Äußerst liebes Tagebuch

Man würde sich wünschen, dass mal wieder eine Serie daherkommt, die auf den Ich-Erzähler aus dem Off verzichtet. Bei Ally McBeal und Sex And The City war das vor zehn Jahren originell, bei Malcolm mittendrin und Scrubs auch noch, aber dann wurde es allmählich langweilig und man fragte sich, ob diese Produzenten einfach nicht mehr in der Lage sind, eine Handlung so zu verfilmen, dass keine Erklärung mehr notwendig ist.

Nun ist eine Serie, die das Wort „Tagebuch“ im Titel trägt, vielleicht nicht gerade die richtige, um einen Verzicht auf die Off-Stimme zu erwarten. Genau genommen steht da natürlich nicht „Tagebuch“, sondern „Diary“, und warum das so ist, ist unklar. Es glaubt doch nicht ernsthaft jemand, dass die deutsche Serie zurück zum Erfolg geführt werden kann, indem man sie mit englischen Titeln tarnt, oder?


Foto: RTL

Doctor’s Diary ist bestimmt nicht die deutsche Serie, die den Erfolg zurückbringt. Dafür ist sie viel zu gut. Türkisch für Anfänger, wie Doctor’s Diary von Bora Dagtekin geschrieben, ist auch gut und hat leider auch nur wenige Fans.

Das Stilmittel der Ich-Erzählerin mag etwas überstrapaziert sein, stört aber eigentlich nicht, und der ganze Rest ist frisch und originell. Man fragt sich zwar schon aus reiner Gehässigkeit und Gewohnheit die ganze Zeit, wo die Serie zusammengeklaut wurde, und natürlich erinnern einzelne Elemente an andere Serien, doch es sticht nichts Dreistes ins Auge – und schon gar nicht Grey’s Anatomy, trotz der Ausgangskonstellation: Junge Ärztin Gretchen Haase kommt neu an eine Klinik und schwärmt für ihren Vorgesetzten. Doctor’s Diary ist wesentlich origineller und witziger als Grey’s Anatomy, und die Gags sind kurz und subtil, und dann geht es auch gleich weiter, ohne lange darauf herumzureiten.

Telefongespräch an Gretchens erstem Tag.

Dr. Fuchs: „Radiologie, Fuchs.“
Gretchen: „Ja, Dr. Fuchs, Dr. Haase hier.“
Dr. Fuchs: „Sehr witzig.“ (Legt auf.)

Der leichte, lockere, lustige, positive Grundton der Serie passt überhaupt nicht zu RTL, und wenn auch diese Serie floppt, liegt’s vielleicht immer noch daran, dass niemand mit einer solchen Serie rechnet. Umso mehr sollten die deutschen Sender ermutigt sein, in genau diesem Stil weiterzumachen. Irgendwann spricht es sich rum.

Die angenehmste Überraschung in der Serie ist Ursela Monn, die in den 80er-Jahren vor allem in ZDF-Serien zu sehen war. Sie ist als Gretchens betüdelnde, stets besorgte, spießige Mutter die realistischste Figur in der Serie und spielt die Rolle beängstigend überzeugend: Das Kindchen soll ja bloß nicht Karriere machen, sich lieber einen Mann suchen, und vor allem: Iss erst mal was, du bist ja ganz dünn. Während Gretchen, fast 30, Hobby: Schokolade essen, alle paar Minuten Bemerkungen über ihr Übergewicht macht und ihr ein Kleid nach dem anderen platzt, sagt Mutti:

Wir waren alle mal barock. Das verwächst sich.
 


Foto: RTL

Die Angst vor dem Flop ist bei RTL vermutlich wie üblich groß, sonst würde diese schöne Serie nicht im zuschauerarmen Sommer versendet. Da zum Start heute gleich zwei Folgen hintereinander laufen, dürfte aber gewährleistet sein, dass von Doctor’s Diary zumindest mehr Folgen laufen als von der letzten schönen RTL-Serie Die Anwälte.

Doctor’s Diary, montags um 20.15 Uhr bei RTL.

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Michael, 23. Juni 2008, 06:29.

27 Kommentare


  1. euphoriefetzen,

    mmhh, der teaser auf rtl ließ mich im glauben dies sei eine weitere typischdeutschebilligherzschmerztelenovela. ich hätte nie eingeschaltet, jetzt nach dem ein senderfremdes blog genauer über die intentionen der serie aufklärt, werde ich zumindest mal reinschauen. dass das rtl nicht selber kann?!
    vielen dank für den tipp.

  2. der ich-erzähler macolm ist aber doch gar nicht im off sondern vielmehr immer im bild…?!?

  3. Das… klingt erstaunlich gut. Da werde ich wohl auch mal reinschauen heute – auch wenn meine Quoten eh nicht registriert werden…

  4. @ Stitch: Stimmt, der ist im On, und das ist in der Tat rar und passt deshalb nicht in diese Reihe. Verzeihung.

  5. klingt tatsächlich interessant, werde ich heute abend mal antesten. danke für den hinweis.

  6. Hmm, was klingt denn an der obigen Beschreibung der Serie „interessant“?! Mag ja sein, daß das alled gut gemacht und lustig ist, aber die Story klingt doch völlig banal.

    Interessant ist doch im Grunde nur, daß Michael meint, diese Serie sei sehenswert.

  7. ich habe gerad mal wieder lust auf eine ärzte-serie, die zwei zitate kann ich mir lustig vorstellen, wenn die beschreibung der mutter zutrifft gefällt mir diese rolle sehr.
    das klingt für mich interessant- ist das okay für dich oder soll ich lieber doch nicht einschalten?

  8. Also, meinetwegen darst Du einschalten. Aber wenn es vorbei ist, bitte gleich wieder ausschalten und nicht noch stumpf rumzappen und die Zeit verplempern, okay?

  9. das ist ein sehr wertvoller hinweis. meine semantik-dozenten werden es dir danken.

  10. Besser gut geklaut als schlecht ausgedacht: SpOn schließt einen Artikel über D.D. ähnlich wie hier ab.

    „Immerhin, länger als „Die Anwälte“ wird „Doctor’s Diary“ auf jeden Fall laufen: Zum heutigen Start gibt’s gleich eine Doppelfolge.“

    Oder ist Peter Luley das Pseudonym von Michael R.?

  11. Oder SpOn klaut mal wieder? *hüstel*

    Danke, Michael, für die Empfehlung – noch habe ich auch keine Dreistigkeiten entdecken können, sondern eher ein angenehmes Spiel mit den (auch Medien-)Klischees, ohne die Figuren nicht ernst zu nehmen.

    Wäre es reine Comedy, würde ich „Nikola“ erwähnen, aber das geht ja hier eben nicht. 😉

  12. Warum wundert es mich, dass RTL nicht mit dem mehrfach preisgekrönten(!)d Autor der Serie Promo macht? Türkisch für Anfänger hat ja zurecht für Furore gesorgt, sogar international. Während woanders erzählt wird, dass Tarantino einen Film mal erwähnt hat kriegen es deutsche Sender nicht hin gute Autoren oder Regisseure als Qualitätsmerkmal zu verkaufen.

    Hmpf.

  13. Ich hab Tarantino mal in Berlin bei einer Diskussion erlebt, da sagte er, dass er ein großer Fan von Alfred Vohrer sei. Die deutschen Film-Experten dort im Publikum haben sich nur mit einem Fragezeichen im Gesicht angeschaut. Der Ami musste Ihnen dann erklären, wer Vohrer war.

    Und das soll man sich den Namen von so’nem Fernseh-Schreiberling merken können? Also bitte…

  14. Habe zufällig reingezappt und bin begeistert. Erstaunlich witzig. Ich hoffe das wird nicht abgesetzt. Sage ich, die vermutlich zur Zielgruppe gehört 🙂

  15. Ich fands auch sehr nett. Hatte wirklich schöne Momente.
    Schade, daß nächste Woche vermutlich schon wieder was anderes läuft.

  16. „Dreist zusammengeklaut“ würde ich das auch nicht nennen. Aber ein paar Gemeinsamkeiten mit Scrubs gibt es doch, z.B. die – wenn auch selteneren Tagträume und Flashbacks und die moralische Zusammenfassung am Ende. Schlimm find ich das aber nicht. Vielleicht ist es ja auch ganz gut, dem Zuschauer einige ihm bekannte Elemente zu präsentieren, damit er nicht direkt wieder wegschaltet.

    Der absehbare Problemzonen/Schokoladensucht Running Gag wird vermutlich etwas eintönig. Ich hatte gehofft, dass „Bridget Jones“ den ein für alle mal ausgeschlachtet hätte. Aber vielleicht sehen das Angehörige der Zielgruppe anders 😉

  17. @ steffenh:
    Der Kollege von Spiegel Online hatte wahrscheinlich schlicht den gleichen Gedanken, der ja nicht so fern liegt. Abschreiben tut hier eigentlich nur RP-Online.

  18. Habe mir die Doppelfolge aufgrund des Artikels gestern angeschaut und war sehr, sehr enttäuscht.

    Viele Ideen wurden dreist bei Bridget Jones („Das ist gar kein Kostümfest“) und Scrubs (Weisheiten aus dem Off zum Schluss jeder Folge) geklaut und zu einem „neuen“ Drehbuch zusammengerührt.

    Es ist ärgerlich so etwas zu sehen, zumal es auch noch schlecht umgesetzt wurde.

    „Stromberg“ hat gezeigt, dass man eine Grundidee klauen („adaptieren“) kann und durch eigene Ideen und gute Schauspieler etwas besseres als das Original dabei heraus kommt.

    Kann Deine gute Kritik leider überhaupt nicht nachvollziehen.

  19. Wer (wie ich) die Folge(n) gestern verpasst hat, kann sie sich im Online-Videop-Portal von RTL „RTL NOW“ anschauen: http://rtl-now.rtl.de/doctorsdiary.php

  20. @KK: Du hälst Stromberg für die BESSERE Version von The Office? Ich gehe davon aus, dass du nur die amerikanische Version kennst, nicht das britische Original.

  21. Der Teaser war nicht gerade die beste Werbung für die Serie. Für mich war er der Grund, die ersten Folgen von Doctor’s Diary zu versäumen. Aber nach dieser schönen Einführung in die Serie werd‘ ich wohl doch mal kucken.

  22. ob gut oder schlecht zusammengeklaut oder nicht, ob „gut gemacht“ oder nicht – das Zeug ist einfach stinklangweilig! Ok, Ursula Monn ist ganz gut und 1-2 Gags haben sogar gezündet, das trägt aber noch lange nicht über eine Stunde.

  23. ich fand die serie super!
    die sprüche sind witzig und auch die „fiesen“ sprüche vom doktor haben mich amüsiert – sehr sogar!
    ich hab wärend der serie noch darüber gebloggt, dieser post animiert mich nun zu einem weiteren post darüber 🙂

  24. @patrick:
    Ich kenne das englische Original.

    Es gibt da ohne Frage eine ganze Reihe sehr guter Gags. Insgesamt fand ich aber die deutsche Version besser. Zumindest die ersten beiden Staffeln.

    C.M.Herbst hat einen großartigen, eigenständigen Charakter geschaffen und außerdem ist der deutsche Büroalltag glänzend beobachtet und auch die anderen Charaktere sind sehr, sehr gut besetzt.

    Aber egal, ob man jetzt die eine oder andere Version einen Tick besser findet:
    Mit Stromberg hat man es hervorragend umgesetzt.

    Ich kann t nur zustimmen: ‚Doctors Diary‘ war langweilig und es wird mir nicht auffallen wenn es abgesetzt wird, weil ich gestern schon während der 2.Folge gleichzeitig mit anderen Dingen beschäftigt war….

  25. Sehr nett auch der Verweis zur Türkisch für Anfänger durch den Auftritt von Katharina Kaali als Lehrerin Frau Schneider – ob RTL das klar war ;)?

  26. Ich habe es mir inzwischen angesehen und die beiden Folgen sehr genossen. Ich freue mich auf die Fortsetzung. Nette Geschichten charmant erzählt und das mit einem angenehmen, frischen Cast. Ein kleiner Lichtblick in der Einöde der aktuellen deutschen Serien (Ausnahmen wie Dr. Psycho oder Stromberg mal ausgenommen).

  27. Habe inzwischen alle Folgen gesehen (ORF sendete weiter in Doppelfolgen) und kann nur sagen, daß es eine erstaunlich gute Serie war /ist. Auch wenn manchmal typische Klischees nerven, so macht das der trockene, teils bissige Humor meiner Ansicht nach gut wieder wett.
    Ich wäre für eine zweite Staffel. Mein Mann auch.



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