einem Live-Blog dabei — und zwar hier.
Nutzloses Fernsehwissen (2)
10 schöne Kalauer in den Antwortmöglichkeiten bei Wer wird Millionär?
1. Wenn man eins von zwei Löchern im Reifen flickt, dann wird er …?
A: sänger
B: maler
C: bildhauer
D: dichter2. Wie heißt eine Kulturart des Lauchs?
A: Brigidde
B: Schalotte
C: Schantall
D: Dschenniffa3. Was kommt in Ostasien häufig auf den Tisch?
A: Sonicht
B: Sovielleicht
C: Soschoneher
D: Soja4. Die Dinosaurier lebten …?
A: auf Pump
B: mit Schulden
C: in der Kreide
D: knietief im Dispo5. Scotty, der Ingenieur des Raumschiffs Enterprise, war bei den „Ausflügen“ meist nicht dabei, weil er …?
A: selbstständige
B: angestellte
C: arbeiter
D: beamte6. Eines muss man den Karibikbewohnern wirklich lassen: Sie können gut …?
A: flirten
B: anbaggern
C: Bräute aufreißen
D: Rum machen7. Was ist als Anrede für eines der begehrtesten Models der Welt vollkommen angemessen?
A: Tachalte
B: Eytante
C: Himutti
D: Naomi8. Was wird nicht nur in ostdeutschen Gartencentern verlangt?
A: Erfurtimmer
B: Jenameistens
C: Cottbusmanchmal
D: Geranie9. Worum wird im Vaterunser ausdrücklich gebeten?
A: profite
B: erlöse
C: gewinne
D: erträge10. Was entwickeln Architekten von Berufs wegen?
A: Hochhausneurosen
B: Altbauphobien
C: Gebäudekomplexe
D: Bungalowparanoia
(Mit Dank an Günter Schröder!)
Aus Zapp!, dem gerade erschienen neuen Buch der bewährten Autoren des Fernsehlexikons.
Das Ärgernis der Serienmörderserie
Dexter Morgan (Michael C. Hall) ist ein Serienkiller, der Serienkiller umbringt. Tagsüber arbeitet er in Miami bei der Polizei und entwickelt aus Blutspritzern am Tatort ganze Täterprofile. Nachts lockt er die Bösen in einen Hinterhalt, entnimmt ihnen eine Blutprobe für seine Sammlung und testet die komplette Black&Decker-Produktfamilie an ihren Körperteilen. Er ist besessen von Blut, empfindet keine Gefühle, ist aber ein Meister darin, sie vorzutäuschen. Töten muss er, weil er als kleines Kind ein traumatisches Erlebnis hatte.
Foto: RTL 2
In den USA ist gerade die dritte Staffel von Dexter angelaufen, RTL 2 zeigt von heute an immer montags (am „unmoralischen Montag“) die ersten zwölf Folgen der Krimiserie, die provozierend gemeint und außerordentlich ärgerlich ist.
Das Problem von Dexter besteht nicht darin, einen sympathischen Serienmörder zu zeigen. Im Gegenteil, das hätte ich gerne gesehen: Eine Serie über einen freundlichen, witzigen, charmanten und intelligenten Menschen, der nebenbei, aus Boshaftigkeit, Gier oder Machtwillen, jedenfalls ohne Moral, Leute umbringt. Eine Serie, die mich als Zuschauer verwirrt, weil ich mich fragen muss, wie jemand, der so sympathisch ist, so böse sein kann, und jemand, der so böse ist, so sympathisch. Das wäre interessantes Dilemma gewesen.
Das Problem von Dexter besteht darin, einen nützlichen Serienmörder zu zeigen. Dass Dexter der Gesellschaft einen Gefallen tut, indem er die schlimmsten Verbrecher beseitigt, die sonst womöglich entkommen würden, steht für die Serie außer Frage. Dexter ist ein guter Serienmörder. Er ist so anständig gewesen, trotz seines psychischen Defekts zu versprechen, nur die Leute hinzumetzeln, die es „verdient“ haben. Beunruhigend und abstoßend ist für die Zuschauer nur, mit welchem Genuss, welchem kalten Sadismus er seine Morde zelebriert. Aber dass er die Welt von diesen Monstern befreit, ist an sich vergleichsweise unproblematisch. Die Welt wäre eine bessere Welt, sagt die Serie, wenn es mehr solche Serienmörder gäbe.
Das ist aber für mich kein interessantes Dilemma, sondern eine abstoßende politische Botschaft. Sie erklärt nicht nur – wieder einmal – den Rechtsstaat für lästigen Ballast, der Gerechtigkeit verhindert statt ermöglicht. Sie geht auch, ohne großes Tamtam, davon aus, dass es Menschen gibt, die den Tod verdient haben, Menschen, die nicht als Menschen zu behandeln sind.
Nun kann eine Serie, trotz einer solchen Ideologie, künstlerisch faszinieren — und im besten (und schlechtesten) Fall einen Sog entwickeln, dem man sich nicht entziehen kann, so sehr man sich dagegen sträubt. Die Macher von Dexter waren aber offensichtlich so besoffen davon, wie mutig und spektakulär ihre Grundkonstellation vom Serienkiller als Held ist, dass sie sich keine Mühe mehr gaben, gute Geschichten zu entwickeln, gute Dialoge zu schreiben, vielschichtige Charaktere zu zeigen. Dexter ist von einer erschütternden Schlichtheit, die von Blut und abgetrennten Körperteilen notdürftig überdeckt wird. Alles, auch das Offensichtlichste, wird erklärt und von Dexter in endlosen Monologen ausgesprochen. Es gibt kein Geheimnis. Nicht einmal die Pilotfolge lang dürfen wir rätseln, was es mit Dexter auf sich hat. Selbst der Kodex, den ihm sein Adoptivvater Harry mit auf den Weg gegeben hat, wird schon in einer Rückblende mitsamt der ganzen Serienmoral erklärt:
Harry: Mein Sohn, es gibt Leute, da draußen, die ganz schlimme Dinge tun. Schreckliche Leute. Und die Polizei kann sie nicht alle fangen. Verstehst du, was ich sagen will?
Dexter: Du meinst, sie verdienen es?
Harry: Genau. Aber natürlich musst du lernen, wie du sie erkennst. Wie du deine Spuren verwischt.
Dexter: Vater…
Harry: Es ist okay, Dex. Du kannst nichts dafür, was mit dir passiert. Aber du kannst das beste daraus machen.
So schlicht ist das. So schlicht ist nicht nur die Moral. So schlicht ist auch die Erzählweise, dass das alles gleich am Anfang ausgesprochen und erklärt werden muss. Und so schlicht sind auch die Fälle.
In der ersten Folge ist Dexter einem Mann auf der Spur, der verdächtigt wird, eine Frau umgebracht zu haben. Und weil wir sonst das womöglich nicht schlimm genug finden könnten (und als Anspielung auf einer spätere, sehr unüberraschende Erklärung dafür, warum Dexter selbst so emotional beschädigt ist) blättert er in einer Mappe mit den Fotos von den Kindern der Frau und erzählt uns, dass diese Halbweisen nun für ihr Leben lang emotional beschädigt seien.
Der Mann ist schuldig, aber wegen irgendeiner lächerlichen Formalie auf freiem Fuß. Und wie überführt ihn Dexter? Er bricht in sein Haus ein. Er findet dort eine Kamera und ein SM-Magazin, in dem der Täter die Anzeige für ein Portal mit Snuff-Filmen praktischerweise rot eingekringelt hat. Er geht auf die Website, guckt sich den Snuff-Film an und sieht, dass der Täter darin dasselbe Tattoo hat wie der Verdächtige. Das ist es. Er ist es definitiv. Und Dexter erklärt uns: „Das ist es. Er ist es definitiv.“
Das ist mir zu blöd. Dafür muss man sich nicht einmal über Moral und Ideologie der Serie unterhalten – wenn sie als reiner Krimi schon so versagt, weil sie so unterkomplex, unlogisch, dämlich daherkommt.
Selbst bei dem großen Fall, der sich über die ganze erste Staffel erstreckt, dem Killer, der Dexter durchschaut hat und zu einem Duell herausfordert, der genau so zu ticken scheint wie er, dieselbe Faszination für Blut zu haben scheint, ist die Auflösung, wer dieser Dexter so seelenverwandt scheinende Täter ist, exakt die, die Ihnen jetzt einfallen würde, wenn Sie 30 Sekunden darüber nachdenken.
Dexter ist doppelt ärgerlich: moralisch und künstlerisch, als Botschaft und als Krimi.
Dexter, von heute an montags, 22.55 Uhr, RTL 2.
Dexter
Ab 29. September 2008 (RTL 2). US-Krimiserie nach den Büchern „Des Todes dunkler Bruder“ und „Dunkler Dämon“ von Jeff Lindsay („Dexter“; seit 2006).
Foto: RTL 2
Dexter Morgan (Michael C. Hall) ist besessen von Blut. Aus seiner Leidenschaft hat er einen Beruf gemacht: Für die Polizei in Miami untersucht er an Tatorten die Blutspritzer und schafft es, daraus Informationen über den Tatablauf und den Täter zu gewinnen. Aber es ist auch eine Art Hobby: Dexter bringt Verbrecher um, die ihrer vermeintlich gerechten Strafe sonst entkommen würden, und sammelt ihre Blutproben. Seit einem traumatischen Erlebnis in seiner Kindheit empfindet Dexter keine Gefühle und hat das Bedürfnis zu töten. Sein verstorbener Adoptivvater Harry Morgan (James Remar), ein Polizist, der Dexters Soziopathie erkannte, brachte ihm früh bei, Emotionen vorzutäuschen und sich beliebt zu machen und gab ihm eine seinem Defekt angepasste Ethik mit auf den Weg: Dexter soll nur Leute umbringen, die es auch verdient haben.
Bei der Polizei in Miami arbeiten auch Dexters Adoptivschwester Debra Morgan (Jennifer Carpenter), sein Kumpel Angel Batista (David Zayas) und Sergeant James Doakes (Erik King), der Dexter nicht ausstehen kann und sein düsteres Geheimnis ahnt. Leiterin der Mordkommission ist Lieutenant Maria LaGuerta (Lauren Vélez), die Dexter fördert und Debra bei der Arbeit behindert. Mit Rita Bennett (Julie Benz) führt Dexter so etwas ähnliches wie eine Beziehung: Sie ist nach dem Missbrauch durch ihren Ex-Ehemann traumatisiert, was praktisch für ihn ist, weil er dadurch als ihr Beschützer auftreten kann, ohne echte Nähe ertragen zu müssen. Ein Problem, aber auch eine willkommene Herausforderung wird für Dexter der (sich über die gesamte erste Staffel ziehende) Fall eines Kühllaster-Killers, der seine Opfer sauber zerlegt und völlig blutleer hinterlässt und mit ihm ein Spiel zu spielen scheint.
Brutale, kontroverse und erfolgreiche Serie, die auf der Idee beruht, dass das beste Mittel gegen Serienkiller ein Serienkiller ist. Dexter ist zwar nicht immer sympathisch, vor allem, wenn er mit großer Liebe zum Detail die möglichst schmerzhafte Tötung seiner Opfer zelebriert, aber doch der Held der Serie, die ihm auch den schwarzen Humor verdankt. Über die Moral der Geschichte denkt der Zuschauer am besten ebensowenig nach wie über die Logik der Fälle.
RTL 2 zeigt die gut einstündigen Folgen montags gegen 23 Uhr.
Von Brüllaffen und Marco Schreyl
Dieser pelzige Geselle heißt Cuny und ist ein Brüllaffe, und die Lebensskepsis, die aus seinem Blick spricht, hatte er vermutlich schon, bevor er erfuhr, dass er in einer RTL-Show mit Marco Schreyl mitmachen soll. Man kann sich sowas als Zoobewohner ja nicht aussuchen, aber Cuny nutzte seine wenigen Protest-Möglichkeiten. Die Fernsehleute waren morgens um sechs gekommen, um seine Rufe aufzunehmen und ihre Lautstärke mit der eines Marktschreiers zu vergleichen, aber Cuny sagte keinen Mucks. Die Fernsehleute machten allerdings auch keine Anstalten wieder zu gehen, und so erbarmte sich der Brüllaffe gegen Mittag endlich und brüllte und brachte es hinter sich, Marco Schreyl hin oder her. Später stellte sich heraus, dass der Marktschreier es auf ein paar Dezibel mehr gebracht hatte, aber bei der Frage, wer sich hier zum Affen gemacht hatte, gab es mindestens ein Unentschieden.
Brüllaffe gegen Marktschreier war eines von gefühlt siebentausend Duellen Mensch gegen Tier, die RTL für seine neue Samstagabendshow Mensch gegen Tier gestern inszenierte. Die Dramaturgie war so aufregend und abwechslungsreich wie ein tropfender Wasserhahn: Der Mensch und das Tier kamen ins Studio, dann wurden ihre vorher aufgezeichneten Leistungen gezeigt, dann gab es eine Quizfrage, dann kamen der nächste Mensch und das nächste Tier und so weiter. Zwei Teams aus je zwei Kindern und einem Prominenten sollten jeweils raten, wer gewinnt, und als Prominente hatte man Mario Barth gewählt, weil der für seine Olympiastadion-Show werben sollte, die es jetzt auf DVD gibt und nächste Woche auf RTL, und Reiner Calmund, weil der Zeit hat und Angst vor Tieren. (Vor kleinen, vor allem. Vor Elefanten habe er keine Angst, weil die ihm ja verwandt seien — „net vom Rüssel her, aber vom Gewicht“.)
Natürlich scheitert die Idee des Wettbewerbs schon daran, dass nur einem der beiden Beteiligten klar ist, dass es sich um einen solchen handelt. Im Tauchduell bleibt der Bundeswehrtaucher unter Wasser, bis er nicht mehr kann, und der Pinguin, bis er keine Lust mehr hat. Das Wettrennen mit dem Gepard gewann der Mensch in seinem Superduperfahrrad, weil das Tier sich nach der Hälfte der Strecke überlegte, dass es besseres mit dem Tag anstellen könnte, als hinter diesem doofen Köder herzuhetzen. Sehr sympathisch.
Es war eine sehr abwegige Idee für eine Show, die vielleicht dadurch zu retten gewesen wäre, dass man diese Abwegigkeit zelebriert: mit Witz, Selbstironie und etwas Wahnsinn. Es war aber natürlich eine dieser von Günther Jauchs „I&U“ produzierten Fließbandsendungen, die sich nicht einmal mehr die Mühe machen, ihre eigene Langeweile zu kaschieren. Selbst den 100-Kilometer-Wettlauf zwischen Joey Kelly und einem Pferd, die sich viele Stunden lang verausgabt hatten, handelte die Show in einem lustlos zusammengeschnittenen, winzigen Film ab. Nur mit Mühe schaffte es der Extremsportler, der ganz knapp verlor, eine Revanche zu fordern, bevor Marco Schreyl den nächsten Tagesordnungspunkt von seinen Karten verlas. (Schreyl verlor das Duell um die kürzeste Aufmerksamkeitsspanne gegen sich selbst.)
Am Ende ging der Wettkampf Mensch gegen Tier unentschieden aus — aber auch nur, weil die Tiere nicht die 50.000 Bonuspunkte Vorsprung bekommen hatten, die sie dafür verdient hätten, dass sie klug genug sind, keine solche Shows zu veranstalten.
Bette Midler trifft Ruby Wax (und Alexander Gorkow)
Alexander Gorkow hat für die Wochenend-Beilage der SZ eines seiner unnachahmlichen Fan-Gespräche geführt, diesmal mit Bette Midler. Es ist, wie fast immer, klug und albern und eitel und ganz außerordentlich kurzweilig. Ich zweifle allerdings ein bisschen, dass er wirklich das englische Wort für „Schellenmütze“ wusste (ich weiß nicht einmal, was das auf deutsch heißt), jedenfalls nutzt er die Gelegenheit, Harald Schmidt nachzutrauern (dessen Fan er auch einmal war):
SZ: Bei uns gibt es nichts zu lachen.
Midler: Wieso das denn nicht?
SZ: Humor hat ein schlechtes Image bei uns.
Midler: Wirklich? Das ist aber auch schon wieder recht komisch, oder?
SZ: Aus der Entfernung vielleicht.
Midler: Gibt es keine komischen Sendungen?
SZ: Da treten Komiker mit Schellenmützen und lustigen Frisuren auf.
Midler: Verstehe … Keine guten Leute?
SZ: Es gibt ein paar. Aber die geben sich keine Mühe mehr. Die Witze sind Mist.
Jedenfalls ist das Gespräch nicht nur sehr lesenswert, sondern auch ein wunderbarer Anlass, die Begegnung von Bette Midler mit der grandiosen Nervensäge Ruby Wax aus dem Archiv zu kramen, die sie 1996 für ihre BBC-Show „Ruby Wax Meets…“ in London zum Shoppen bei Harvey Nicks schleppte:
(Das in der Sendung dann folgende Treffen von Ruby Wax mit Liza Minnelli ist noch weniger fassbar, aber das heb‘ ich mir für einen anderen Anlass auf.)
Sozialdrama, Baby, Sozialdrama!
Bei Sat.1 sickert jetzt den ganzen Mittwochabend das Leben ins Programm.
Das ist bemerkenswert, denn die Realitätskompetenz des Senders liegt bei null. Tagsüber laufen Schein-Übertragungen aus Gerichtssälen, am Vorabend Schein-Reportagen über Ermittler, abends Romantic Comedys — die Nachrichten zwischendurch guckt natürlich kein Schwein. Vermutlich muss man Ulrich Meyer als das journalistische Aushängeschild des Sender bezeichnen.
Aber im Gefolge von Formaten wie Peter Zwegats Raus aus den Schulden schwappt gerade eine große Non-Fiction-Welle durch das Privatfernsehen, und anders als bei fiktionalen Sendungen scheint die Zuschauer das soziale Elend nicht abzuschrecken, im Gegenteil. Und so kam es, dass man nun immer mittwochs einen ganzen Abend bei Sat.1 nicht nur mit echten Ermittlern, sondern auch echten Hartz-IV-Empfängern, echten kriminellen Jugendlichen und echtem Elend verbringen darf.
Vor der empörenden Sozialschmarotzer-Empör-Doku Gnadenlos gerecht, die schon ein paar Wochen auf Sendung ist, läuft seit gestern Geheime Helfer — der Lichtblick des Abends. Es ist die schon vor über einem Jahr vom Sender angekündigte deutsche Adaption des preisgekrönten und überaus erfolgreichen britischen Channel-4-Formates „Secret Millionaire“: Ein gut betuchter Unternehmer begibt sich für eine Woche an die Armutsgrenze und gibt sich selbst als mittellos aus, um Menschen und Einrichtungen kennenzulernen, die helfen. Hinterher enthüllt er seine wahre Identität und unterstützt die, die es seiner Meinung nach verdient haben, mit Geld bei ihrer Arbeit.
Das klingt arg zynisch, und das letzte Drittel der Sendung, wenn den Bedürftigen reihenweise das Wasser aus den Augen fällt vor so viel unerwarteten Wohltaten und die Kamera bei jeder Umarmung auf Super-Slow-Motion umschaltet, entspricht exakt dem Kitsch- und Klischee-Ende all dieser Wir-haben-den-armen-Leuten-freundlicherweise-ihr-Haus-renoviert-Shows. Aber bis es soweit ist, funktioniert das Konzept tatsächlich als Vehikel, um das Leben am Existenzminimum in die Prime-Time des kommerziellen deutschen Fernsehens zu bringen.
Das liegt vor allem an der Familie von Gelsenkirchener Hartz-IV-Empfängern, die der Wohltäter-in-spe in der ersten Folge trifft, die sich trotz (oder wegen) ihrer eigenen Sorge aufopfern, anderen zu helfen. Sie engagieren sich in verschiedenen Ehrenämtern und strahlen eine außerordentliche Herzenswärme aus. Es liegt aber auch an einer Produktion, die die Not dieser Menschen weder ausstellt noch beschönigt. „2,40 Euro für ein Stück Kuchen“, sagt die Mutter an einer Stelle nüchtern, „wer kann sich das leisten?!“
Die Sendung vermittelt auch ein Gefühl dafür, wie schwer es ist, seinen Stolz zu behalten, wenn man von ein paar Euro vom Staat lebt — und wie groß der Verteidigungsdruck gegen die andauernde Unterstellung, ein Schmarotzer zu sein. „Du brauchst nicht mit dem Kopf nach unten gehen, weil du arbeitslos bist“, sagt die Großmutter. „Wenn Du ein Ehrenamt hast und einer meckert, kannst Du sagen: Ich arbeite für mein Geld.“
Über eine Einrichtung, die der Kandidat kennen lernt, sagt der Sprecher aus dem Off: „Für zwei Euro Wochenbeitrag können Kinder und ihre Eltern hier ein warmes Essen bekommen. Es gehört zur sozialen Realität in Deutschland, dass sich manche selbst das nicht leisten können.“ Das sind bemerkenswerte Sätze für eine Sat.1-Show um 20.15 Uhr.
Aber das klappt nicht immer, dass das Leben wirklich ins Sat.1-Programm durchsickert. Die Reihe Die Jugendcops & Kommissariat 105 im Einsatz zwei Stunden nach den Geheimen Helfern nimmt sich zwar auch eine ganze Stunde Zeit, sich einem einzigen Problemjugendlichen zu widmen, der mit einer Horde Freunde zusammen einen ihm unbekannten, zufällig vorbeikommenden Mann aus einer reinen Laune heraus halb tot getreten hat.
Foto: Sat.1
Aber vielleicht hätte es schon geholfen, wenn die „Cops“ wenigstens einmal „Polizisten“ hätten heißen dürfen. Wenn der Erzähler nicht dauernd Quatschsätze gesagt hätte wie „Sie sind mit einem untrüglichen Gespür für sich anbahnende Straftaten ausgestattet“. Und wenn die coolen Bullen sich nicht auch noch als Musikband in Szene hätte setzen müssen. In keiner Sekunde fühlte sich das an wie das wahre Leben. Dies war bloß die Realität, in der Barbara Salesch Urteile fällt, Niedrig & Kuhnt ermitteln und Lenßen die Unschuldigen am Ende raushaut.
Sat.1 halt.
Die Jugendcops & Kommissariat 105 im Einsatz
2008 (Sat.1). Einstündige Dokureihe über Münchner Polizisten, die sich um die Verfolgung jugendlicher Straftäter, aber auch Prävention kümmern.
Lief zwei Monate lang mittwochs, erst um 22.15 Uhr, dann eine Stunde später. Andere Sender hätten mit dem Reihentitel womöglich gleich zwei Serien einen Namen geben können.
City Express
1999 (ARD). 32-tlg. dt. Zugserie von Martina Borger und Maria Elisabeth Straub.
Geschichten über Personal und Fahrgäste eines Zuges, der stets zwischen Sylt und Dresden verkehrt. Zu den Bahnangestellten gehören Zugchefin Hannah Fink (Sabine Bach), Kalli Hinsch (Jan Henrik Schlüter), Martina Ernst (Franziska Troegner), Swetlana Laski (Sanja Spengler), Restaurantchef Rainer Rosskötter (Joachim Lautenbach), Koch Josef Dollmoser (Hans Schödel) und Lissy Schade (Caterina Magoscha Siwinska).
City Express sollte die zweite wöchentliche ARD-Dauerserie werden. Doch schon bevor der Zug überhaupt losfuhr, rumpelte es erheblich: Die Drehbuchautorinnen Borger und Straub, die vorher für die Lindenstraße geschrieben hatten, stiegen unter Protest aus. Die Umsetzung habe nichts mehr mit ihrem Konzept zu tun, beschwerten sie sich: „Die von uns angestrebte Qualität ist auf der Strecke geblieben.“ Umstritten war offensichtlich nicht zuletzt, ob der City Express eine Soap mit Endlosgeschichten oder eine Serie mit abgeschlossenen Folgen sein sollte. Die Quoten waren von Anfang an nicht gut, und sie wurden nicht besser. Ein teurer Misserfolg: 21 Millionen Mark kostete die Produktion. Zu Buche schlug nicht zuletzt auch die angeblich weltweit einmalige und in fünfjähriger Vorbereitungszeit entwickelte Digitaltechnik, die die passenden Ansichten vorbeifliegender Land- und Ortschaften durch die Abteilfenster zeigen sollte (die Serie wurde natürlich im Studio produziert). Sie war teuer, sah aber nie so aus.
Nach gut einem halben Jahr wurden die dreiviertelstündigen Folgen am Donnerstag von 21.45 Uhr auf 23.00 Uhr verschoben, nach zehn Monaten wurde der Zug ganz stillgelegt.