Unser Sandmännchen
Seit 1959 (DFF, Dritte, Ki.Ka). Fünfminütige Gute-Nacht-Sendung für Kinder kurz vor 19.00 Uhr. Eine freundliche Puppe mit Zipfelmütze, weißen Ziegenlederstiefeln, weißen Wollhaaren und einem ebensolchen Spitzbart kündigt den Kindern eine kurze Geschichte an, streut ihnen dann Schlafsand aus einem Säckchen in die Augen und fährt wieder davon.
Fotos: rbb
Die Figur des Sandmännchens geht auf die Märchen der Brüder Grimm zurück, in denen es als klein, bärtig und mit spitzer Zipfelmütze beschrieben wurde, sowie auf das Märchen vom „Sandmann“ von Hans Christian Andersen. Dort heißt es eigentlich „Ole Lukøje“ („Ole Augenschließer“). Schon seit 1954 gab es im DDR-Hörfunk eine ähnliche Sendung mit einer Gute-Nacht-Geschichte und der ständig gleichen Ansage: „Der Sandmann ist da!“ Das DDR-Sandmännchen wurde unter großer Eile entwickelt, weil im Herbst 1959 bekannt wurde, dass der SFB an einem Sandmann als Identifikationsfigur für Kinder arbeitete (Das Sandmännchen). Der DFF-Programmdirektor gab die Devise aus: „Wir müssen der ARD zuvorkommen!“ und: „Wie ihr Sandmann auch aussehen mag, unserer muss anziehender sein!“ Gerhard Behrendt, künstlerischer Leiter der Puppentrickabteilung im Berliner Trickfilmstudio, erfand daraufhin die Figur, die ab 22.11.1959 die Geschichten des Abendgruß umrahmte, mit dem die Kinder bereits seit 08.10.1958 täglich ins Bett geschickt wurden. Im Gegensatz zum West-Sandmännchen sah das aus dem Osten eher wie ein Kind aus, nicht wie ein Greis, und hatte einen Kinnbart. Ähnlichkeiten mit Staatsoberhaupt Walter Ulbricht sollen allerdings reiner Zufall gewesen sein. Die Figur war 24 Zentimeter groß und wurde per Stop-Trick animiert. Das Sandmännchen kam immer mit unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln: mit dem Fahrrad, der Eisenbahn, einem Traktor, dem Schlitten der Eskimos, einem Mondmobil, einer Draisine, einer Kürbiskutsche, in der Mäuse saßen, einem fliegenden Teppich und sogar einem Panzer. Ausgerechnet zwei Tage, nachdem eine Familie im September 1979 mit einem Heißluftballon aus der DDR geflüchtet war, erschien auch das Sandmännchen mit einem solchen Verkehrsmittel – das gab Ärger, und dieser Sandmann-Film kam auf den Index.
Der Sandmann wurde geliebt und verehrt. 1978 nahm der erste deutsche Kosmonaut Sigmund Jähn ihn zur Orbitalstation Salut 6 mit, wo er eine Woche lang die Erde umkreiste. Er bekam höchste Auszeichnungen von Walter Ulbricht und Erich Honecker und einen Brief von Papst Johannes Paul II., der das Sandmännchen seit seiner Zeit als Krakauer Erzbischof liebte. Die Filme wurden auch ins Ausland verkauft. In Schweden heißt der Sandmann John Blund, in Finnland Nukku Matti. Als ein Jahr nach dem Ende der DDR auch der Deutsche Fernsehfunk eingestellt wurde, sollte dies gleichzeitig das Ende für das Ost-Sandmännchen bedeuten. Er lief zum letzten Mal dort am 31.12.1991. Nach massiven Zuschauerprotesten wurde die Figur jedoch beibehalten und in den Dritten Programmen und später im Ki.Ka fortgeführt. Das West-Sandmännchen war bereits 1989 eingeschläfert worden. Das Sandmännchen profitierte davon, dass es zwar ein Nationalsymbol der DDR war, aber abgesehen von ein paar Besuchen bei der NVA kaum zu Propagandazwecken missbraucht worden war, und wurde einer der ganz wenigen Wendegewinner im Osten.
Das Titellied schrieben Walter Krummbach (Text) und Wolfgang Richter (Musik). Es wird von einem Kinderchor gesungen und geht so: „Sandmann, lieber Sandmann, es ist noch nicht so weit. Wir senden erst den Abendgruß, ehe jedes Kind ins Bettchen muss, du hast gewiss noch Zeit.“ Die zweite Strophe lautet: „Sandmann, lieber Sandmann, hab nur nicht solche Eil. Dem Abendgruß vom Fernsehfunk lauscht jeden Abend alt und jung. Sei unser Gast derweil.“ Diese Strophe entfiel nach dem Ende der DDR – entweder um Zeit zu sparen, oder weil das Wort „Fernsehfunk“ zu sehr an den seligen „Deutschen Fernsehfunk“ erinnerte. Hinterher wird wieder gesungen, diesmal heißt der Text: „Kinder, liebe Kinder, das hat mir Spaß gemacht. Nun schnell ins Bett und schlaft recht schön. Dann kann auch ich zur Ruhe geh’n. Ich wünsch euch: Gute Nacht!“ Für Tage mit Ereignissen wie dem Tod von Walter Ulbricht 1973 gab es einen Vor- und Abspann ohne Lied.
Die eigentlichen Gute-Nacht-Geschichten erzählt der Abendgruß. Anfangs wurde er von Figuren wie Till Eulenspiegel, Clown Ferdinand und Mensch-Puppen-Paaren wie Bärbel (Bärbel Ola-Möllendorf) und Kasparek, Annemarie (Annemarie Brodhagen) und Brummelchen, Rolf (Wolfgang Hübner) und Reni und Taddeus Punkt (Heinz Fülfe) und Struppi bevölkert. Zu den bekanntesten Figuren gehören der freche Kobold Pittiplatsch und die Ente Schnatterinchen, die, wie viele andere Sandmann-Charaktere, aus der Reihe Zu Besuch im Märchenland stammten (siehe dort). Später kamen der Hund Moppi, Herr Fuchs und Frau Elster, Mauz und Hoppel, Frau Igel und ihr Borstelchen sowie der Wasserkobold Plumps, ein entfernter Verwandter von Pittiplatsch, hinzu. Außer Stücken mit den verschiedensten Arten von Trick- und Hand-Puppen gab es auch kurze Dokumentarfilme. Ab den 80er Jahren wichen sie Märchenwelten. Moderne Stars der Gute-Nacht-Geschichten sind u.a. Kleiner König, Paula und Paula, Die obercoole Südpolgang, Pondorondo, Rabe Socke, Lola Langohr und Miffy und Kalli. Die aus dem Westen bekannten Geschichten mit den Schweinen Piggeldy und Frederick wurden nach der Wende in diesem neuen Gesamt-Sandmännchen beibehalten.
23. November 2009 um 16:07
ich entsinne mich an ein radio-feature zum thema, in der die junge dame zu gast war, die die titelmelodie gesungen hat. sie heisst zufällig „sandmann“ mit nachnamen – schöner zufall
leider finde ich keine quelle, es war ein ÖfRe-radiosender