Buchstabierwettbewerb am Ballermann
Fotos: ProSieben
An mir lag’s nicht. Ich hatte schon vor Beginn der Show ein großes Bier und ein kleines getrunken, was bei einer 20.15-Uhr-Show nun wirklich ausreichen müsste, um eine angemessene Erhöhung der Toleranzschwelle und Senkung der Niveaugrenze zu erreichen. Okay, ich hab dann den Fehler gemacht, den gesamten ersten Werbeblock hindurch in einer Art Schockstarre vor dem Fernseher sitzen geblieben zu sein, anstatt schnell auf härtere Drogen umzusteigen. Und das dritte Bier nach der zweiten Werbepause reichte natürlich nicht einmal aus, auch nur den eingetretenen Ernüchterungseffekt durch das Grauen auf dem Bildschirm auszugleichen.
Es wäre aber, ehrlich gesagt, auch im Vollrausch nicht zu ertragen gewesen. Denn die neue Pro-Sieben-Sendung Singing Bee basiert auf der außerordentlich abwegigen (und aus den USA importierten) Idee, die, äh, Lebensfreude einer Gruppe achtzehnjähriger Jungmänner aus der hessischen Provinz am Ballermann kurz vor dem Filmriss mit der Pingeligkeit eines „Monopoly“-Spielers zu kombinieren, der sich wegen Differenzen über die genaue Regelauslegung beim „Frei Parken“-Feld mit dem halben Freundeskreis überworfen hat.
Es geht nämlich darum, dass unsympathische, übereuphorisierte Sich-Selbst-Produzierer darum kämpfen, wer irgendwelche Hits am besten auswendig singen kann, was sie, in bester Karaoke-Tradition, mit großer Inbrunst und Falschheit tun. Die Töne müssen nicht stimmen, aber bei den Texten lässt „Singing Bee“ nicht nur nicht Fünfe, sondern auch Viere nicht gerade sein, wenn sich herausstellt, dass die siebte Nachkommastelle keine Null ist. Die Kandidatin, die in dem Ärzte-Song den Refrain „Manchmal, aber nur manchmal, haben Frauen ein kleines bisschen Haue gern / Immer, ja wirklich immer, haben Typen wie du“ vervollständigte mit: „eins auf die Fresse verdient“, hatte verloren. Es heißt: „was auf die Fresse verdient“. Eine Spitzfindigkeit, die man eher nicht zu würdigen weiß, wenn man es geschafft hat, sich die schlimmen Kandidaten, die Moderatoren Senna (von Monrose) und Oliver Petszokat, die schlechte Band, den unerträglichen Gesang (der Profis!) und die falsche Jubelatmosphäre im Publikum erträglich zu trinken (also mindestens nicht mehr weiß, wo bei der Fernbedienung vorn und hinten ist).
Immerhin hatten die Kameraleute offenbar das einzig Richtige getan und sich schon vor der Sendung die Kante gegeben.
Wirklich beunruhigend ist, dass auch diese Sendung, wie schon der schnell wieder entsorgte Comedy Zoo, von Red Seven produziert wurde, einer neuen scheinambitionierten Produktionstochter der Senderfamilie ProSiebenSat.1 unter Leitung des langjährigen ProSieben-Unterhaltungschefs Jobst Benthues, teilweise unter Einsatz der gleichen affigen und nicht funktionierenden Witz-Ideen. Die meinen das ernst mit der Produktion von Sendungen auf dem Niveau der kleinen Trashreihe Gina-Lisas Welt.
10. September 2008 um 01:52
Um den verlinkten Wikipedia-Artikel zu zitieren:
„Due to low ratings, and to make room for The Biggest Loser, NBC put The Singing Bee on hiatus for November sweeps. The Singing Bee returned on December 21, 2007, and aired two new episodes each Friday, before being placed on hiatus again.“
Bemerkenswert, dass in den USA hart gefloppter Durchfall hier nichtsdestotrotz mit größter Begeisterung kopiert wird – steckt da ernsthaft die Idee hinter, dass das deutsche Publikum schon soviel durchlitten hat, dass es den Siff gleich auch noch anschaut, wenn auch nur aus Mangel an Alternativen?
10. September 2008 um 07:07
Ja, aber der Sieger hat sich doch so schön gefreut! Mit hats sehr gefallen! (Hab um 21.13 Uhr eingeschaltet.)
10. September 2008 um 08:00
stefan, ich mach mir sorgen um deine leber…
In GB gibt es auch so was ähnliches. da ist es wir „wer wird millionär“ aufgebaut. Es wird dann karaoke gesungen, und irgendwann fehlt der text. ist halbwegs lustiger. ausserdem konnten die kandidaten singen. etwas was es ja in deutschland nicht so oft gibt…
10. September 2008 um 09:37
Mir scheint es eine weise Entscheidung gewesen zu sein, es von vornherein nicht schauen zu wollen. Gut, ich habe gestern nicht mal mehr das Ende der Tagesschau mitbekommen, bevor ich entschlummert bin…egal.
So hat es jetzt doch noch was Gutes: Ich fühle mich durch Deine Rezension sehr unterhalten und in meinem Vorurteil bestätigt. Kann ein richtig guter Tag werden.
10. September 2008 um 13:27
Beim zappen auf Pro7 gelandet, gerade aus der Werbepause zurück: eine „Senna“ stellt sich permanent in möglichst abgehackter und kruder Art und Weise schräg zur Kamera und zuckt komisch mit dem Gesicht. Schnell wieder weg.
10. September 2008 um 14:14
@marlow Der Begriff „hart gefloppter Durchfall“ ist grandios, vor allem, wenn man „to flop“ als „hinplumpsen“ wörtlich übersetzt…
10. September 2008 um 14:48
Wer, bitte schön, besetzt eine Moderation mit Senna??? Und meint das auch noch ernst. Oliver P. kann ja manchmal ganz lustig und böse sein, wenn er aus seiner Schwiegersohn-Rolle heraus kommen darf – was so alle 20 Jahre einmal für 2 Minuten oder so passiert.
Evtl sollte man einfach nur deine Rezessionen senden, anstelle der tatsächlichen Sendung. Ich würde dann definitiv wieder einschalten – und sogar für einen Kommentar anrufen!
10. September 2008 um 15:51
Ist es nicht mittlerweile egal, was ProSieben oder alle anderen Sender am Dienstag ab 20:15 Uhr senden, wenn die Mehrheit der Zuschauer sowieso sich die US-Serien (CSI, House, Monk) bei RTL anschaut ? Es wäre doch auch völlig unwichtig, ob ProSieben irgendwie was „sinnvolleres“ am Dienstag senden würde, da die Zuschauer, die ProSieben erreichen will, sowieso RTL gucken. ProSieben kann ja Dienstags irgendwelche Filme versenden, die man sonst irgendwie Sonntagsvormittags oder so versendet, da sowieso kaum jemand einschaltet. Bei Wetten Dass regt sich ja auch kaum ein Mensch über die Alternativen der anderen Sendern auf, die dann meist irgendwas versenden, da sowieso die Mehrheit Wetten Dass schaut.
10. September 2008 um 17:43
Klingt komisc, aber ich hab das Format nicht kapiert.
Warum wird beim Auswendigsingen ein Lückentext engeblendet, wenn ohnehin der komplette Text auswendig gelernt werden muss… oder ist das anders? Singen die von nem Teleprompter mit Lückentext ab?
10. September 2008 um 20:17
ich fand die sendung mehr als erschreckend – ein weiterer tiefpunkt der fernsehgeschichte (nach „comedy zoo“). am schlimmsten fand ich die wirklich erbärmliche moderation von senna… nach jedem satz von ihr dachte ich, sie bekommt gleich einen asthma-anfall…
10. September 2008 um 20:28
Ich fand es ganz sympathisch, spaßig und unterhaltsam. Ich kann die Kritik nicht nachvollziehen. Das ist eine Spaßsendung.
Natürlich könnte man einwenden, dass man die Idee mal wieder nur eingekauft hat, anstatt sich selbst den Kopf zu machen.
10. September 2008 um 21:26
ich wurde von meiner freundin ca. 5 minuten zum angucken genötigt (bevor sie freiwillig umschaltete) und fand es etwa so, wie die obige kritik es beschreibt, nur nicht so lustig 😉
witzigerweise war ich wohl dermaßen paralysiert (könnte ein ähnlicher effekt sein wie die von stefan erwähnte schockstarre), dass ich senna nicht einmal erkannt habe….
10. September 2008 um 21:41
Wir haben damals (3 Wochen nach Ende der Monrose-Castingshow) auf Arbeit Models für eine Werbekampagne gecastet. In der Pause meinte meine Kollegin: „Die Schwarzhaarige können wir nicht nehmen. Die sieht aus wie Senna, die ist in Deutschland momentan negativ besetzt.“ Das Modell tat mir irgendwie leid.
11. September 2008 um 00:07
Ich bin ja eigentlich kein Freund krampfhaft übersetzter Sendungstitel. Aber welcher geneigte Pro-Sieben-Zuschauer kann sich denn unter „Singing Bee“ etwas vorstellen – oder weiß was ein „Spelling Bee“ ist und macht den geistigen Transfer vom Buchstabierwettbewerb hin zur Lücken-Karaoke?
11. September 2008 um 02:28
twipsy: zuviel der Ehre, man dankt 😉
arnulff: just diese Frage habe ich mir auch gestellt. Spelling Bee dürfte hier tatsächlich kaum jemandem ein Begriff sein (und ich als *hust* Amerikanist habe ihn durch eine Psych-Folge gelernt), den Sprung zu Singing Bee macht glaube ich kaum noch jemand, am allerwenigsten die angepeilte Ballermann-Zielgruppe.
Aber mal ehrlich, wie scheiße klängen denn die Übersetzungen?
„Lücken-Karaoke“ klingt nach Schützenfestbespaßung (träfe allerdings damit o.g. Zielgruppe), „Singen wie Scheiße“ zu direkt und „Selbstdarstellung für Nichtskönner“ wäre zu allgemein.
11. September 2008 um 12:57
Ich erzähle euch mal eine Geschichte: „Ich hab’s mir nicht angeguckt.“ Ende.
11. September 2008 um 21:31
…solangs kein Märchen ist! 🙂
12. September 2008 um 03:10
Ich habs nicht gesehen, aber: Ist Senna schwanger?? In der Vorschau hat sei so ein rotes Kleid an und dermaßen viel Holz vor der Hütten und einen Bauchansatz, dass man das gleich annehmen musste..
12. September 2008 um 21:17
Ja, ich besitze einen iPod.
Ja, ich habe mir jede Wagneroper da raufgezogen.
Ja, ich genieße es, abends mit Reclamheftchen auf dem Bett zu liegen, Wagner zu hören und mitzulesen.
Ja, ich komme mir wie ein elitäres, alle anderen als minderwertiger verachtendes Arschloch vor.
Senna, ist seit 13 Jahren tot. Wie kann der schwanger sein?!16. September 2008 um 17:38
Wo issen da eigentlich der Sinn in der Sendung? Ich hab`s nich verstanden… Wer kann helfen? Oder muss ich es mir echt anschauen? Ich glaub soviel Rotwein hab ich nicht im Haus.
17. September 2008 um 13:10
@Philipp:
Senna kann seit einer Operation im letzten Jahr keine Kinder mehr bekommen.
17. September 2008 um 22:08
Ist doch irgendwie beruhigend, dass diese Sender eigenen Produktionsfirmen nichts auf die Reihe kriegen. Producers at work hat im fiktionalen Bereich bis jetzt auch nur Flops in Reihe produziert! Anna und die Liebe, RIS, Volles Haus, Schmetterlinge im Bauch – ganz nebenbei auch alles Produktionen die auf dieser Seite zu Recht in Grund und Boden geschrieben wurden. Hoffentlich lernen die Sender irgendwann mal draus…