Jahresende: Fehlerschlussverkauf!
- Die neue Staffel der US-Show American Idol startet nicht im Februar, sondern im Januar, wie jedes Jahr seit 2003.
- Es handelt sich dabei um die derzeit erfolgreichste Show im amerikanischen Fernsehen, nicht um die erfolgreichste aller Zeiten.
- Die CBS-Sendung 60 Minutes ist ein Nachrichtenmagazin, keine Krimiserie.
- Die erfolgreiche CBS-Realityshow heißt Survivor, nicht Survivors.
- Heidi Klums Reality-Show im US-TV heißt Project Runway, nicht Project Runaway, denn es geht um Laufstege, nicht um Ausreißer.
- Der Medienmogul hinter dem Fox Network heißt Rupert Murdoch, nicht Rudolph Murdoch.
- Desperate Housewives läuft in den USA beim Sender ABC, Medium bei CBS und vorher bei NBC. Keine davon ist eine Serie des Kabelsenders Lifetime. Lifetime zeigt nur Wiederholungen alter Episoden.
- Lifetime gilt auch nicht als „Flaggschiff der gehobenen Fernsehunterhaltung“, das sich durch die Produktion eigener Hochglanzserien auszeichnet und deshalb in einem Atemzug mit HBO genannt würde. Das wäre der Kabelsender Showtime.
- Lifetime ist kein Abokanal, sondern Free-TV.
Warum stehen hier zusammenhanglos all diese Klarstellungen? Weil das alle Fehler in einem fünf Minuten und 15 Sekunden langen Radiobeitrag von Andreas Robertz in der Sendung „Fazit“ von Deutschlandradio Kultur waren, in dem es gestern um die Werbekrise im amerikanischen Fernsehen ging. (Es sind nur die, die ich bemerkt habe. Hier gibt’s den Beitrag als Podcast.) Keine dieser Schlampereien verfälschte die Kernaussage des Beitrags, dass sich das US-TV angesichts der finanziellen Probleme davor fürchtet, die teuren Serienproduktionen könnten durch eine Vielzahl nicht-fiktionaler Programme ersetzt werden, diese Angst aber wohl auf absehbare Zeit unbegründet sei. Diese Kernaussage war nämlich an sich schon falsch. Dass NBC bereits fünf wöchentliche Drama-Sendeplätze durch die nicht-fiktionale Jay Leno Show ersetzt hat, wurde in dem Beitrag nicht einmal erwähnt.
Vielleicht ist das alles banal und Erbsenzählerei. Die Redaktion von Deutschlandradio Kultur wird wegen all dieser Fehler vermutlich keine Sondersitzung einberufen. Aber stellen sie sich vor, in einem einzigen politischen Beitrag würde der Monat der Bundespräsidentenwahl auf April vorverlegt, der Präsident Hans Köhler genannt und der „Spiegel“ ein Männermagazin, und die CDU würde zur bayerischen Regionalpartei degradiert, die trotzdem die erfolgreichste Partei der Welt ist und der die Politiker Franz-Walter Steinmeier und Franz Möntefering angehören.
Den Durchschnittshörer werden die Fehler in einem Beitrag über das amerikanische Fernsehen nicht tangieren, denn er wird sie nicht bemerken. Aber mir geben sie enorm zu denken. Denn sollte dieser Sender, den ich höre, um mich zu informieren und zu bilden, in Bereichen, von denen ich keine Ahnung habe, ebenso viele Fehler machen wie in diesem Bereich, mit dem ich mich auskenne, sollte ich besser nichts mehr glauben, was ich dort höre.
30. Dezember 2009 um 23:30
Wenn ich auch ein bisschen Besserwissen darf: Der New-York-Times Artikel mit der etwas holprig übersetzten Überschrift, der als Aufhänger des gesamten Beitrags dient, stammt nicht aus dem November sondern von Mitte Dezember.
Und ja, Dein abschließender Gedanke geht mir auch oft durch den Kopf.
31. Dezember 2009 um 00:32
Fantastisch!
Ich hab direkt gemerkt worum es geht und habe mir das Feature ohne die Fehlerauflistung angehört. Mir ging es dann beim Hören genau wie dir. Spätestens bei 60 Minutes konnte ich den Beitrag nicht mehr ernst nehmen :).
Wie wäre es denn, wenn du in Zukunft bei SWR3 solche Beiträge bringst und sie dann ans DRadio Kultur weiterleitest? Aber das wird sicher nicht ins SWR3-Format passen, richtig?
Guten Rutsch!
31. Dezember 2009 um 00:56
„Denn sollte dieser Sender, den ich höre, um mich zu informieren und zu bilden, in Bereichen, von denen ich keine Ahnung habe, ebenso viele Fehler machen wie in diesem Bereich, mit dem ich mich auskenne, sollte ich besser nichts mehr glauben, was ich dort höre.“
Das gilt für Journalismus allgemein. Derart grobe Fehler sind allerdings wirklich bei einem Kultursender nicht gerade schmeichelhaft. Schließlich gibt es über 60 Minutes sogar einen viel beachteten Film, in dem es um Kernfragen des Journalismus geht. Wie kann man das als Journalist nicht kennen!?
31. Dezember 2009 um 02:00
P.S.: Es ist wohl tatsächlich jener, der sich bei Xing selbst als „freier Mitarbeiter beim Deutschalndradio“ (sic!) bezeichnet – wo wir schon beim Fehler-Erbsenzählen sind.
31. Dezember 2009 um 04:57
Danke, danke, danke. Mir als permanenter Radiohörer fällt sowas (ähnliches) andauernd auf (nun ja, ein- bis zweimal am Tag), gerade in den „besseren“ Sendern: Kulturradio (RBB), DeutschlandradioKultur, Deutschlandfunk.
Wie schlimm sind dann wohl all die Dudelsender? Aber da erwartet man ja auch nix.
Himmelhilf, schon fünf Uhr?
31. Dezember 2009 um 06:02
Oh, wie mir dieser Kommentar das Wort aus dem Mund nimmt…
Danke!
31. Dezember 2009 um 07:14
Kann mich dem Schlusssatz nur anschliessen. Das geiche Gefühl hat bei mir vor Jahren der Spiegel ausgelöst, als ich dort über verschiedene Computer- und Wissenschaftsthemen las und feststellen musste, dass da auch nix gestimmt hat.
Den lese ich seitdem einfach nicht mehr.
31. Dezember 2009 um 09:37
Als Deutschlandradio-Stammhörer ärgere ich mich auch, wenn (zwar selten, aber doch gelegentlich) so ein unterirdisch recherchierter Beitrag läuft. Da hilft es nur, sich beim Deutschlandradio zu melden und darum zu bitten, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Einfacher haben es da die Privatsender. Wer keine Beiträge bringt, kann auch nichts falsches melden.
ps. Den Beitrag gibt es als Download hier:
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2009/12/29/drk_20091229_2345_49b6195e.mp3
bzw.
http://tinyurl.com/y8k4qmp
31. Dezember 2009 um 10:20
Ja, bekanntes und beklagenswertes Phänomen. Wenn Medien in den Bereichen, wo ich nicht so gut zu Fuss bin und deswegen Fehler nicht selbst erkenne, ähnlich viele Fehler machen wie in den Bereichen, wo ich sehr gut zu Fuss bin und deswegen ständig über haarstreubende und hanebüchene Falschaussagen verschiedenster Grössenordnung stolpere (die sich weitgehend durch Recherche vermeiden liessen – niemand muss ein Experte für alles sein, aber…), dann sieht es um die Glaubwürdigkeit von Nachrichten und Berichten nicht direkt gut aus.
31. Dezember 2009 um 10:32
Vgl. „Killerspiele“
31. Dezember 2009 um 12:47
Ich will es nicht nur darauf schieben, aber mir fällt schon auf, dass der verantwortliche Autor eigentlich eine eher un-journalistische Vita aufweist.
Gerade im Kulturbereich werden solche Nebenbei-Journalisten häufiger beschäftigt. Mag auch damit zu tun haben, dass sich so manches Feuilleton zu Höherem berufen fühlt als zum handelsüblichen journalistischen Auftrag -was nicht selten mit einer gewissen Enthaltsamkeit der Leser/Hörer/Zuschauer einhergeht.
31. Dezember 2009 um 16:52
Die Frage Deines Schlußsatzes stelle ich mir auch immer, wenn ich einen Bericht über Themen sehe, höre, lese in denen ich mich gut auskenne.
Die strotzen IMMER vor Fehlern.
Und irgendwie hoffe ich, dass bei anderen Themen wenigstens die Aussage des Berichtes auf einer richtigen Annahme fußt.
Aber das ist leider kein neues Phänomen und seit mindestens 20 Jahren so.
Danke, dass Du es mal so schön aufgedröselt hast – und guten Rutsch.
31. Dezember 2009 um 19:43
Bei „Eine wie keine“ scheint man anscheinend auch nicht sonderlich viel von Recherche zu halten. Sonst wäre aufgefallen, dass es in Berlin derzeit keinen Kultur- und Wissenschaftssenator gibt. Außerdem wäre auch aufgefallen, dass die Geschichte um den Hotelchef Julius so nicht funktioniert hätte. Mit 12 hatte man in der Regel noch keine Band mit Groupis. (Und 12 muss die Figur gewesen sein, wenn er jetzt 60 ist und der Mauerbau (1961) eine Freundschaft und eine gemeinsame Rockkarriere beendet haben sollte.)
31. Dezember 2009 um 21:40
auch immer ein tolles beispiel die böse rap-musik. 90% der sog. seriösen journalisten, die über das thema kritisch berichten wollen, haben keine ahnung.
rutscht schön
2. Januar 2010 um 09:53
Gerade zwei Schoten in zwei verschiedenen „Kultur“-Radiosendern gehört:
Der Bach-Sohn Friedemann wird als „Fridolin“ Bach angesagt.
Dem Pianist Thelonius Monk wird allen Ernsten – in einem Nebensatz – unterstellt, er spiele bewusst auf „verstimmten“ Klavieren.
2. Januar 2010 um 10:31
Totale Havarie im Studio des Deutschlandradio … Serien sind NOCH immer Quotenbringer im US-TV.
Da weiß man überhaupt nicht, wo man anfangen soll.
Bei CBS hat man noch mit „The Good Wife“ einen richtig guten Newcomer und „HIMYM“ sowie „The Mentalist“ fielen bei dem Herrn Robertz auch unter den Tisch. Alle drei Serien liefern ordentlich Zuschauer ab.
Zu HBO fallen mir noch „Entourage“, „Treme“ (für 2010) und „Hung“ ein. ABC mit „FlashForward“ und „Grey’s Anatomy“, NBC mit „The Office“. Dazu Showtime mit „Dexter“ und „Nurse Jackie“ und FX mit „Sons of Anarchy“.
Die Serienlandschaft ist demnach nicht in Gefahr, ganz im Gegenteil: Der Mut zu außergewöhnlichen Formaten wie „Breaking Bad“, „Mad Men“ und „The Wire“ ist ungebrochen. Und auch die Syndication-Deals spülen ungebrochen Geld in die Kassen.
Weiterhin ist anzumerken, dass NBC’s Jay-Leno-Experiment wohl den anderen Sendern eher als Negativbeispiel dient. Das ganze ist ein Quotenflop. Fast alle Serien der anderen Networks ziehen auf dem Sendeplatz mehr Zuschauer.
Insgesamt gesehen, ist der Radio-Beitrag also von vorne bis hinten Unfug.
2. Januar 2010 um 11:17
Ein Nachtrag noch: Den Kabelsender Lifetime als „Flagschiff der gehobenen Fernsehunterhaltung“ zu bezeichnen, sagt auch viel über die Unwissenheit des Autors aus.
Der Frauensender Lifetime versendet Wiederholungen von Produktionen anderer Networks wie zum Beispiel „Medium“ (NBC), „Desperate Housewives“ (ABC) und die NBC-Konserven von „Frasier“. Die Anzahl an Eigenproduktionen wie „Army Wives“ und „Drop Dead Diva“ geht gegen Null.
Statdessen gibt es zur Hauptsendezeit alte Gameshows wie „Supermarkt Sweep“ und „Shop ‚til you Drop“.
Vielleicht meinte Herr Robertz auch eigentlich Showtime und nicht Lifetime …
4. Januar 2010 um 19:06
My German is not so fluent that I can write it, but I can understand it, and I’d like to say the following to those of you so ready to criticize: don’t you have anything better to do in your life than nitpick little reports? Who cares if American Idol starts in January or February? Who cares if Desperate Housewives airs on ABC or Showtime? Who cares if there is one survivor or more in the title of this show? Who cares if someone’s name in the awful and greedy television business is misspelled? Most TV shows are irrelevant anyway and bring nothing positive to anyone’s lives; they only manipulate and fill people’s heads with silly fantasies, propaganda, and distorted notions of reality in order to sell products, especially in America. And, another point, most “accurate journalism” is nothing but flat-out lies, either on a small or big scale. All to say, if you are so thrilled about journalism, become a journalist yourself, and if you are one already, write your own articles. In short, get a life.
4. Januar 2010 um 22:59
Na – da habe ich ja wohl einiges durcheinandergebracht. Es ist richtig, dass American Idol bereits im Januar beginnt, den Term „erfolgreichste Show aller Zeiten“ ist aus einem Interview mit der wichtigsten Online TV Rating Quelle in den US: tvbynumbers.com (Was die tatsächlich eingeschalteten Fernsehegeräte zur fraglichen Sendezeit betrifft (sharing rate), ist sie es offiziell seit letztem Jahr ). Das „60 Minutes“ eine Krimiserie sein soll, ist ein grober Fehler. Survivors und Project Runaway sind Versprecher (wenn auch schöne), Rudolph heißt natürlich Rupert, Lifetime ist verwechselt mit Showtime und „Desperate Housewives“ läuft auf ABC. Dies sind alles Fehler, teils aus mangelndem Wissen, teils aus Fahrigkeit, und ich möchte mich sehr bei ihnen dafür entschuldigen. Ich bin von Haus aus Spezialist für Theater, Performance und Installationskunst, berichte seit fünf Jahren direkt aus New York und gebe zu, dass ich mich in diesem Beitrag in ein völlig neues Feld gewagt habe. Ich hätte mich bei diesem Thema über einen Co-Autor wie manche von Ihnen es sind, sehr gefreut. Ich finde ihre Aufmerksamkeit echt spitze und Deutschlandradio Kultur hat ihre Kritik sofort an mich weitergeleitet. Mein Bericht sollte Hintergrundfakten der Situation zusammenfassen und einen Ausblick geben. Allerdings stehe ich völlig zu meiner Kernaussage, dass, auch wenn erfolglose Serien schnell abgesetzt und Sendeplätze ersetzt werden, das Ende für gut produzierte Serien trotz Finanzkrise nicht in Sicht ist. Und: eine flexiblere Programmgestaltung die richtige Antwort auf diese Krise ist, was das Beispiel Fox beweist. Diese Einschätzung basiert vor allem auf einem Interview mit tvbynumbers,con und der US Screenwriters Guild, und wird von vielen Kommentatoren wie auch der NYT geteilt. Das ändert sich auch nicht durch die Tatsache, dass einige Sender wie vor allem NBC durch ihre hauseigenen Probleme jetzt Schwierigkeiten haben. Aber Fehler sind Fehler und meine Redakteurin hat nicht die Gelegenheit, alle meine Angaben zu prüfen. Vielen Dank für ihre Wachsamkeit. Happy 2010 aus New York.
7. Januar 2010 um 21:43
[…] sicherlich. Aber wie hat Michael vom Fernsehblog neulich in anderem Zusammenhang so schön geschrieben: Denn sollte dieser Sender, den ich höre, um mich zu informieren und zu bilden, in Bereichen, […]