Die kurze Politkarriere des Stephen Colbert
Harald Schmidt spielt Theater und tritt in allen Fernsehsendungen als Gast auf, die es nicht verhindern können. Thomas Gottschalk gibt Interviews, in denen er neue Fernsehgenres in die Pfanne haut, nur um wenig später selbst ein solches zu moderieren. Johannes B. Kerner lädt Eva Herman ein. Stefan Raab singt beim Eurovision Song Contest und lässt sich von Regina Halmich verhauen. Elton läuft als Spätfolge den Marathon in New York.
Fernsehstars tun viel, um Aufmerksamkeit in einer Größenordnung auf sich zu ziehen, die ihre alltäglichen Shows nicht mehr bekommen. Der amerikanische Late-Night-Satiriker Stephen Colbert ging einen Schritt weiter. Er wollte bei der Vorwahl im US-Bundesstaat South Carolina als Präsidentschaftskandidat antreten.
Eigentlich hatte Colbert die zusätzliche Aufmerksamkeit nicht nötig. Seine abendliche Show The Colbert Report bei Comedy Central ist erst zwei Jahre auf Sendung und wirkt nicht so, als drohe ihr bereits ein Abnutzungseffekt. Aber es war konsequent. Viermal die Woche spielt Colbert den harten Patrioten, dem nichts als sein Land am Herzen liegt. Er parodiert vor allem den rechten Fox-News-Channel-Moderator Bill O’Reilly, aber auch alle anderen Konservativen. Wie sonst sollte er seine Rolle untermauern, wenn nicht durch eine Präsidentschaftskandidatur? Denn so normal es in Amerika ist, dass Entertainer für politische Ämter kandidieren (einer der republikanischen Favoriten für die Präsidentschaftskandidatur ist der Law & Order-Darsteller Fred Thompson), Colbert meinte seine Kandidatur garantiert nicht ernst.
Den Hauch der Macht spürte Colbert bereits, als er im April 2006 als geladener Redner beim offiziellen Jahresdinner des Pressecorps des Weißen Hauses in Washington auftrat — ausgerechnet er, der in seinen Sendungen auf satirische Weise den Präsidenten angreift, stand fünf Meter neben ebendiesem und tat ebendies: Er griff ihn satirisch an.
Dieser Mann steht zu seiner Meinung. Er ist kein Umfaller. Er hält mittwochs noch an den gleichen Grundsätzen fest wie montags. Ganz egal, wie sehr sich am Dienstag die Faktenlage geändert hat.
Von seinem eigenen Publikum ist Colbert weniger Stille gewohnt. Hier wurde es eisig, George Bushs Lachen fror immer mehr ein. Doch Colbert zog seine Nummer durch. Der Mitarbeiter des Pressecorps, der für die Einladung verantwortlich war, gab später zu, Colberts Sendung noch nie aufmerksam gesehen zu haben. (Video hier.)
Colberts Fans sind treu und folgen ihm fast fanatisch. Überraschend war jedoch, dass ihm in der vergangenen Woche selbst in repräsentativen Umfragen bis zu 13 Prozent der Stimmen vorhergesagt wurden, sollte er zum Beispiel in einer hypothetischen Wahl als unabhängiger Kandidat gegen Hillary Clinton und Rudolph Giuliani antreten.
Doch Colbert wollte nicht unabhängig antreten. Er wollte auf der demokratischen Liste stehen. Und gleichzeitig auf der republikanischen. Theoretisch wäre das sogar möglich gewesen, wenn er die nötige Unterstützung in beiden Lagern gehabt hätte und die erforderlichen Summen bezahlt hätte, die die Parteien quasi als Aufnahmebeitrag für ihre Kandidatenlisten verlangen. Ed Koch, der damalige Bürgermeister von New York, kandidierte 1982 gleichzeitig für die demokratische und die republikanische Partei und wurde mit 75 Prozent der Stimmen gewählt.
Die 2.500 Dollar an die Demokraten hat Colbert bezahlt. Die 35.000 Dollar, die die Republikaner wollten, zahlte er nicht. Dennoch wird Colbert jetzt auf keiner der beiden Listen stehen, denn das verantwortliche demokratische Komitee befand mehrheitlich (aber nicht einstimmig), Colbert sei kein ernstzunehmender Kandidat.
Dabei hatte er sich doch solche Mühe gegeben. Am Wochenende zuvor war er in South Carolina gewesen, hatte „Wahlkampf“ betrieben und zum Volk gesprochen.
Falls das Finanzamt fragt: Wir machen das hier jede Woche!
Auch dem Publikum seiner Fernsehshow gegenüber gab er sich betont staatsmännisch. Als vergangenen Dienstag Colbert kurz vor dem Beginn der Sendung noch Fragen der Zuschauer beantwortete, wies ihn der Regisseur darauf hin, dass es in zwei Minuten losgehe, und Colbert blieb ganz in seiner Rolle.
In zwei Minuten? Sag mir Bescheid, wenn es losgeht! Bis dahin möchte ich hier unten beim Volk bleiben!
Hat Colbert nun von diesem PR-Stunt profitiert oder nicht? Klar hat er. Seine Show mag die zusätzliche Aufmerksamkeit nicht unbedingt nötig gehabt haben, aber dann ist da ja noch Stephen Colberts neues Buch „I Am America (And So Can You)“. Es führt die Nonfiction-Bestsellerliste der New York Times an und verkauft sich bei Amazon derzeit besser als Harry Potter.