Ruck Zuck erwachsen: 15 Jahre RTL 2

Spannender als das Programm war es am Anfang hinter den Kulissen. Weil den Landesmedienanstalten RTL 2 zu eng mit RTL verflochten war und sich dann die alten und neuen Gesellschafter über die Aufteilung der Anteile zunächst nicht einig wurden, musste der Sendestart über Monate immer wieder verschoben werden, insgesamt dreimal. Die Branche nannte das „jugendorientierte Vollprogramm“ schon „Ankündigungssender“. Aber dann ging es doch noch los, am 6. März 1993 um 6.05 Uhr. Und jetzt alle im Chor: Deh-deh-deh-düpp-djüh deh-deh-deh-djöh…

In kürzester Zeit schaffte es RTL 2, sich das Prädikat „Schmuddel-“ oder „Tittensender“ zu erobern, das zuvor meist mit der großen Stiefschwester RTL verbunden worden war. Dabei waren die ersten prägenden Sendungen des Programms (neben der üblichen Mischung aus alten Serien und schlechten Spielfilmen) harmlos — und nicht einmal Eigengewächse: Vom kurz zuvor eingestellten Tele 5 (woher auch der RTL-2-Programmchef Gerhard Zeiler kam) übernahm man Jochen Bendel und die Gameshow Ruck Zuck sowie Mike Carl und die Pannenshow Bitte lächeln.

Durch das Kinderprogramm führte eine Puppe namens Vampy, durch das Teenagerprogramm Bravo TV ein Moderationsroboter namens Kristiane Backer. Seriendauerbrenner werden in den ersten Jahren Dr. Quinn — Ärztin aus Leidenschaft, Ausgerechnet Chicago und Walker, Texas Ranger, aber auch Oliver Stones Miniserie Wild Palms lief 1993 auf RTL 2.

Revolutionär wurde es mit der Exklusiv — Die Reportage, die wohl einzige RTL-2-Sendung aus dem ersten Sendejahr, die immer noch läuft. Sie hat inzwischen mehrere Häutungen hinter sich, aber am nachhaltigsten war die Zeit, als sie Woche für Woche unter irgendwelchen Vorwänden nackte Brüste zeigte und Sauf- und Sextouristen begleitete. 99 Prozent der kreativen Energie floss in dieser Zeit offenkundig in die Erfindung immer neuer Titel und Stabreime. Im November 1999 zeigte Exklusiv innerhalb von nur zehn Tagen die Reportagen „Knödel, Sex und Billigbier“, „Weiber, VIPs und Whiskey Cola“ und „Swinger, Singles, Seitensprünge“.

Passend zum Genre erfand RTL 2 im Jahr 1995 eine Show für behauptete Erotik und unfreiwillige Komik, besser bekannt als peep! — nacheinander, äh, „moderiert“ von Amanda Lear, Verona Feldbusch, Verena Araghi und Nadja Abd el Farrag (mehr zur erstaunlichen Sendungsgeschichte hier). Bereits im Dezember 1994 ging Die Redaktion auf Sendung, ein Magazin, das vor allem wegen der schmierig inszenierten Redaktionsrunde am Tisch, geleitet von dem grauenhaften Joachim Steinhövel, in Erinnerung blieb.

Während Harald Schmidt seine ersten Late-Night-Versuche noch als Eins-zu-eins-Kopie von David Lettermans Late Show anlegte, zeigte RTL 2 eine Weile das Original, und passend dazu die amerikanischen Nachrichten „World News Tonight“ mit Peter Jennings. Schnell wieder aufgegeben wurde der Versuch, unter dem Label „Die jungen Wilden“ hochwertige eigenproduzierte Spielfilme zu produzieren. Der bekannteste ist „Der Sandmann“ mit Götz George, Karoline Eichhorn und Barbara Rudnik, der dem jungen Sender einen „Grimme-Preis mit Gold“ bescherte.

Dass Claudia Schiffer am 5. Dezember 1995 eine eigene Show namens Claudia Schiffer — Close Up bekam, erwähnt die offizielle Pressemappe zum Jubiläum. Dass es aus Mitleid mit dem Publikum bei einer Folge blieb, verschweigt sie. Nur einige Wochen länger hält 1997 auch die Heike Makatsch Show durch. Sogar eine eigene tägliche Soap hatte der damals noch ehrgeizige Sender: Alle zusammen — jeder für sich hieß sie — und floppte ebenfalls (hinterließ der Nachwelt aber immerhin ein Nachwuchstalent namens Oliver Petszokat).

Gelinde gesagt abwechslungsreich waren auch die Versuche von RTL 2, Nachrichten zu machen. Die ersten Variante war so bunt und laut wie ihr Name: Action News — aber nicht so erfolgreich, wie man befürchten musste. Von 1996 an versuchte es RTL 2 sogar ein paar Jahre ganz seriös und minimalistisch, mit Nachrichten vor einem vollkommen schwarzen Hintergrund.

RTL 2 verhalf mit Serien wie Sailor Moon und Pokémon den Animes in Deutschland zum Durchbruch, zeigte die ersten Staffeln Popstars, in denen unter anderem die No Angels gecastet wurden, etablierte 1997 The Dome als nach eigenen Angaben „größte Musikshows Europas“ — und wurde zum Markenzeichen für gewagte, billige, innovative Unterhaltung. Dafür stehen insbesondere die Doku-Soaps und das Reality-TV. Im Jahr 2000 ging das Experiment auf Sendung, das das deutsche Fernsehen verändert und für Diskussionen gesorgt hat wie kaum eine zuvor oder seitdem: Big Brother. Dazu passten perfekt Sendungen wie Frauentausch und ihre vielen Varianten. Diese Genres bestimmen — Hochglanzserien wie Heroes oder 24 zum Trotz — heute noch Programm und Image von RTL 2, obwohl sie längst in trostloser Routine erstarrt sind. So frisch, wie es sein müsste, wirkt das Programm von RTL 2 längst nicht mehr.

RTL 2 feiert seinen Geburtstag mit einer zweistündigen Show: heute, 21.10 Uhr.

Stefan, 6. März 2008, 17:19.

5 Kommentare


  1. Schade, dass die Show nichts anderes als ein abgespecktes „Die 10“ vor einer Bluebox ist. Alles sehr kühl, das Publikum fehlt eindeutig. Habe mir viel mehr davon versprochen, wo ist die Feierstimmung? Und wo sind die Highlights aus den Jahren vor der Jahrtausendwende? Weit zurück geht man in den ganzen Kategorien ja nicht.
    Schade, Chance der großen Show vertan.

  2. Dass es RTL2 war wo seinerzeit Late Show und World News Tonight lief habe ich völlig verdrängt. Passt wohl nicht ins mentale Bild (huch, was richtig gutes auf diesem dreckigen Schmuddelsender?)… Wenn ich nicht irre hielt das nicht sehr lange an, schätzungsweise 6-9 Monate. Ich erinnere mich auch dunkel an den zeitweisen Versuch von Untertitelung und Synchro/Simultanübersetzung, was so störend war dass es schmerzte, und zum Glück vermutlich zu aufwendig um es durchzuhalten.

  3. […] Stefan Niggemeier hat im “Fernsehlexikon” einen netten Rückblick auf 15 Jahre RTL II […]

  4. Danke, jetzt geht mir der Jingle nicht mehr aus dem Kopf.
    Was bei den ganzen Rückblicken immer vergessen wird ist, dass es RTL2 war, die uns die deutsche Version von Duckman gegeben haben. Leider war nach etwas über 20 Folgen schluß.

  5. Netter Artikel, danke. Dennoch heißt der Mann Steinhöfel, nicht Steinhövel. Was ihn nicht weniger entsetzlich macht…



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