1994 (ZDF). Wöchentliche Late-Night-Show mit Ken Jebsen und Talk, Musik, Comedy und verrückt gemeinten Aktionen. So hielt Jebsen den Menschen bei ulkigen Umfragen ein merkwürdiges Mikrofon unter die Nase.
ZDF-Unterhaltungschef Fred Kogel wollte mit der Show das ZDF-Publikum verjüngen. Dieser Plan ging auf, die meisten Zuschauer der Sendung waren unter 50. Leider sind „die meisten“ von „kaum jemand“ immer noch nicht viele. Die Gesamtzuschauerzahl lag nie über 900 000, der Marktanteil halbierte sich im Lauf der Serie. 16 Ausgaben liefen am späten Samstagabend, dazu zwei reine Musik-Specials und später noch ein Best of.
1994 (ARD). Überdrehtes 25-minütiges Jugendmagazin mit Beiträgen über Alltagsgeschichten. Moderation: Nena.
Die Popsängerin Nena machte ein paar Witzchen und überraschte mit Erkenntnissen wie: „Briefeschreiben wird ja immer seltener“, sagte aber nie mehr als ein paar Sätze zwischen den Beiträgen über „Menschen und Macher, Liebe und Lust, Witz und Wahnsinn“. Für Letzteren sorgte der „Reporter des Wahnsinns“ Ken Jebsen mit verrückten Straßenaktionen. Die Beiträge mühten sich erkennbar, keine Relevanz aufkommen zu lassen, im Film über den Polittalker Erich Böhme ging es z. B. um seine Figurprobleme.
Die Sendung lief zunächst montags bis donnerstags um 15.03 Uhr, zum Schluss nur noch samstags. Nach 40 Ausgaben war sie wieder weg. Die Karriere der Sängerin Nena als Moderatorin war damit gescheitert, aber vielleicht versucht sie es ja irgendwie, irgendwo, irgendwann noch mal.
Ich finde ja, man muss ProSieben schon dafür loben, dass sie der Sendung tatsächlich den ebenso albernen wie anschaulichen Namen Das große Kipp-Roll-Fall-Spektakel genannt haben. Bei RTL hätte das nur Die ultimative Chain Reaction Show oder so geheißen. Überhaupt muss man ProSieben dafür loben, eine solch aufwändige Live-Show zu veranstalten, die nicht zuletzt davon lebt, dass man tatsächlich nicht weiß, was klappen und was schiefgehen wird und als Zuschauer dabei ist, während es passiert. (Die Wiederentdeckung des Reizes der Gleichzeitigkeit im Fernsehen ist wohl vor allem Stefan Raab zu verdanken.)
In den letzten Tagen hat auf dem riesigen Studiogelände in Hürth bei Köln eine erstaunliche Zahl von Menschen daran gearbeitet, kleinste und größte Alltagsgegenstände so anzuordnen, dass sie sich gegenseitig umschubsen, anstoßen, aufribbeln, in die Luft werfen – und das in möglichst spektakulärer und überraschender Form.
Zehn Teams von Cheerleaderinnen über Rocker, Pfadfinder, Sportwissenschaftler, Designstudenten bis hin zu Flughafenmitarbeitern haben zusammen mit Architekten und Special-Effekt-Profis daran gearbeitet, eine jeweils rund zehnminütige Kettenreaktionen zu ihrem Thema aufzubauen: In der Welt der Insel Juist fallen Strandkörbe und öffnen sich Miesmuscheln, in der Sportwelt werden Fitnessgeräte missbraucht, um einen Tischfußballspieler einen Ball im Tor zu versenken, in der Männerwelt fallen tausende Bierflaschen um und Hunderte Mentos-Dragees in Colaflaschen, um einen klebrigen Springbrunnen zu bilden, und in der Frauenwelt kippen so lange Kleider, Schuhe und Kosmetika aus den Regalen, bis am Ende ein Mechanismus Geldbündel aus dem Fenster wirft. Baumaterial für die Mechanik hatten sie alle reichlich: Sie konnten das Sperrholz der Bühne der Oliver Geißen Show verwenden, die gerade nebenan abgerissen wird.
Eine der spektakulärsten Welten dürfte die am Flughafen Köln-Bonn sein, wohin die Kette per Mobiltelefon springt, das durch den Druck auf eine Wahlwiederholungstaste in Hürth angerufen wird und dank Vibrationsalarm zig Kilometer weiter (hoffentlich) vom Tisch fällt. Wenn alles klappt, gibt es einen Weltrekord, aber die Konstruktionen der Hobbybastler, die während der Sendung vor Ort mit Hunderten Unterstützern mitfiebern, sind so liebevoll und detailverliebt, dass es vermutlich nicht schlimm ist, wenn der Rekord nicht fällt.
An der ProSieben-Variante sind auch mehrere Tiere beteiligt. Ausgelöst wird die Kettenreaktion heute Abend durch einen Seelöwen, der beim Pressetermin gleich mal Moderator Matthias Opdenhövel ins Handgelenk biss. Angeblich handelte es sich nicht um einen PR-Gag; er musste sogar kurz ins Krankenhaus. (Opdenhövel, nicht der Seelöwe.)
Es könnte eine ungewöhnlich unterhaltsame Show werden. Und wie wenig das mit dem unerklärlich erfolgreichen Domino Day von RTL zu tun hat, demonstriert Ihnen Herr Opdenhövel hier mal selbst — und in diesem Fall ist einem Werbetrailer von ProSieben ausnahmsweise absolut zu trauen:
Das große Kipp-Roll-Fall-Spektakel, heute, 20.15 Uhr, ProSieben.
1994–1998 (ZDF). Late-Night-Talkshow mit Roger Willemsen.
Nach einigen Jahren als hochgelobter, aber kaum gesehener Interviewer in 0137 und „Willemsen. der Talk.“ auf Premiere engagierte das ZDF den promovierten Germanisten für den Versuch einer intelligenten Gesprächssendung. Zu den Gästen gehörten Gerhard Schröder, Sting, Yoko Ono, Billy Joel, Jeanne Moreau, Isabelle Huppert, David Copperfield, Isabelle Allende, Jassir Arafat und Joan Baez.
In der ersten Ausgabe interviewte er Madonna und fragte sie u. a., ob sie gut küssen könne — was gleich einen Eindruck von seinem zwischen Intellektualität und Flirt changierenden Gesprächsstil vermittelte. Willemsen wagte anspruchsvolle Interviews, etwa mit Daniel Goldhagen über die Deutschen als „Hitlers willige Vollstrecker“, und lud den psychisch kranken australischen Pianisten David Helfgott ein, Fragmente aus Rachmaninovs 3. Klavierkonzert vorzutragen.
Sondersendungen mit nur einem einzigen Interviewgast gab es mit Isabella Rosselini, Michail Gorbatschow und Peter Ustinov. Er sprach mit seinen Gästen vor Publikum an einer Art Küchentisch, anfangs, je nach Thema, auch in einer Couchecke. Zwischen den Gesprächen spielte der an der Glasknochenkrankheit leidende Jazz-Pianist Michel Petrucciani.
Willemsens Woche polarisierte Zuschauer und Kritiker: Die einen lobten die sonst im Fernsehen fast völlig abwesende Intelligenz der Unterhaltung, andere waren von der Eitelkeit des Gastgebers genervt. Die Quoten waren nur selten gut, fielen aber ins Bodenlose, als das ZDF die Sendung Anfang 1997 vom späten Freitag- auf den noch späteren Donnerstagabend verlegte. Im September des gleichen Jahres machte der Sender den Schritt rückgängig und erklärte, Willemsen von der Quotenvorgabe zu befreien: „Ich bin kein Entertainer mehr, sondern Subkultur“, kommentierte der. Kein Jahr später war dennoch Schluss; im Juni 1998 lief noch ein Best-of.
Willemsen war innerhalb des ZDF auch wegen seiner häufigen Kritik am Medium Fernsehen umstritten. Nachdem er die Doktorarbeit von Bundeskanzler Helmut Kohl als „Leistungsverweigerung“ verspottet hatte, bekam er ebenso Ärger wie nach einem Interview mit der Mutter der RAF-Terroristin Birgit Hogefeld. Schon bald durfte Willemsen keine aktiven deutschen Politiker mehr in die Sendung einladen.
Einmal ließ Willemsen eine Quotennackte durchs Bild laufen. Er erklärte: „Die Leute schalten dann nicht mehr weg, sondern warten, weil sie sich fragen, ob die nochmal wiederkommt.“ David Hasselhoff stellte er all die Fragen, die der sich vorher verbeten hatte. Daraufhin simulierte der einen Defekt seines Ohrknopfes und verließ das Studio. Helmut Markwort konfrontierte Willemsen 1995 mit einem Fehler nach dem anderen aus dessen Zeitschrift „Focus“. Die Abmoderation lautete: „Fakten, Fakten, Fakten. Das war unser Geschenk für zwei Jahre ‚Focus‘. Herr Markwort, vielen Dank fürs Hiersein.“ Es gab eine Rüge vom Fernsehrat dafür.
1994 (RTL 2). Comedy-Talkshow mit Hella von Sinnen im Spätprogramm am Sonntagabend.
Von Sinnen ist einerseits Gastgeberin, die mit Prominenten einigermaßen ernsthaft spricht, andererseits die Putzfrau Schmitz, die bei ihnen zu Hause oder im Büro Schränke, Schubladen und Papierkörbe durchwühlt. Zwölf Folgen liefen, dann wollte RTL 2 die Reihe nicht fortsetzen, angeblich weil Hella dem Sender nicht schrill genug war.
1993 (Vox). Live-Talkshow mit Hanjo Seißler und zwei Gästen.
Gleich in der ersten Sendung am ersten Sendetag von Vox kam es zum Eklat: CSU-Politiker Erich Riedl, der wie SPD-Mann Freimut Duve von Seißler provoziert wurde, verließ unter Protest das Studio. Trotz des insofern vielversprechenden Starts wurde die knapp einstündige Sendung, die um 22.10 Uhr lief, nur zwei Monate später wegen schlechter Quoten eingestellt. Seißler hatte vorher mit Georgia Tornow die SFB-Talkshow Berlin Mitte im Dritten Programm moderiert.
1993 (Vox). Kurzlebige Talkshow mit Dagobert Lindlau.
Sie wollte das „Forum für die andere Meinung“ werden, anstatt wiederzukäuen, was alle anderen schon sagen. Gegen den Strich verschwand aber (zusammen mit Schlagabtausch) schnell wieder, weil das neu gestartete „Ereignisfernsehen“ Vox sich höhere Quoten erhofft hatte. Es war nach Veranda der zweite Misserfolg für Lindlau in kurzer Zeit.
1991 (ARD). „Gäste bei Dagobert Lindlau“. Einstündige Talkshow mit Dagobert Lindlau, damals Chefreporter des Bayerischen Rundfunks, der seinen Gästen mit wenig Charme, aber intelligent und hartnäckig auf den Zahn fühlte. Damit war die Reihe das genaue Gegenteil der Plauderrunde Heut’ abend, deren Nachfolgerin sie wurde, allerdings auch was Erfolg und Langlebigkeit angeht: Sie brachte es nur auf 27 Ausgaben und wurde vom wieder kuscheligen und erfolgreichen Boulevard Bio beerbt. Lindlaus nächster Talkshow-Versuch Gegen den Strich war noch kurzlebiger.
1989–1990 (RTL). 40-minütige Talkshow mit Rainer Holbe am sehr späten Abend.
RTL setzte die Sendung sofort ab, nachdem der „Stern“ veröffentlicht hatte, dass Holbe in einem Buch esoterisch verbrämte antisemitische Thesen verbreitete, darunter die, dass Hans Rosenthal an Krebs gestorben sei, um „für sein Volk“ (die Juden) zu leiden.
1997 (RTL). Late-Night-Talkshow mit Alexander-Klaus Stecher.
Prominente Gäste werden interviewt; in einer Straßenumfrage sagen Menschen, was sie von ihnen halten, und in einem „Promigramm“ fragt das vorher befragte Studiopublikum, was es immer schon einmal wissen wollte. Für jede Antwort bekommt der Prominente Geld für einen guten Zweck. Gäste der ersten Sendungen waren Lothar Matthäus und Rainhard Fendrich.
Stecher war die männliche Antwort auf Verona Feldbusch, nur nicht ganz so textsicher und intellektuell. Er moderierte später beim kostenpflichtigen Schlagersender Goldstar-TV.