Einerseits, andererseits

Eine ehemalige Stripperin und Witwe eines bedeutend älteren Milliardärs stirbt unter mysteriösen Umständen. Kurz zuvor war bereits ihr Sohn gestorben und sie selbst hatte noch eine Tochter zur Welt gebracht hat. Unter mehreren Männern bricht ein Streit um die Vaterschaft aus, der durch einen DNA-Test beigelegt werden muss.

Sie glauben, Sie kennen diese Geschichte schon? Merkwürdig. Denn das ist die Handlung der neuen Folge von Criminal Intent, die NBC erst heute Abend in den USA ausstrahlt. Und einerseits geben die Macher ja offen zu, sich von Zeitungsschlagzeilen inspirieren zu lassen, aber andererseits wird doch am Ende jeder Folge eingeblendet: „Die vorangegangene Handlung war frei erfunden. Keine tatsächlichen Personen oder Ereignisse wurden dargestellt.“

Einstürzende Neubauten mit euphorisierender Wirkung

Mit einer Dokumentation über den 11. September 2001 erreichte das ZDF gestern für seine Verhältnisse ungewöhnlich viele junge Zuschauer. Das ist zunächst einmal eine Tatsache. Dennoch glaube ich, dass die bewertende Formulierung der Überschrift auf Quotenmeter.de nicht unbedingt zutreffend ist, aber schon gar nicht angemessen, wenn es um eine Sendung geht, die ein Ereignis dokumentiert, bei dem fast 3000 Menschen ums Leben gekommen sind:

ZDF begeistert die Jungen mit Doku über den 11. September.

Update 13. September:
Quotenmeter hat die Überschrift geändert.

Einzelgänger

Eigentlich sollte jetzt die zweite Folge der inhaltlich vielversprechenden Serie Die Anwälte laufen, doch RTL entschied sich, nach nur einer Folge den Stecker zu ziehen. Noch nie hat ein deutscher Sender bei einer fiktionalen Serie so schnell aufgegeben.

Es gibt aber einige Beispiele für Unterhaltungsshows, deren Premiere zugleich ihr Finale war.

                             

Eliteeinheitsbrei

Früher war Dennis Haysbert mal Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Das war in der zweiten und dritten Staffel von 24. Damals hatte er als David Palmer seinen Dienstsitz zwar in Washington, war aus unerfindlichen Gründen aber immer zufällig gerade in Los Angeles, wenn dort terroristische Akte im Gange waren.

Heute ist Dennis Haysbert einige Ränge niedriger tätig, aber weiterhin in einer Führungsposition, und weiterhin immer gerade da, wo die nationale und internationale Sicherheit bedroht ist.

Als Jonas Blane leitet er in The Unit eine geheime Eliteeinheit der amerikanischen Streitkräfte, die Terroristen und andere Verbrecher weltweit bekämpft. Und das geht so: Man fliegt, fährt, springt oder rennt eine Dreiviertelstunde lang hektisch umher, gruppiert sich schließlich um das Flugzeug, in dem sich die Terroristen verschanzt haben, und dann geht Jonas Blane rein und erschießt alle. Anschließend fährt er nach Hause, und seine Frau fragt: „Wie war’s im Büro, Liebling?“

Die Serie ist sicher kein Glanzlicht in der Riege der jüngeren amerikanischen Serien. Hier käme normalerweise ein Aber. Ich habe aber keins. Nur einen Punkt.

The Unit – Eine Frage der Ehre, heute um 23.15 Uhr, ab nächster Woche mittwochs um 22.15 Uhr in Sat.1.

Elke Heidenreich schlägt Marcel Reich-Ranicki

Es war ein kleiner Moment für das Fernsehen, aber ein großer für das „Fernsehlexikon“. Im Jahresrückblick von Switch Reloaded gestern auf Pro Sieben hatte unser Buch einen überraschenden Auftritt als schlagendes Argument von Elke Heidenreich für Marcel Reich-Ranicki:

Wenn man ganz genau hinguckt, kann man erkennen, wie detailverliebt die Requisiteure beim Nachbau waren — und das bei einem Gegenstand, der nicht einmal eine Sekunde im Bild ist. Anstelle der Original-Sendungen sind Szenenfotos aus Switch Reloaded auf dem Cover abgebildet; der Untertitel lautet nicht „Alles über 7000 Sendungen von Ally McBeal bis zur ZDF Hitparade“, sondern „Alles über 7000 Parodien von Alarm für Cobra 11 bis Zwei bei Kallwass“, und unsere Namen sind auch nicht mehr ganz das, was sie mal waren:

Sensationell. Wenn wir nicht längst Switch-Reloaded-Fans gewesen wären, wir wären’s jetzt.

(Die ganze Folge ist eine Woche lang auf prosieben.de zu sehen.)

Ellenlang im Archiv

Ellen DeGeneres ist in den USA schon lange ein Star. Das wurde sie bereits in den 90er-Jahren durch ihre Sitcom Ellen, durch Stand-up-Comedy auf der Bühne und durch Bücher, die im Laden unter „Humor“ einsortiert sind. Seit dem Beginn ihrer täglichen Talkshow vor vier Jahren ist sie ein noch viel größerer Star geworden. Wenige hatten damit gerechnet, dass ihre Show unter dem enormen Angebot hervorstechen könnte. Doch mit vielen Elementen einer klassischen Late-Night-Show, ihrer sympathischen Art, ihrem charakteristischen, verworrenen Humor, Tanzeinlagen, Kuriositäten, absurden Ideen, die zum Teil an David Letterman erinnern, und hochkarätigen Gästen wurde „The Ellen DeGeneres Show“ eine der meistgesehenen Sendungen im Tagesprogramm und gewann mehrere Emmys für die beste Talkshow und für die beste Moderation. Zweimal moderierte Ellen die Emmys und Anfang des Jahres die Oscars. Als sie vergangene Woche in ihrer Sendung in Tränen ausbrach, weil der Tochter einer befreundeten Familie ein von Ellen adoptierter Hund weggenommen wurde, war das ein Thema für die Nachrichtensendungen.

Warum erzähle ich das alles? Weil heute eine Serie startet, die mit der geschilderten Erfolgsshow überhaupt nichts zu tun hat! Genau. Außer der Protagonistin.

Ellen
Die Sitcom The Ellen Show war der einzige nennenswerte Flop in ihrer Karriere, ist aber keine schlechte Serie. Das war 2001. Die Geschichte der ehemals erfolgreichen Großstadt-Geschäftsfrau Ellen, die in ihr verschlafenes Heimatstädtchen zurückkehrt, hat Charme und einige nette Gags. Ellen DeGeneres erklärte einst, die Idee sei ihr gekommen, als sie Ed gesehen habe, eine grandiose, skurrile, romantische, witzige, originelle, idyllische Serie, die Sat.1 samstags morgens um 5.00 Uhr zeigt, damit es bloß niemand merkt. The Ellen Show reicht zwar weder an Ed, noch an Ellen heran, aber beides sind hohe Messlatten. Unabhängig davon ist die Serie sehenswert. Sie ist inzwischen sechs Jahre alt und wird nun eingeschult endlich auch in Deutschland zum ersten Mal gezeigt.

The Ellen Show, dienstags bis freitags gegen 0.15 Uhr in Sat.1.

Ellenlange Nacht

Ellen DeGeneres verheddert sich gern im roten Faden ihrer Alltagsbeobachtungen und hört dann so schnell nicht mehr auf. Sie redet und redet ohne Punkt und Komma und kommt dabei, wie meine Oma sagen würde, von Kuchenbacken auf Arschbacken.
Auch Ellen spricht über ihre Oma.

Als sie 60 war, fing meine Oma an, jeden Tag fünf Meilen zu gehen. Heute ist sie 93 und wir haben nicht den blassesten Schimmer, wo sie inzwischen ist.

Oder über die Schöpfung.

Mehr Angst als vor Außerirdischen habe ich davor, dass es keine gibt. Wir können doch nicht das Beste sein, was die Schöpfung zu bieten hat.

Oder Preisverleihungen.

Ich glaube, alles in allem ist es nicht so wichtig, ob man einen Emmy gewinnt. Wir müssen unsere Prioritäten zurechtrücken. Wir wissen doch alle, was im Leben wirklich wichtig ist. Einen Oscar zu gewinnen!

In der Nacht zum Montag wird Ellen DeGeneres zwar keinen Oscar gewinnen, darf die Verleihung aber zum ersten Mal moderieren. In Deutschland ist sie am ehesten aus der nach ihr benannten Sitcom Ellen bekannt, in den USA inzwischen viel mehr als Komikerin und Moderatorin. Seit September 2003, nach einer fehlgeschlagenen weiteren Sitcom, moderiert sie „The Ellen DeGeneres Show“, eine werktägliche Talk-Comedy-Variety-Frauenshow mit prominenten Gästen und vielen klassischen Late-Night-Elementen, die in den größten Teilen des Landes vormittags oder nachmittags ausgestrahlt wird. Damit trat ihr Starstatus in eine völlig neue Größenordnung ein. Spätestens seitdem ist sie unangefochten. Sie ist der Sonnenschein der Nation.
In allen drei Jahren ihres Bestehens wurde die Show mit dem Emmy als beste Daytime-Talkshow ausgezeichnet, in den vergangenen zwei Jahren Ellen selbst noch zusätzlich als beste Moderatorin.

Zweimal moderierte sie die Primetime-Emmys, 2001 und 2005. Beide Male hatte das Land gerade eine nationale Katastrophe hinter sich – den 11. September bzw. Hurrikan Katrina. Ellen kommt aus New Orleans. Und beide Male wurde sie in höchsten Tönen gelobt, weil sie den exakt den richtigen Ton fand, und dabei trotzdem für einen witzigen, bestens gelaunten Abend sorgte.
Wenn sie mit ihrem Stand-up-Comedyprogramm tourt, füllt sie riesige Säle wie die 2700 Menschen fassende Avery Fisher Hall im New Yorker Lincoln Center. Dass ich in einer der hinteren Reihen eingeschlafen bin, lag wirklich nicht an ihr. Ich war einfach sehr, sehr müde.

In der Oscarnacht gebe ich mir eine zweite Chance. Die Oscar-Verleihung beginnt am frühen Montag um 2.30 Uhr auf Pro Sieben. Im Gegensatz zu den Emmys habe ich zwar keinen einzigen der Nominierten gesehen, denn ginge ich ins Kino, könnte ich ja was im Fernsehen verpassen. Aber wer gewinnt, ist ohnehin egal. Amerikanische Preisverleihungen wie die Emmys und die Oscars sind aus mehreren Gründen auch über etliche Stunden kurzweilig: Die Laudationes sind eher unterhaltsam als staatstragend, und selbst die Dankesreden sind es manchmal, weil viele in Komik geschulte Schauspieler wissen, dass die Zuschauer sonst noch vor der nächsten Werbepause umherzappen werden. Und schließlich werden sie nicht von Thomas Gottschalk moderiert, sondern von lustigen Menschen.

Ellen DeGeneres wird das fantastisch machen. Falls ich doch einschlafe, lasse ich sicherheitshalber eine Aufnahme mitlaufen. In der Avery Fisher Hall wäre das illegal gewesen. Ich halte Sie auf dem Laufenden.

Ellenlange Nacht — live

Also gut, ich habe bis 14 Uhr geschlafen. Das müsste eigentlich reichen, um die Oscar-Verleihung im halbwegs wachen Zustand zu überstehen. Vielleicht hätte ich sicherheitshalber nicht anfangen sollen, Bienzle zu gucken.

Ab 1 Uhr werde ich hier die Werbepausen mit erwähnenswerten Ereignissen vollbloggen. Falls es solche gibt.

Ellenlange Nacht — live

1.15 Uhr: Annemarie Warnkross führt durch die Oscarnacht auf Pro Sieben. Sie steht in den Hollywood Hills im Gestrüpp mit den HOLLYWOOD-Buchstaben im Hintergrund. Also ziemlich weit weg vom Geschehen.

1.16 Uhr: Offenbar hat nur Steven Gätjen eine Akkreditierung für den roten Teppich bekommen. Der ist für seine Berichterstattung von gleicher Stelle vor Jahren gescholten worden, doch ich teilte die Schelte damals nicht. Gätjen begleitete die Veranstaltung damals voller ehrlicher Euphorie, und es ist doch schön, wenn im Fernsehen mal jemand auftritt, der sichtbar Spaß an seinem Job hat und nicht nur mit einstudierter Aufgeregtheit seine Texte aufsagt. Und kaum habe ich es geschrieben, ist Annemarie Warnkross nämlich schon wieder im Bild.

1.26 Uhr: Hilfe, ein Quiz. Natürlich, im deutschen Fernsehen scheint es ja illegal zu sein, ohne ein Quiz in eine Werbepause zu gehen. Wann wurden wohl die Oscars zum ersten Mal verliehen, 1929 oder 1789? Das ist sogar eine vergleichsweise schwierige Frage. Normalerweise geht das bei Pro Sieben so: „In welchem Jahr wurden die Oscars zum ersten Mal verliehen? A: 1929, B: Spargel.“

1.30 Uhr: Die Off-Sprecherin im Beitrag über die nominierten Schauspieler beschreibt Leonardo DiCaprio mit „einst Mädchenschwarm“ und spricht ihm diesen Status damit amtlich ab.

1.36 Uhr: Steven Gätjen übernimmt und interviewt den Regisseur und die Hauptdarsteller aus dem nominierten Film „Das Leben der Anderen“. Florian Henckel von Donnersmarck, Ulrich Mühe und Sebastian Koch freuen sich wie Bolle, mal bei der Veranstaltung dabei zu sein, die sie sonst immer im Fernsehen gesehen haben. Dann grüßen sie noch alle, die sie kennen und mögen. Gätjen hat derweil seine Euphorie von früher überwunden und guckt sehr ernst.

1.44 Uhr: Verdammt, Werbepause rum und immer noch kein weiterer Interviewpartner am Start.

1.46 Uhr: Helen Mirren ist da. Sie spielt grundsätzlich jede Queen von England. Steven Gätjen sagt ihr, er habe sich durch sie in die Queen verliebt. Helen Mirren ist charmant, und auch Gätjen ist gut.

1.48 Uhr: Gätjen überbrückt die längeren Lücken zwischen zwei Interviews sehr gekonnt. Er redet ununterbrochen in ganzen, fehlerfreien Sätzen und weiß viel zu erzählen.

1.49 Uhr: Florian Henckel von Donnersmarck schaut unangekündigt nochmal vorbei, er hatte vergessen, seinen Vater zu grüßen. Dann haben wir Pech. Celine Dion hat auch Zeit für ein Gespräch. Wenigstens singt sie nicht.

1.53 Uhr: Das aufgezeichnete Interview mit Jennifer Lopez wird abgebrochen, weil Meryl Streep live da steht. Gut so.

1.57 Uhr: Ich hatte Roger Whittaker anders in Erinnerung. Oh, halt, es ist Forest Whitaker.

2.00 Uhr: Steven Gätjen weiß wirklich alles über die Oscars. Zumindest kam er zu keinem Punkt ins Stocken. Ich wiederhole mich, aber er hat das wirklich gut gemacht. Jetzt ist er durch, und Pro Sieben schaltet die Übertragung des amerikanischen Senders ABC auf.

2.02 Uhr: Toll, noch mehr Interviews am roten Teppich. Der amerikanische Kollege hat etwas mehr Platz als Steven Gätjen und begrüßt zu Beginn einen einstigen Mädchenschwarm. Na, was glauben Sie, wer es ist? A: Leonardo DiCaprio, B: Spargel.

2.06 Uhr: Greg Kinnear stinkt, spaßt Steve Carell, der mit ihm eine Woche in einem Wohnmobil verbringen musste, während sie den nominierten Film „Little Miss Sunshine“ drehten. Steve Carell ist lustig. Er spielt Christoph Maria Herbst in der amerikanischen Adaption von „The Office“ und darf jetzt leider viel zu wenig sagen.

2.14 Uhr: Der Typ, der Will Smith und Familie interviewt, sagt maschinengewehrartig „Great, great, great, cool, cool, cool, great, cool, great, great, cool, great“, während seine Gesprächspartner sprechen. Das wäre selbst für Reinhold Beckmann noch eine Steigerung.

2.26 Uhr: Helen Mirren trägt Christian Lacroix, verrät eine Einblendung. Dann muss so wohl ihr Kleid heißen, denn sie hat niemanden auf den Schultern.

2.29 Uhr: Diese ABC-Fließbandabfertigung der Teppichstars war langweilig. Aber jetzt beginnt endlich die eigentliche Show und Ellen DeGeneres kommt. Gute Unterhaltung.

2.30 Uhr: In einer ganz amüsanten Clipshow treten die Nominierten dieses Jahres auf. Martin Scorsese, Leonardo DiCaprio und Peter O’Toole lassen sich willig unter die Nase reiben, dass sie noch nie gewonnen haben.

2.40 Uhr: Ellen spricht zu den Nominierten im Saal und baut Druck auf. „Es ist nicht so, dass wir keine Zeit für lange Dankesreden haben. Wir haben keine Zeit für langweilige Reden. Wenn Sie nichts Interessantes zu sagen haben, erfinden Sie was. Aber machen Sie sich nicht zu viele Sorgen, vielleicht gewinnen Sie ja gar nicht!“

2.42 Uhr: Jennifer Hudson ist einer der vielen Beweise, dass die Kandidaten der amerikanischen Superstar-Show talentierter und erfolgreicher sind als Dieter Bohlens Schützlinge. Sie spielt in „Dreamgirls“. Ellen sagt: „Jennifer Hudson ist hier. Sie nahm an ‚American Idol‘ teil, aber Amerika hat sie nicht gewählt, und jetzt ist sie für einen Oscar nominiert. Al Gore ist auch hier. Ihn hat Amerika gewählt aber … nun ja, es ist kompliziert.“

2.44 Uhr: Ellen hatte im Vorfeld versprochen, nicht zu singen. Tut sie auch nicht. Stattdessen kommt ein Gospelchor rein, zelebriert musikalisch die Nominierten, und Ellen schlägt aufs Tamburin.

2.52 Uhr: Nicole Kidman und James Bond vergeben den ersten egalen Preis.

2.56 Uhr: Will Ferrell und Jack Black besingen das schwere Los von Komikern, zwar Millionen mit ihren Filmen zu verdienen, aber nie mit einem Oscar ausgezeichnet zu werden. Sie beschimpfen Peter O’Toole und Leonardo DiCaprio und drohen ihnen Prügel an. Nur Helen Mirren wollen sie zusammen mit einem Oscar mit nach Hause nehmen. Lustig. Dann vergeben sie einen weiteren egalen Preis.

3.01 Uhr: Kinder und Tiere gehen immer. Kind Smith liest zu früh die nächste Zeile vom Teleprompter ab und will nach der Nennung der Nominierten für den besten animierten Kurzfilm schon zur nächsten Kategorie schreiten, bevor überhaupt der Umschlag mit dem Gewinner geöffnet wurde. Das wäre in der Tat eine Möglichkeit, die Veranstaltung abzukürzen. Kinder sind eben doch die Zukunft.

3.12 Uhr: Pro Sieben beweist Kontinuität und schafft es auch dieses Jahr nicht, rechtzeitig nach den Werbepausen wieder in die Übertragung einzusteigen. Ellen ist schon mitten in ihrer Anmoderation, als Pro Sieben endlich den Trailer zu Ende gesendet hat, der ja heute Nacht höchstens noch vierzig weitere Male kommt.

3.16 Uhr: Achso, Sie hatten nicht ernsthaft erwartet, dass ich hier die Gewinner mitteile, oder? Wenn Scorsese, O’Toole oder DiCaprio endlich mal gewinnen, werde ich das würdigen.

3.25 Uhr: Gaaaanz zufällig hat Ellen DeGeneres ein Drehbuch in der Hand, das sie behauptet geschrieben zu haben, als sie gerade neben Martin Scorseses Sitz niederkniet, und drückt es ihm in die Hand. „Es ist eine Mischung aus ‚Good Fellas‘ und ‚Big Momma’s House‘ und heißt ‚Good Mamas'“.

3.30 Uhr: Puh, ist wirklich erst eine Stunde der eigentlichen Veranstaltung um?

3.38 Uhr: Leonardo DiCaprio und Al Gore erklären, dass die Oscars in diesem Jahr zum ersten Mal komplett umweltbewusst produziert würden, oder so. DiCaprio fragt Gore, ob er die Gelegenheit nicht nutzen wolle, eine offizielle Ankündigung zu machen. Gore zögert, lässt sich überzeugen, zieht dann einen Zettel aus der Tasche, beginnt mit „My fellow Americans“, setzt zu einer Ankündigung an, die nur auf eine Präsidentschaftskandidatur hinauslaufen kann — und wird vom Orchester von der Bühne gespielt, weil die Zeit um ist.
Jawohl, die bisher beste Comedynummer des Abends kam von Al Gore.

3.49 Uhr: Die Moderatorin der Veranstaltung ist nicht allzu oft zu sehen. Und selbst wenn, fühle ich mich leider eher an Whoopi Goldberg erinnert als an die fantastischen Oscar-Moderatoren der vergangenen Jahre: Jon Stewart, Chris Rock, Steve Martin und Billy Crystal.

3.52 Uhr: Muss wohl die Kategorie „Bestes Drehbuch“ sein, denn Helen Mirren und Tom Hanks lesen Drehbücher vor. Das machen Schauspieler normalerweise am Tisch, bevor gedreht wird. Zu sehen ist das sonst nie. Jetzt wissen wir, warum.

4.05 Uhr: Das Mikrofon wurde auf ungefähr einen Meter Höhe runtergefahren. Das kann doch eigentlich nur eins bedeuten… Aaaaaargh! Tatsächlich, da kommt Tom Cruise!

4.11 Uhr: Ellen will auf ein gemeinsames Foto mit Clint Eastwood und nötigt Steven Spielberg, es zu schießen. Es gefällt ihr nicht, und er muss es nochmal machen.

4.29 Uhr: Die meinten das wirklich ernst und zeigen Ausschnitte aus ALLEN 50 bisherigen besten fremdsprachigen Filmen!

4.30 Uhr: Florian Henckel von Donnersmarck gewinnt tatsächlich für „Das Leben der Anderen“. Sieh mal an. Glückwunsch!

4.33 Uhr: Den wievielten verschiedenen Anzug trägt Ellen eigentlich inzwischen?

4.38 Uhr: Und zum wievielten Mal zeigen die eigentlich gerade den Werbespot für dieses entsetzliche musikalische Wunderkind aus England, das ein Album mit 15 Liedern vollgesungen hat, von denen sie ausgerechnet eins der Kelly Family ausgesucht haben, um damit zu werben? Die wollen wohl nicht, dass es jemand kauft.

4.42 Uhr: Ist noch weit?

4.46 Uhr: Jerry Seinfeld, einer der größten Komiker unserer Zeit, erklärt, warum er niemals im Kino seinen eigenen Dreck aufsammeln würde. Er habe ihn ja schließlich gerade erst fallen lassen. Und außerdem gebe es die stille Vereinbarung zwischen Kinobetreibern und uns Kinobesuchern: „Die hauen uns übers Ohr mit völlig überteuerten, riesigen Tüten mit ungesundem Kram, den wir sowieso nicht essen sollten, und wenn wir damit fertig sind, öffnen wir unsere Hand und lassen den Rest fallen.“
Seinfeld präsentiert den Oscar für den besten Dokumentarfilm und sagt vor der Vorstellung: „Diese fünf unglaublich deprimierenden Filme sind nomiert“. Hinterher drückt er Davis Guggenheim den Oscar für „An Inconvenient Truth — Eine unbequeme Wahrheit“ in die Hand, der ihn an Al Gore weiterreicht.
Merkwürdig. Mit den beiden witzigsten Darbietungen des Abends hatte Al Gore irgendwie zu tun.

4.57 Uhr: Oh nein, jetzt singt Celine Dion doch.

5.01 Uhr: Ennio Morriccone bedankt sich auf Italienisch für seinen Filmmusik-Ehrenoscar, und Clint Eastwood übersetzt. Gut. Hätte man den dauerüberforderten Simultan-Dolmetscher von Wetten, dass…? beschäftigt, hätten wir womöglich nie erfahren, was er wirklich gesagt hat.

5.08 Uhr: Ellen hat mit Sid Ganis, dem Präsidenten der veranstaltenden Academy of Motion Picture Arts and Sciences, gewettet, dass er es nicht schafft, in weniger als einer Minute die Tätigkeitsfelder der Academy zu erklären. Es folgt eine Filmeinspielung, die dadurch lustig wird, dass sie viel zu schnell abgespielt und deshalb gerade rechtzeitig nach einer Minute zu Ende ist.

5.21 Uhr: Als vorhin gleich zwei der nominierten Songs hintereinander gespielt wurden, dachte ich, es kommen gleich alle fünf im Block. Das wäre noch beknackter gewesen als die Idee vor zwei Jahren, vier von fünf nominierten Songs von Beyoncé vortragen zu lassen, in unterschiedlichen Sprachen, von denen sie nur manche beherrschte.
Sattdessen wurden vorhin nur diese beiden Lieder gesungen, und jetzt die anderen drei am Stück, was legitim ist, denn alle drei sind aus „Dreamgirls“. Und da ist dann auch wieder Beyoncé.

5.30 Uhr: Hoppla, „Dreamgirls“, mit drei von fünf Nominierungen, verliert. Der Song-Oscar geht stattdessen an Melissa Etheridge für „An Incovenient Truth“, die Al Gore dankt. Dann könnte ja gleich was Lustiges passieren.

5.31 Uhr: Doch nicht.

5.40 Uhr: Habe ich eigentlich die Filmmontage mit den Toten des Jahres verpasst? In der heutigen Sendung könnte die noch zu einem der Höhepunkte avancieren.

5.49 Uhr: Na also, da war sie ja. Robert Altman gewinnt den Applausometer-Publikumspreis des diesjährigen Lieblingstoten.

5.52 Uhr: Ellen hat sich schon wieder umgezogen und verabschiedet sich. Dabei rühmt sie sich, die Sendung im vorgegebenenm Zeitrahmen beendet zu haben. Über einen imaginären Knopf im Ohr erfährt sie dann, dass noch etliche Preise zu vergeben sind. Wirklich? Etliche???

5.54 Uhr: Helen Mirren bekommt einen der etlichen für eine ihrer etlichen Queens.

6.04 Uhr: Forest Whitaker gewinnt „Bester Schauspieler“. Nicht DiCaprio, nicht O’Toole. O’Toole hat ja immerhin seinen Lebenswerk-Oscar von vor ein paar Jahren. Das muss zu einer Zeit gewesen sein, als DiCaprio noch ein Mädchenschwarm war.

6.10 Uhr: Wenigstens hat Martin Scorsese endlich seinen ersten Oscar bekommen (beste Regie). Er guckte vorher schon wieder so traurig, als wisse er, dass er sowieso wie üblich nicht gewinnen würde. Dann durfte er doch auf die Bühne und sich solange bedanken, wie er wollte, ohne vom Orchester von der Bühne gespielt zu werden. Das war sehr freundlich.

6.14 Uhr: Scorseses „The Departed“ ist auch noch bester Film. Schön.

6.20 Uhr: Wir haben es geschafft. Die Academy Awards waren feierlich, bombastisch, monumental, aber leider nicht sehr lustig. Und obwohl nicht länger als sonst, fühlten sie sich viel länger an. Das lag sicher nicht nur an der Moderatorin, auch die anderen Shownummern zwischendurch, die ich bisher freundlich verschwieg, hauten mich nicht vom Hocker. Dass die Produzenten allen Ernstes Schattenspiele als geeignete Abendunterhaltung für die ganze Welt ansahen, kann ich schwer nachvollziehen.
Ich mag Ellen DeGeneres. Wirklich. Sie hat die Emmys zweimal gut moderiert. Aber nach der heutigen Nacht bin ich unsicher, ob es wirklich an mir lag, dass ich während ihres Comedy-Abends in der New Yorker Avery Fisher Hall eingeschlafen bin.
Sie war als Oscar-Moderatorin recht amüsant und kurzweilig, aber es gab nicht eine einzige Stelle, bei der ich das Bedürfnis hätte, sie nochmal anzuschauen oder allen meinen Bekannten vorzuspielen. Bei Jon Stewart im vergangenen Jahr gab es etwa ein Dutzend.

Gute Nacht allerseits.

EM-TV

Pressekonferenzen mit Fußballspielern erinnern mich immer an Starinterviews in Wetten, dass…?. Jemand stellt eine belanglose Frage, dann schaut der Interviewpartner eine Weile ins Leere, und dann antwortet er.
Bei Wetten, dass…? sind das die Sekunden, die der Dolmetscher braucht, um die Übersetzung der Frage ins Ohr des Stargastes zu sprechen. Und bei Fußballern… Wahrscheinlich hat auch Michael Ballack einen Knopf im Ohr und muss zuerst die Übersetzung der Fragen in Fußballerdeutsch abwarten.

Besonders schön heute übrigens diese Frage der dpa:

Herr Ballack, wo liegt morgen die größte Gefahr in dem Spiel, aus deutscher Sicht?

Nun, ich als Laie hätte ja gesagt, die größte Gefahr liegt darin, dass die Mannschaft verlieren und ausscheiden könnte. Aber was weiß ich schon? Also bitte, Herr Ballack?

Die Gefahr ist, dass man in einem Spiel verlieren kann und ausscheiden kann.

Ah ja. Zurück ins Studio.

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