Berliner Morgenpost
Dieses Lexikon ist ein klarer Fall: Man braucht es eigentlich gar nicht, mag es aber nie wieder hergeben.
Dieses Lexikon ist ein klarer Fall: Man braucht es eigentlich gar nicht, mag es aber nie wieder hergeben.
Für mehr Heiterkeit als so manches Zappen durchs Fernsehprogramm sorgt jetzt das Buch „Das Fernsehlexikon“. Das beginnt bei „A, B oder C“, einer Samstagabendshow des DDR-Fernsehens Anfang der 60er Jahre und endet bei „Zwischenmahlzeit“ einer Sendung mit Gisela Schlüter, damals besser bekannt als „Quasselstrippe vom Dienst“ oder „Lady Schnatterley“. 7.000 Serien, Shows, und Mehrteiler werden vorgestellt. Mit Akribie, Wissen und viel Humor arbeiten die beiden Autoren das Fernsehgeschehen von über 50 Jahren auf.
Kult und Trash, Wissenswertes und Nebensächliches aus der großen, bunten Welt der Television – im „Fernsehlexikon“ hat alles seinen Platz. Bei Couch-Potatoes sollte das Buch eigentlich immer in Reichweite liegen, falls der TV-Abend sich mal wieder quälend in die Länge ziehen sollte. Lach- und Sachgeschichten finden sich in dem Wälzer schließlich genug.
Was bislang fehlte, war ein Nachschlagewerk, in dem auch noch die beiläufigste Produktion ihre Würdigung erfährt. Schlicht „Das Fernsehlexikon“ heißt das Buch, das diese Lücke schließt; nicht mal mit dem sonst doch stets unvermeidlichen Zusatz „groß“ versehen. „Schwer“ wäre ohnehin treffender, das Werk wiegt gut und gern zwei Kilo. Kein Wunder bei über 1500 Seiten und mehr als 7000 Einträgen; allein das Personenregister umfaßt 85 Seiten.
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Beim Durchblättern des „Fernsehlexikons“ werden Erinnerungen an die eigenen ersten Fernseherlebnisse wach; es macht Staunen und versorgt überreich mit jenem nutzlosen Wissen, mit dem man bei Partyplaudereien Eindruck schinden kann. Wer weiß denn wohl, dass es im DDR-Fernsehen in den 60ern ein „Agromagazin“ für Landwirte gab, wer erinnert noch, dass das ZDF 1976 die Jugendserie „Aktion Grün“ zeigte, in der sich neben anderen auch der spätere MTV-Fahrradbeauftragte Oliver Korritke um Umweltbelange kümmerte?
Das Buch ist nichts für wertkonservative Lamentierer, die Fernsehkultur gleich zur Unkultur degenerieren sehen. Der Schinken ist ein wunderbares „Hängenbleiben-und-Nachlese-Werk“, das auch noch alle Handlungsstränge von Serien und Spielfilmen präzise zusammenfasst. Sogar von solchen Folgen-Monstern wie Dallas, Die Schwarzwaldklinik und Lindenstraße: Nachzulesen ist da beispielsweise ein genaues Sterberegister aller Verblichenen aus dem Bavaria-Dauerbrenner samt ihrer Todesursachen: Joschi Bennarsch (Herzinfarkt), Henny Schildknecht (Selbstmord), Stefan Nossek (Autounfall), etc. etc.
Das Fernsehlexikon demokratisiert Fernsehen, weil es nicht nur nach Einschaltquoten, Serienlänge oder Produktionsbudget guckt, sondern die Autoren auch ihre ganz privaten und auch ganz bescheuerten Vorlieben ausleben (so darf sich Niggemeier am TV-Psychologen Fliege genauso austoben wie Reufsteck an Witta Pohl aus Diese Drombuschs). Und wahrscheinlich ist diese manchmal bösartige, oft unaufgeregte Haltung genau die, mit der man dem Medium Fernsehen auch begegnen sollte.
Der Tonfall ist in der Regel sachlich, aber nicht spröde lexikalisch. Bisweilen aber gönnen sich die beiden Autoren aber doch die eine oder andere süffisante Bemerkung. Die Sketchshow „Hella & Dirk“ warf nach Ansicht des Autorenduos „die Entwicklung des RTL-Humors unerwartet um Jahrzehnte zurück“, auch Johannes B. Kerner gehört offenbar nicht unbedingt zu den TV-Lieblingen von Niggemeier und Reufsteck: „Seine Art, sich von jeder Frage gleich wieder zu distanzieren und sich auch nach den schmutzigen Intimgeschichten zu erkundigen, ohne dabei selbst schmutzig zu werden, prägte die Sendung“. Solche kleinen Gemeinheiten und manch andere feine Beobachtung sind es aber natürlich letztlich, die das Blättern, Stöbern und (Wieder-) Entdecken vergangener Fernsehfreuden und -leiden zum Vergnügen machen.
Um es mit den Legende gewordenen Worten von Hänschen „Dalli Dalli“ Rosenthal zu sagen: Das ist spitze!
Das Buch ist ein Spiel ohne Grenzen — kein Reklameblock stoppt den Blätter-, Schmöker-, Stöber-Spaß.
Ein wunderbares Fernsehlexikon, das mit ebenso viel Liebe wie Akribie so ziemlich jede Sendung auflistet, die je im deutschen Fernsehen gelaufen ist.