Ein Kessel Talente

Es ist ja schon ziemlich gehässig, eine Sendung Das Supertalent zu nennen und sie dann von Marco Schreyl moderieren zu lassen. Doch der Ansatz, dass Schreyl den größten Teil der Sendung hinter der Bühne verbringt, ist schon mal nicht schlecht. Jetzt müsste man nur noch die Kameras von dort entfernen.

Die Regeln von Das Supertalent wären bestimmt schnell erklärt, wenn man sie verstünde. Da stehen Leute jeglichen Alters, die irgendwas zu können glauben, und führen es vor. Ein Bauchredner, alte Turnerinnen, jodelnde Hunde, ein Ariensänger und jede Menge singende, tanzende und turnende Kinder, und die sind ja alle soooo süüüüß. Niemand hielt einen Diavortrag, niemand zeigte seine Bierdeckelsammlung, niemand rülpste das Alphabet. Die Jury kann wie früher in der Gong-Show die Auftritte vorzeitig beenden, die Teilnehmer nach vollständig erfolgtem Auftritt noch verabschieden oder sie per Mehrheitsentscheid in die nächste Runde durchwinken. Das wäre dann wohl das Finale, in dem dann die Fernsehzuschauer telefonisch über das „Supertalent“ abstimmen. Das hat Marco Schreyl vielleicht auch so erklärt, aber das konnte man nicht hören, weil das Saalpublikum angewiesen war, parallel dazu möglichst laut zu klatschen und zu toben. Es kommen auffallend viele Kinder durch, denn Kinder sind ja soooo süüüüß (Quelle: fernsehlexikon.de). Schon jetzt hat die Sendung zwei wichtige Fernsehregeln missachtet: Kinder sollten im Fernsehen nur singen, wenn direkt neben ihnen Michael Schanze schwitzt, und Regeln sollten nur so schwer begreiflich sein, dass Frank Elstner sie in weniger als 90 Minuten erklären könnte.

Doch es gibt auch Positives: (Disclaimer: Habe eben mit Stefan telefoniert. Er teilt mit: Es gab nichts Positives.) Viele der Untalentierten werden mit fünfsekündigen Ausschnitten abgespeist, was den Fremdschämfaktor auf ein Minimum reduziert und den Eindruck erweckt, dass es hier vielleicht wirklich darum geht, Talenten ein Forum zu bieten, und weniger darum, wie bei Deutschland sucht den Superstar erst mal zwei Monate lang Unfähige zu verhöhnen, deren einziger Fehler es war, sich bei dieser Sendung zu bewerben. Leider sind es insgesamt so viele Ausschnitte, die gezeigt werden, dass man rasch den Überblick verliert, ob sie nun eine Vorschau auf nach der Werbung sind, eine Vorschau auf nächste Woche, ein Rückblick auf vor einer Viertelstunde oder ein Zusammenschnitt von Kram, der ausführlicher gar nicht gezeigt wird. Unter diesen Schnipseln sind auch ein paar Auftritte, von denen man gern mehr gesehen hätte. Was hat es zum Beispiel mit der dicken Frau in Tarnfarbe auf sich, die mit der Pumpgun in der Hand „Ein bisschen Frieden“ sang? Oder mit der Rabenmutter, die ihr Kleinkind auf einem Bein auf ihrer Hand balancieren ließ?

Irgendwas muss schiefgelaufen sein bei dieser groß angekündigten Show, für die sich angeblich 5000 Menschen beworben hatten, und die dann überraschend doch nur drei vergleichsweise kleine Sendeplätze im RTL-Programm erhielt. Die vielen kurzen Ausschnitte werfen die Frage auf, ob wirklich nicht wenigstens noch ein paar mehr Talente dabei waren, die man hätte ausführlicher zeigen können.

Doch zurück zum Positiven: Es ist gut, dass Dieter Bohlen in der Jury sitzt, denn sonst hätte jemand anderes die Rolle spielen müssen, und niemand spielt die Dieter-Bohlen-Rolle so gut wie Dieter Bohlen. Manchmal wird er sogar zum Sympathieträger. Denn hier werden keine Träume zerstört. Hier nehmen Menschen teil, die sich selbst nicht so ernst nehmen. Und auch die Jury sieht die Regeln eher locker. So passierte es, dass ein singender Pizzabäcker schon von allen dreien weggegongt wurde und dann doch noch eine zweite Chance bekam.

Als Nummernrevue hat Das Supertalent durchaus Unterhaltungswert, aber insgesamt keine Bewandtnis.

Dass zwischendurch „Superstar“ Mark Medlock seine neue Single vorstellt, ist nachvollziehbar — RTL will ja CDs verkaufen –, aber komplett überflüssig. Showblöcke sollen einer Unterhaltungssendung eigentlich eine gewisse Abwechslung geben. Bei einer Show, die aus nichts als Showblöcken besteht, ist das natürlich etwas albern. Und obwohl Mark Medlock deutlicher besser singt als spricht, wünscht man sich umgehend, die Jury möge doch endlich ihr X abfeuern.

Und dann war die Sendung plötzlich zu Ende. Keine richtige Verabschiedung, keine Dramaturgie, die darauf hätte schließen lassen. Es wirkte, als endete die Show mittendrin, als habe man die eigentlich deutlich längere Sendung einfach an einer beliebigen Stelle durchgeschnitten, um den Rest in der nächsten

Michael, 21. Oktober 2007, 00:07.

6 Kommentare


  1. Erwähnenswert wäre noch, dass die Sendung wohl von America’s Got Talent bzw Britain’s Got Talent „abgekupfert“ ist; das Konzept die Kamera hinter die Bühne zu stellen stammt also nicht von RTL.

    http://talent.itv.com/

  2. Habe nur aus der ersten halben Stunde einige Sachen gesehen. Irgendwie wirkte das alles… harm- und ohnehin belanglos. Da hat die erwähnte Gong-Show irgendwie mehr Spaß gemacht und auch bei DSDS hat das ganze irgendwie mehr Zug (wenn man denn von Zug sprechen kann bei einer solch in die Länge gezogenen Show).

    Nun ja, wie dem auch sei. Danke für den Schlussgag in deinem Text. Hat mich grad sehr zum Lachen gebracht. =)

  3. also bis ich den von Marsellinho angesprochenen „Schlussgag“ verstanden habe (und damit meine verwirrung beseitigte), vergingen schon einige lange sekunden… 😉

  4. @ itv: Stimmt. Es ist eine Adaption, und wie bei den meisten Adapationen wurde sie detailgetreu übernommen. Selbst Marco Schreyls Grimassen und Umarmungen hinter der Bühne erinnern verblüffend an die der britischen Moderatoren Ant & Dec. Und das ist vermutlich auch gut so, denn was passiert, wenn Schreyl sich auf seinen eigenen Insinkt verlässt, haben wir ja beim Deutschen Fernsehpreis erleben müssen.

  5. Ich hab mir auch nicht die ganze Sendung angetan. Schon die vielen Schnipsel von „Britain’s got talent“ auf youtube haben gereicht, um zu wissen das ich dieses „Showkonzept“ nicht mag.
    Wie hieß diese US-Talentshow aus den 50er/60er Jahren ? Ich erinnere mich, dass Götz Alsmann darüber in einem Interview sprach. Er meinte, dass diese ganzen Talentsendungen (DSDS & Co) nichts neues seien und erinnerte an eben diese Sendung.
    Warum setzt man nicht folgendes Showkonzept um: Man nehme ein Theater, fülle es mit Publikum, nehme einen eloquenten Moderator und ein Orchester und biete für Leute, die wirklich ein Talent haben, mit dem man ein Publikum unterhalten kann (singen, standup-comedy, zaubern etc.), nur eine Möglichkeit dies einem größeren Publikum vorzuführen. Natürlich müsste es dabei eine Vorauswahl der Teilnehmer durch eine Redaktion geben (wobei diese „Vorauswahl“ nicht auch zum Unterhaltungselement erklärt wird wie bei den üblichen Sendungen DSDS, Popstars etc., sondern vorher und unter Ausschluss von Kameras geschieht, also nicht gesendet wird um sich über Bewerber lustig zu machen). Ferner sollte es nichts zu gewinnen geben, weder für die Leute die ihr „Können“ vor einem größeren Publikum testen noch für die Fernsehzuschauer (also keine dämlichen Gewinnspiele, bei denen man anrufen/eine SMS schreiben und eine Frage beantworten muss und auch kein SMS oder Telefonvoting). Auch wenn dies vielleicht vom Grundsatz, dass es nichts zu gewinnen geben soll abweicht, so könnte doch, ganz altmodisch, das im Theater anwesende Publikum durch Klatschen (oder etwas moderner: durch das Drücken eines Knöpfchens und einer „TED-Abstimmung“), über den besten(unterhaltsamsten) Auftritt/Teilnehmer des Abends abstimmen. Die Sendung müsste natürlich eine Live-Sendung sein und keine vorher aufgenommene „Schnipselparade“ wie eben DSDS und Konsorten. Ferner könnte man ein Mindestalter für die Teilnahme fordern (also keine Kinder, weil die ja immer so „süüüüüß“ sind).Die Sendung könnte vielleicht ein bis zwei mal im Monat laufen und wirklich versuchen neuen, unbekannten und wirklich talentierten „Künstlern“ ein Forum zu bieten. Es ginge also nicht um die Entdeckung eines „Supertalents“ oder eines „Superstars“ und auch nicht um die Sprücheklopferei irgendeiner Jury. (Wobei, wie wäre der Titel „Star für einen Abend“? Nein, es gab mal eine BBC-Sendung, die hatte den gleichen Titel. Es muss ein besserer Titel her.)
    Was den Moderator betrifft: Vielleicht böte sich jemand wie Götz Alsmann an? Zumindest fällt mir gerade niemand anderes ein.
    Als „Bonbon“ könnte man am Ende des Jahres immer die besten Teilnehmer pro Abend/Sendung zu einer alljährlichen Finalsendung einladen.
    Es ginge einfach darum das Publikum zu unterhalten und neuen Künstlern die Möglichkeit zu geben „Werbung“ für sich und ihre Fähigkeiten zu machen.
    Es wäre eine herrlich altmodische Fernsehsendung….

  6. Am faszinierendsten fand ich den Auftritt des Italieners, der wohl für die zwei Menschen bestimmt war, den den Auftritt Paul Potts noch nicht kannten. Der war ja bis in die letzte Kameraeinstellung identisch.

    Und nächste Episode dann eine 11-jähriges Stimmwunder, hm… sind bis auf die Trashkandidaten da eigentlich auch echte Talente?



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