Menschen am Menschen vorbei
Ich habe Menschen 2007 nicht gesehen. Das ist nicht ungewöhnlich, ich sehe Menschen eigentlich nie, weil die Moderation von Johannes B. Kerner mich immer daran erinnert, dass nicht nur das Ende des Jahres nah ist, sondern auch das des Abendlandes. Normalerweise meide ich die Sendung also gezielt, diesmal dagegen war mir komplett entgangen, dass sie überhaupt kommt. Aber stimmt, es ist ja auch schon Anfang Dezember. Auf ein Jahr, das bereits zu elf Zwölfteln vorbei ist, muss schließlich schleunigst zurückgeblickt werden. Nicht dass noch was passiert, was man integrieren müsste.
Früher, als jedes Jahr noch ein ganzes Jahr dauerte, kam Menschen noch im Januar. Das war freilich zu Frank Elstners Zeiten, und als er das Konzept der Sendung zu Ende erklärt hatte, war vermutlich schon Februar. Dann rückte die Sendung auf Ende Dezember vor, vor Jahren auf Anfang Dezember und nächstes Jahr vielleicht schon ins Sommerloch. Seit 2003 sind die Einschaltquoten nicht nur für diesen ZDF-Jahresrückblick rückläufig, sondern auch für das RTL-Gegenstück Menschen, Bilder, Emotionen mit Günther Jauch, der sich zwar wenigstens nicht dem Wahn anschließt, ausgerechnet beim Jahresrückblick der Erste sein zu müssen, aber auch schon in der ersten Dezemberhälfte sendet.
Warum nur sehen jedes Jahr weniger Menschen die großen Rückblickshows? Ermüdungserscheinung? Haben die Zuschauer die Ereignisse des Jahres inzwischen oft genug gesehen? Kaum, sind ja jedes Jahr andere. Also nochmals mit dem Holzhammer: Hat mal jemand in Erwägung gezogen, dass die Menschen noch nicht in der Stimmung für einen Jahresrückblick sind? Kam vielleicht irgendwer mal auf die Idee, den Jahresrückblick zu einem sinnvolleren Zeitpunkt zu zeigen? ZUM BEISPIEL AM JAHRESENDE???
Immerhin herrschten zum Zeitpunkt des ZDF-Jahresrückblicks dieses Jahr keine frühlingshaften 16 Grad Außentemperatur, wie am 4. Dezember 2006. Dennoch würde eine Mehrheit der Zuschauer vielleicht auch zwischen Weihnachten und Silvester eine Sendung begrüßen, die dann eher ihre Gefühlswelt trifft.
Um es aus einem weniger emotionalen, sondern eher faktischen Blickwinkel zu betrachten, hier mal eine Liste interessanter Ereignisse der vergangenen zehn Jahre, die erst im Dezember passierten und deshalb in kaum einem Jahresrückblick beachtet werden konnten:
- Der Baulöwe Jürgen Schneider wird verurteilt (1997)
- Das US-Repräsentantenhaus leitet das Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton ein (1998)
- Der Orkan Lothar verwüstet große Teile Europas (1999)
- Boris Jelzin tritt zurück und Wladimir Putin wird russischer Präsident (1999)
- Hamid Karzai wird Regierungschef von Afghanistan (2001)
- Der Bundestag stimmt der Entsendung deutscher Streitkräfte nach Afghanistan zu (2001)
- Die erste geklonte Katze kommt zur Welt (2001)
- Die Raumsonde „Mars Express“ erreicht den Mars, kann aber keinen Kontakt herstellen (2003)
- Ein schweres Erdbeben im Iran tötet rund 50.000 Menschen (2003)
- Ein Seebeben im indischen Ozean verursacht einen Tsunami, der fast eine Viertelmillion Menschen tötet (2004)
- Der neue deutsche Papst unterzeichnet seine erste Enzyklika (2005)
- Der erste Testsatellit für das europäische Navigationssystem Galileo nimmt den Betrieb auf (2005)
- James Brown stirbt (2006)
- Der ehemalige US-Präsident Gerald Ford stirbt (2006)
- Saddam Hussein wird hingerichtet (2006)
3. Dezember 2007 um 22:50
Es gibt einige ganz banale Gründe, die dagegen sprechen, „Menschen“ und „Menschen, Bilder, Emotionen“ erst am Jahresende zu zeigen.
Zum Beispiel ist es zwischen Weihnachten und Neujahr erheblich schwieriger, prominente Gäste für eine Fernsehsendung zu bekommen als Anfang oder Mitte Dezember. „Zwischen den Jahren“ eine Zusage von einem internationalen Musikgast zu bekommen ist quasi ausgeschlossen. Auch bei nationalen Promis sieht es nicht sehr viel besser aus (zumindest schlechter als bei einem Sendetermin ein paar Tage/Wochen vor den Festtagen).
Für einen Privatsender dürfte eine solch teure Show wie „Menschen“ oder „Menschen, Bilder, Emotionen“ unmittelbar nach Weihnachten kaum refinanzierbar sein. Ende Dezember ist die Werbeauslastung im Keller, während Anfang Dezember das Werbejahr seinen Höhepunkt erreicht.
Im übrigen glaube ich, dass die (leichten, seichten, sehr boulevardesken) Sendungen – abgesehen von den fehlenden Prominente – bei einer Ausstrahlung Ende des Jahres kaum anders aussehen würden als bei einer Ausstrahlung Anfang oder Mitte Dezember. Die Ereignisse, die du aufgeführt hast, wären nach meiner Einschätzung – mit Ausnahme von der Tsunami-Katastrophe 2004 – lediglich für 10 oder 15 Sekunden in der Rubrik „Bilder des Jahres“ aufgetaucht (oder bei der ZDF-Show alternativ auch in diesem alljährlichen Verstorbenen-Rückblick).
4. Dezember 2007 um 00:19
Wenn ich mich nicht täusche, wechseln sich Kerner und Jauch jedes Jahr ab: Mal macht Kerner den Anfang und Jauch kommt den Sonntag danach. Im nächsten Jahr wieder andersrum, dann kommt Jauch vor Kerner.
Theoretisch könnte das ZDF die „Menschen“ ja auch aufzeichnen und kurz vor Silvester ausstrahlen. Oder besser noch: am 1. Januar.
Das gleiche Elend herrscht übrigens beim ZDF-„Album“. Bis vor ca 15 Jahren lief es am 31.12., mit Wiederholung am 1.1. Dann rückte es auf die Tage „zwischen den Jahren vor“. Inzwischen immer schon am 3. Advent. Im Tsunami-Jahr führte das dazu, dass die Katastrophe im „Album 2004“ nicht vorkam und selbst für die Wiederholung kurz vor Silvester nicht mehr umgeschnitten wurde. Erst im „Album 2005“ wurde der Tsunami erwähnt. Fragt man beim ZDF nach, heißt es, es sei Tradition, dass das „Album“ am 3. Advent laufe. Eine blöde, und noch sehr junge Tradition.
4. Dezember 2007 um 09:24
@hewi
Ich bezweifle stark, dass diese Rückblick-Shows teuer sind. Im Gegenteil, Shows ohne Action, ohne Gewinne, nur mit einem Sofa auf der Bühne und kostenlosem Videomaterial aus dem eigenen Archiv dürften im Gegensatz zu eigenproduzierter Fiktion sehr günstig sein.
Auch das mit dem Werbemarkt glaube ich so nicht. Hier mal ein paar Beispiele von besonders teuren TV-Filmen, die zwischen dem 26.-31.12 2005 & 2006 liefen: Margarete Steiff (hochkarätig besetzte historische Produktion), Der weiße Afrikaner (teurer 2-Teiler), Rosamunde Pilcher – Die Muschelsucher (besonders aufwendige Folge mit Venessa Redgrave!), Kronprinz Rudolfs letzte Liebe (sehr aufwendige historische Produktion), Im Namen der Braut (ProSieben).
Und auch dieses Jahr: Die Blüten der Sehnsucht (Liebesfilm gedreht in Malaysia), Der Kommissar und das Meer (Krimi mit Walter Sittler, gedreht in Schweden) und Das Traumschiff in San Francisco.
Und eine Sendeminute jeder dieser Filme kostet locker das 10fache von einer der Rückblick-Shows.
4. Dezember 2007 um 23:14
Na ja, Filme wie „Margarethe Steiff“ laufen bei ARD/ZDF, also ohne Werbung.
5. Dezember 2007 um 01:11
@viewer: Natürlich sind die Rückblick-Shows teuer. Ich schätze, dass eine Show wie MBE zwischen 1,5 und 2 Millionen Euro kostet. Ein „Rosamunde Pilcher“-Film oder eine „Traumschiff“-Folge dürften etwa 1 bis 1,5 Millionen Euro kosten. Mag sein, dass die Filme in der Sendeminute ein wenig teurer sind, dafür sind sie aber auch wiederholbar.
„Shows ohne Action, ohne Gewinne, nur mit einem Sofa auf der Bühne und kostenlosem Videomaterial aus dem eigenen Archiv dürften im Gegensatz zu eigenproduzierter Fiktion sehr günstig sein“ – könnte man denken. Hat mit der Realität aber nichts zu tun.
Zunächst einmal solltest du bedenken, dass für so eine Sendung eine Redaktion benötigt wird, die ganzjährig an dem Projekt arbeitet. Die Redaktion dürfte logischerweise nicht nur an den Themen arbeiten, die dann auch tatsächlich in die Sendung kommen, sondern es dürfte auch zahlreiche Themen geben, für die zwar recherchiert, gecastet und vielleicht sogar schon gedreht wurde, die es dann aber letztendlich doch nicht in die Sendung schaffen.
Das „Sofa“ (bzw. die Sessel) ist an so einer Sendung sicherlich nicht das teuerste, sondern es sind die Menschen, die darauf sitzen. Bei dem RTL-Jahresrückblick bekommt jedes Thema nur rund 5 bis maximal 10 Minuten Zeit. Fast jeder Gast will ein Honorar haben – und gerade, wenn ein Gast Exklusivität zusichert, dürfte das durchaus üppig sein – und dazu kommen natürlich die Reise- und Hotelkosten für die Studiogäste und ihre Begleitpersonen.
Das mit dem „kostenlosen Videomaterial aus dem eigenen Archiv“ dürfte auch nicht so einfach sein wie du dir das vorstellst. Für die Einspielfilme zu den nichtprominenten Gästen wird zum Teil noch extra für die Sendung gedreht und das sonstige Material bekommt man auch häufig nicht kostenlos. Beispielsweise wollen Lizenzgeber von Videomaterial von Sportereignissen schon mal schnell 2.000 Euro oder mehr (je angefangene Sendeminute) haben.
Und auch sonst die Rückblick-Shows relativ aufwendige Produktionen.
5. Dezember 2007 um 09:47
Ich denke, das frühzeitige Senden dient auch dazu, den „Erledigt“-Haken machen zu können. Bevor noch etwas Schlimmes passiert wie der Tsunami und uns die Weihnachtsstimmung verdirbt.
6. Dezember 2007 um 03:16
[…] am Dezember 6, 2007 Jahrersrückblicke Anfang Dezember haben einen seltsamen Charme. Das Fernsehlexikon hat das Dilemma ganz gut auf den Punkt gebracht. Kerners Rückschau verdanke ich die grausame […]
14. Dezember 2007 um 11:14
[…] läge es uns, schon jetzt, noch vor Mitte Dezember, auf interessante Fernsehereignisse des Jahres zurückzublicken. Dies ist eher eine […]
28. Dezember 2007 um 22:50
[…] Monat nach dem ZDF halten wir die Zeit nun endlich für gekommen, auf das Jahr zurückzublicken. Wir mussten […]
7. Januar 2008 um 03:11
Interessanterweise hat das ZDF bei der Wiederholung des „Album 2007“ am 30.12.2007 den Jahresrückblick aktualisiert. Das Attentat auf Benazir Bhutto wurde hier zusätzlich erwähnt.
2. März 2008 um 22:23
[…] Anfang Dezember haben einen seltsamen Charme. Das Fernsehlexikon hat das Dilemma ganz gut auf den Punkt gebracht. Kerners Rückschau verdanke ich die grausame […]
7. November 2009 um 21:10
Lustig, ich hätte garnicht gedacht das das *wirklich* so funktioniert. Komische Welt.
Nikolaus Köln
7. November 2009 um 21:21
An sich n cooler post, aber kannst beim nächsten mal n bisschen detailierter sein?
Weihnachtsmann Köln
2. August 2010 um 02:55
Hamburg Cruise Days 2010: 150.000 Menschen und viele Kreuzfahrtschiffe…
Auf meiner Keyword-Recherche durch das Internet habe ich Deinen Artikel gefunden. Wäre toll, wenn Du diesen Blog-Trackback annehmen würdest….