Es gab eine Zeit, da hatte RTL eingesehen, dass das Genre Daily Talk tot ist. Dann starb aber auch der gesamte Rest des RTL-Nachmittagsprogramms, und aus lauter Verzweiflung gibt es deshalb jetzt wieder eine Talkshow um 15.00 Uhr: Natascha Zuraw. Heikle Themen, kontrovers diskutiert in einem als Arena gebauten Studio.
Ein Protokoll der Premiere.
14.57 Uhr: Drei Minuten zu früh. Die neue RTL-Talkarena Natascha Zuraw beginnt wie alle Sendungen des RTL-Nachmittagsprogramms. Schon jetzt erkenne ich den positiven Effekt, dass sie dann wohl wenigstens auch früher zu Ende sein wird.
KT Tunstall singt „Suddenly I See“. RTL ist konsequent: Ein abgedroschener Hit als Titelsong für das abgedroschene Genre Daily Talk.
15.00 Uhr: Natascha Zuraw beginnt mit einem raffinierten Täuschungsmanöver: Ihr erstes kontroverses Thema „Schwanger mit 50″ wird sensibel mit nachvollziehbaren Argumenten diskutiert und erweckt den Eindruck, als sei dies gar keine Sendung für Prolls, die sich gegenseitig ankeifen.
15.07 Uhr: Auftritt keifende Prolls. Nach nicht einmal zehn Minuten war die 50-jährige junge Mutter als Thema erschöpft und das Talkfließband zu einem bekennenden Partyluder weitergelaufen. Die 24-jährige feiert die Wochenenden durch und will berühmt werden, nämlich Schauspielerin in einer Soap. Den Widerspruch in sich erkennt sie nicht. Ihre Schwester will sie zu einem vernünftigeren Leben drängen, drückt sich aber auch nicht besser aus. Eine lange Werbepause, die nicht eingeplant war, sondern rumpelig mitten in die Sendung geklebt wurde, dehnt das Thema auf 20 Minuten aus, bevor Natascha Zuraw es mit all dem psychologischen Geschick, das man bei RTL Shop lernt, beendet.
15.27 Uhr: Eine 19-jährige mit bunten Haaren und mehreren Lippenpiercings als Pickelersatz bekennt sich zu ihrer Faulheit. Zu Hause rührt sie keinen Finger, und Mama räumt ihr ständig hinterher. Und Mama ist auch da und bekennt, ihrer Tochter ständig hinterherzuräumen. Natascha Zuraw, die ihren Job besser macht, als ich erwartet hätte, verkommt zur Mikrofonhalterin für ihr Publikum, das dem Mädchen der Reihe nach die Meinung geigt. Sie selbst sagt kaum noch was, verabschiedet sich von dem Mädchen aber mit dem wegweisenden Rat: „Vielleicht machst ja in Zukunft ein bisschen mehr.“ Wahnsinn.
15.37 Uhr: Zehn Minuten rum, nächstes Talkhäppchen: Eine Familie, die sich unzählige Reptilien hält. Hier scheint jedes Thema möglich zu sein, solange es am Ende viele sind. In der Mitte des Themas wieder ein schlecht hineingeschnittener Werbeblock.
15.54 Uhr: Wie, jetzt noch ein neuer Gast? Es muss doch gleich Schluss sein. Ein Kleptomane schildert sein Problem. Vielleicht packt er in zwei Minuten die Studiodeko ein und verschwindet, dann kann die Sendung noch pünktlich zu Ende gehen.
15.58 Uhr: Tat er nicht. Schade. Sein Problem wurde in den wild gekürzten dreieinhalb Minuten auch kaum gelöst, aber Natascha Zuraw drückt ihm „ganz fest die Daumen“, dass er es in den Griff bekommt.
Premiere vorbei. Wer sich unterhalten fühlte oder einen Erkenntnisgewinn für sich verbuchte, kann ja morgen wieder einschalten. Ich klopfe auf den Tisch und bin weg.
NACHTRAG 6. MAI:
Interessante Einschaltquote zur Premiere: 480.000 Menschen sahen Natascha Zuraw. Das ist haargenau ein Zehntel dessen, was Daily-Talk-Pionier Hans Meiser in der Spitze auf dem gleichen Sendeplatz erreichte.