Der Münchner Tatort am Sonntagabend weckte Erinnerungen an die große Zeit der Reinecker-Krimis. Herbert Reinecker schrieb, als die Welt noch schwarzweiß und Schweigen noch modern war, die Drehbücher für die Serie Der Kommissar. Damals wurden Serien noch nicht so oft wiederholt, dafür wiederholte Reinecker unendliche Male Floskeln und Worte innerhalb einer Episode, baute Schweigen und stilles Starren ein und streckte so eine Handlung auf eine 60-Minuten-Netto-Länge, die heute wahrscheinlich mit Mühe und Not eine 30-Minuten-Brutto-Episode inklusive Werbung füllen würde. Ein typischer Reinecker-Dialog war zum Beispiel in der Kommissar-Episode „Toter gesucht“ 1972 zu erleben, mit Erik Ode und Gaststar Bernhard Wicki.
Wicki: „Er hat einen Koffer weggebracht.“
Ode: „Was für’n Koffer?“
Wicki: „Ich weiß nicht, was für’n Koffer. Ich hab‘ den Koffer nie gesehen. ‘N Handkoffer. Wir haben solche Koffer nicht.
Ode: „Ja, haben Sie ihn nicht gefragt, was für’n Koffer das ist.“
Wicki: „Er hat gewartet, bis ich wieder im Laden war. Und dann hab‘ ich gehört, wie er hinten hinausging, und da hab‘ ich gesehen, dass er diesen Koffer wegtrug, den ich vorher nie gesehen hab‘.“
Ode: „Ja, wie ist er denn jetzt zurückgekommen. Ohne Koffer?“
Wicki: „Wollen Sie auch einen?“ (Kocht Kaffee.)
Ode: „Nein, danke, nein.“
Wicki: „Ja. (Pause.) Was bedeutet dieser … – Koffer?“
Ode: „Na, gehen Sie rauf und fragen Sie ihn.“
Auch 14 Jahre später in Reineckers Derrick dauerte es noch immer mehr als zwei Minuten, bis jemand so etwas Umständliches erledigt hatte wie zum Beispiel durch ein Tor zu gehen. Sie müssen sich die folgende Szene aus der Episode „Die Rolle seines Lebens“ von 1986 mit den Gaststars Edwin Noel und Franz Boehm sowie einem Kleindarsteller als Pförtner in bedächtigem Tonfall und mit langen Pausen vorstellen.
Boehm: „Guten Tag.“
Pförtner: „Ja bitte?“
Boehm: „Theimer.“
Pförtner: „Und wohin?“
Boehm: „Ich möchte zur… Signum Film.“
Pförtner: „Ja, werden Sie erwartet?“
Boehm: „Ich, äh… – Ja, man erwartet mich.“
Pförtner: „Ach, dann werde ich da mal anrufen.“
Boehm: „Warum wollen Sie denn da anrufen, ich sag’s Ihnen doch, ich werde erwartet.“
Pförtner: „Sehen Sie, ich, … ich habe meine Anweisungen.“
(Schmieriger Typ im Cabrio fährt vor.)
Noel: „Entschuldigen Sie. Sie sind doch… Sie sind doch Herr Theimer.“
Boehm: „Ja, ich, ähm, bin… (Pause.) Martin Theimer ist mein Name. Na, wenigstens einer, der mich kennt. (Zum Pförtner:) Theimer. Martin Theimer bin ich. Der Schauspieler. Ich bin hier schon durch dieses Tor gegangen, da hat es Sie noch gar nicht gegeben.“
Noel: „Einer unserer besten Schauspieler.“
Pförtner: „Tut mir leid, ich kann nicht jeden kennen, hier gehen so viele Schauspieler aus und ein.“
Boehm: „Ja, ist schon gut.“
Noel: „Was machen Sie denn hier?“
Boehm: „Ich wollte zur Signum Film.“
An diese seligen Zeiten knüpfte Autorin Stefanie Kremser in der Tatort-Folge „Unsterblich schön“ an. Nicht nur dass Robert Atzorn als Relikt vergangenen Fernsehens eine tragende Rolle spielte, auch die ewigen Passagen gegenseitigen Anstarrens und Schweigens erinnerten an früher. Vor allem aber die legendäre Reinecker-Redundanz.
Das Dialogbeispiel mit Udo Wachtveitl und Gastschauspieler Peter Davor nahm eineinhalb Minuten in Anspruch.
Wachtveitl: „Sie waren in Hamburg?
Davor: „Ja. Was ist mit Constanze passiert.“
Wachtveitl: „Wir ermitteln wegen… Sie ist umgebracht worden. Haben Sie sich denn gut mit Ihrer Schwägerin verstanden?“
Davor: „Normal. Man hat sich ab und zu gesehen.“
Wachtveitl: „Auch allein?“
Davor: „Eher mit der Familie. Kalorienarmes Sonntagsessen und sowas.“
(Stille).
Wachtveitl: „Warum haben Sie sie gestern angerufen? (Lange Pause). Wir haben den Festnetzanschluss im Spa überprüft, und da taucht Ihre Handynummer auf.“
Davor: „Ach so ja, das verstehen Sie jetzt falsch, aber sie… sie hatte ein Problem mit dem Computer. Konnte keine Tabellen öffnen.“
Wachtveitl: „Tabellen.“
Davor: „Tabellen.“
Wachtveitl: „Da sind Sie also in Hamburg, und dann denken Sie so bei sich: Jetzt könnte ich mal meine Schwägerin anrufen, vielleicht kann sie ja gerade keine Tabellen öffnen. Oder wie?“
Davor: „Nein.“
Wachtveitl: „Nein.“
Davor: „Ich meine doch. Sie hat mir natürlich schon vorher davon erzählt. Aber ich musste natürlich erst mal über das Problem nachdenken.“
Wachtveitl: „Das Problem mit den Tabellen.“
Davor: „Ja, das Problem mit den Tabellen.“
Wachtveitl: „Abends in Hamburg. Zwanzig vor zehn.“
Davor: „Ja.“